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Eine Szene, die uns zeigt, warum sich Jonas Hiller auf allerhöchster Ebene – in der NHL – durchgesetzt hat. Warum er mehrfacher HCD-Meistergoalie und NHL-Dollar-Millionär geworden ist.
Die 45. Minute läuft. Es steht 0:4. Schon wieder verlieren die Bieler die Scheibe in der eigenen Zone. Jonas Hiller rettet einmal mehr mirakulös. Nachdem die Situation geklärt ist und sich das Spektakel ans andere Ende vor Zugs Tor verlagert hat, rastet Jonas Hiller während des weiterlaufenden Spiels aus. Er zertrümmert im Zorn seinen Stock mit mehreren kräftigen Hieben gegen das eiserne Torgestänge und steht bis zum nächsten Unterbruch ohne Stock in seinem Gehäuse.
Zorn ist heftiger Ärger, der zu unkontrollierten Handlungen führen kann. Das im Zorn zerbrochene Goaliewerkzeug kostet gegen 300 Franken. Jonas Hiller ist einer der wenigen Spieler der Liga mit einem Stockvertrag. Sein Zornausbruch kostet ihn nichts.
Es ist der spektakulärste Frustrations-Gefühlsausbruch eines Torhüters in helvetischen Arenen, seit Oltens Dino Stecher am 26. Februar 1987 bei einer 2:11-Schmach in Bern sein Gehäuse während der laufenden Partie aus den Angeln gehoben und umgedreht hat. Im Gegensatz zu Dino Stecher ist Jonas Hiller von den Schiedsrichtern nicht bestraft worden.
Der ehemalige NHL-Titan hätte auch keine Strafe verdient. Er hat ja seine Wut nicht an einem Gegenspieler ausgelassen. Nur an einem seelenlosen eisernen Goalgestänge. Und keinen Gegenspieler lächerlich gemacht. Sein Zorn zeigt Wirkung: Biel gewinnt die restliche Spielzeit 1:0. Aber eben: Oben auf der Resultattafel steht am Ende halt ein 1:4. Dino Stechers Zorn hat übrigens vor 30 Jahren keine Wirkung gezeigt: Olten stieg Ende Saison ab.
Puritaner mögen nun Jonas Hillers Auftritt kritisieren. Aber er verdient Lob und Respekt. Grosse Spieler können zwar verlieren – aber sie akzeptieren es nicht, wenn nicht alles getan wird, um eine Niederlage zu vermeiden. Und genau das war der Grund für Jonas Hillers Zorn: Seine Vorderleute liessen sich leidenschaftslos demütigen. Sie liessen ihn im Stich. Er muss sich hilflos, einsam, verlassen und verraten gefühlt haben wie ein Trainer des FC Sion nach einem Entlassungsgespräch mit Christian Constantin.
Jonas Hiller ist ein Profi durch und durch. Er stellte sich nach dem Spiel den TV-Kameras und den Chronisten. Obwohl er sich immer noch nicht ganz beruhigt hatte. Er begründete seinen Gefühlsausbruch so: «Es ist extrem frustrierend, wenn wir uns in der Kabine vornehmen, einfach und defensiv sorgfältig zu spielen, und kaum sind wir auf dem Eis, wieder alles vergessen ist.» Er kritisierte explizit den fehlenden Siegeswillen seiner Mitspieler, ohne Namen zu nennen.
Ach, es war wahrhaftig ein grosser «Abend des Zorns» im Bieler Hockeytempel. Nach dem finalen Sirenenton eilt Biels aufgebrachter Sportchef Martin Steinegger zu seiner Kabine. Der ehemalige Verteidiger-Titan ist ein stämmiger, kräftiger Mann (187 cm/92 kg). Die umstehenden Funktionärinnen und Funktionäre halten den Atem an. Wird er die Türe so heftig zuknallen, dass das ganze Stadion erzittert und alles aus den Angeln fliegt?
Der grosse Auftritt von Marc Lüthi in Biel ist ja noch unvergessen. Am 24. Januar 2016 hatte der SCB in Biel 3:4 n. V. verloren. Der SCB-General war so erbost, dass er in den Bauch des Stadions hinunterstieg, in die SCB-Kabine marschierte und die Türe aufs Allerheftigste zuknallte. Was übrigens gewirkt hat: Trainer Lars Leuenberger blieb im Amt, der SCB schaffte die Playoffs doch noch und holte vom 8. Platz aus den Titel 2016.
Würde also auch Martin Steinegger die Türe malträtieren? Er tut es nicht. Und sagt hinterher warum: «Es ist ja unser Mobiliar. Das muss ich schonen.». Und begründet seinen Zorn: «Ich bin so böse, dass ich mich zusammennehmen musste, um in der Kabine nichts zu den Spielern zu sagen. Es ist für den Moment besser so. Zug sollte sich bei uns bedanken.» Und er nimmt seinen temperamentvollen Torhüter in Schutz: «Ich kann ihn wirklich verstehen. Unsere Vorderleute haben ihn kläglich im Stich gelassen. Ohne ihn hätten wir acht oder neun Tore kassiert. Und am Ende muss ausgerechnet er wieder am meisten Kritik einstecken.»
Ja, ja, so ist es. Jonas Hiller ist inzwischen statistisch mit einer Fangquote von 89,69 Prozent und 3,11 Gegentreffern pro Spiel die schwächste Nummer 1 der Liga. Aber es sind nicht immer die schlechtesten Früchte, woran die Wespen nagen.
Wir sehen also, dass Zug seinen Gegner nicht nur besiegt, sondern darüber hinaus zutiefst frustriert hat. Die Bieler haben nämlich die Partie dominiert (36:24 Torschüsse). Und doch waren sie chancenlos. Weil sie ohne Leidenschaft, Konzentration, Ordnung und Disziplin zu Werke gingen. Und weil dem EV Zug das perfekte Eishockey-Schachspiel gelungen ist. In einer Perfektion, die es vielleicht einmal in 50 Partien gibt.
Aus dem Schachspiel wissen wir, dass es wichtig ist, einen überraschenden ersten Zug zu tun und dann das Zentrum zu stärken. Genau das haben die Zuger getan. Mit dem ersten Zug des (Schach-) Spiels schlägt Viktor Stalbergs Geschoss nach 44 Sekunden zum 1:0 ein. Und von nun an wird das Zentrum stark gemacht. Biels Stürmer brausen zwar immer wieder über die Aussenbahnen Richtung Tor – aber die Mitte, das Zentrum kontrollieren die Zuger. Manchmal werfen sich drei, vier Spieler tapfer in die Schüsse.
Tobias Stephans famose Fangquote von 97,22 Prozent ist auch das Produkt seiner Vorderleute. Und Jonas Hillers miserable Quote (83,32 Prozent) zum allergrössten Teil die Schuld seiner Mitarbeiter – kein Wunder, hat er den Stock zertrümmert. Wahrscheinlich hat noch nie seit Erfindung der Statistik ein Torhüter mit einer Fangquote von weniger als 84 Prozent so gut gespielt wie Jonas Hiller an diesem «Abend des Zorns».
Wer meisterhaft Schach spielt, wird mit dem lebenslänglichen Titel «Grossmeister» geadelt. Zugs Cheftrainer Harold Kreis würde, wenn die Schachregeln auch im Eishockey gültig wären, nun zum «Grossmeister» ernannt. Was natürlich nicht der Fall ist. Aber bis zum nächsten Spiel am Donnerstag in Genf darf er den Titel «Grossmeister» führen.
Seiner Mannschaft hat sehr geholfen, dass sie zwei neue Verteidiger bekommen hat. In Biel spielten Santeri Alatalo (bisher verletzt) und Larry Leeger (von Gottéron geholt) die beiden ersten Saisonpartien.
Da freute sich auch Zugs Sportchef Reto Kläy. Der Verteidiger, den er transferiert hat, trifft zum bereits vorentscheidenden 2:0 (11. Minute). Der Sportchef als «Grossmeister» des Transfer-Schachspiels. Solches Lob mag er nicht hören. Bescheiden sagt er: «Ich bin erleichtert. Der Sieg tut uns gut.»
Wo er recht hat, hat er recht. Es ist Zugs erster Sieg nach sieben Niederlagen in Serie. Oder seit dem 13. Oktober gegen … Biel (3:2 n. V.)