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Eismeister Zaugg

Playoff: Das «Düdingen-Syndrom» der ZSC Lions

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Das «Düdingen-Syndrom» der ZSC Lions – oder wenn teure Stars ihr Geld wert sind, Teil II

Die ZSC Lions holen in Fribourg in der Verlängerung mehr als nur den Sieg im ersten Halbfinalspiel. Sie überwinden das «Düdingen-Syndrom» und erschüttern Gottérons Selbstsicherheit. Es kann der erste Schritt zum Titelgewinn sein.
09.04.2022, 12:4510.04.2022, 08:58
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Der Drache ist mehr als nur das Sujet auf dem Dress. Der Drache prägt die DNA Gottérons stärker als die Krafttiere andere Klubs. Weil dieser Drache aus den Urtiefen der eigenen Geschichte kommt.

Das zeigt sich in der mit grossem Abstand besten «Pregame Show» der Liga. Vielleicht ist es sogar die beste der ganzen Hockeywelt. Die Animation vor dem Spiel oben auf dem grossen Video-Würfel. Kein lärmendes, wildes Spektakel, befeuert von modernster Technik. Es ist vielmehr ein Kunstwerk aus Ton, Bild und Dramatik. Alles beginnt mit ruhigen SchwarzWeiss-Bildern aus dem Tal der Galtern (= Gottéron), das unten bei der Altstadt beginnt und dem Klub den Namen gibt. Dort hauste nach einer alten Sage ein Drache. Es sind beklemmende, unheimliche Bilder eines heraufziehenden Gewitters, ängstliche Kühe, zitternde Pflanzen, bange zum Himmel blickende Menschen, und künstliche Blitze erhellen die Arena. Erst wenn der über der Kathedrale herangerauschte Drache ins Stadion eindringt und Feuer speit, werden die Bilder farbig und der Ton laut.

Le gardien du fribourg Reto Berra fait son entree sur la glace, lors de l'acte 1 de la demi-finale de playoff du championnat suisse de hockey sur glace de National League LNA, entre le HC Fribour ...
Auch beeindruckend, aber nicht auf dem Video-Würfel: der Einlauf der Gladiatoren vor dem Spiel.Bild: keystone

Was haben diese Bilder mit dem Spiel zu tun? Nun, dieser Drache bewahrte bis am Freitag um 23.19 Uhr den Schatz der Unbesiegbarkeit. Gottéron hat gegen die ZSC Lions noch nie ein Playoff-Heimspiel verloren. Obwohl die Zürcher 2009 im Viertelfinal und 2013 im Halbfinal als Titelverteidiger anreisten. Auch diese Saison haben sie in der Qualifikation beide Spiele in Fribourg verloren.

Das ist in einem Spiel wie Eishockey, bei dem gerade in den Playoffs «weiche» Faktoren wie Zuversicht und Glaube an die eigenen Stärken eine so zentrale Rolle spielen, mehr als Statistik. Der grosse welsche Chronist Cyrill Pasche, der einst mit Biel mehr als 500 NLB-Spiele bestritten hat und zum legendären Aufstiegsteam von 2008 gehörte, sagt nach dem Spiel nachdenklich: «Gottéron hat mit dieser Heimniederlage etwas aus der Hand gegeben. Nun wissen die Zürcher, dass sie hier doch gewinnen können. Das ist nicht zu unterschätzen, gerade wenn es zu einem 7. Spiel kommen sollte.»

Ausfahrt Düdingen – danach beginnt das flaue Gefühl.
Ausfahrt Düdingen – danach beginnt das flaue Gefühl.Screenshot Google maps

Die ZSC Lions haben damit das «Düdingen-Syndrom» überwunden. Das flaue Gefühl nach der Autobahnausfahrt Düdingen. Die nächste Abzweigung heisst Fribourg-Nord. Von dort geht es direkt zum Stadion. Spätestens bei der Ausfahrt Düdingen erwachen beim anreisenden Gast die Dämonen des Zweifels. Das ist jetzt nach diesem Sieg im ersten Halbfinal in Fribourg vorbei. Die Zuversicht ist zurück. Die Unbesiegbarkeit auf seinem Terrain: Dieser Schatz ist dem Drachen entrissen worden.

Spielt das eine Rolle? Ja, in Kombination mit dem heiligen Respekt des Drachen vor dem Trio Grande. Die Bezeichnung passt perfekt zum Trio Denis Hollenstein, Denis Malgin und Sven Andrighetto. Trio Grande ist auch der Name einer deutschen Tanzband. Wir passen in ihrer Eigenwerbung nur ein paar Worte dem Eishockey an und haben eine treffende Beschreibung des Zürcher Sturmtrios: «Die Freude am Eishockey, virtuos gelebt in ganz eigenen Spielzügen. Ihr Spiel entstammt dem Zirkus, den Jazzclubs, den französischen Cafés und den Weisen des fahrenden Volkes, der Opera Buffa und der grossen Bühne. Das Trio Grande verbindet all das und mehr auf unvergleichliche Weise.»

L'attaquant des ZSC Denis Hollenstein #91 celebre son but avec ses coequipiers l'attaquant Tommi Kivistoe gauche, le defenseur Yannick Weber #6, le top Scorer PostFinance des ZSC Sven Andrig ...
Das Trio Grande feiert mit seinen Kollegen seinen ersten Treffer durch Denis Hollenstein (Nummer 91).Bild: keystone

Das mag nun etwas übertrieben sein. Trifft aber den Kern der Sache. Dieses Sturmtrio, das teuerste unserer Hockey-Geschichte, hat nicht nur die beiden letzten Viertelfinalpartien gegen Biel entschieden und die ZSC Lions vor dem Ausscheiden bewahrt. Dieses Trio hat nun auch in der Halbfinal-Ouvertüre Gottéron auf dem Eis und in den Köpfen besiegt. Erneut können wir sagen: Wenn teure Stars ihr Geld wert sind. Kapitel I gegen Biel. Nun Kapitel II gegen Gottéron. Denis Hollenstein, Sven Andrighetto und Denis Malgin haben alle drei Treffer in Fribourg erzielt. Denis Malgin trifft nach 81 Minuten und 18 Sekunden in der Verlängerung zum 3:2.

Dieses Trio steht auch für die erstaunliche Entwicklung der Mannschaft. Eine blosse Interessengemeinschaft von überheblichen, unkonzentrierten Stars, die defensiv so schludrig arbeiten, dass selbst einer wie Jakub Kovar wie ein Lottergoalie aussieht, ist zu einer verschworenen Clique, einer Art Rockband on Tour geworden. Die Romantik des Spiels ist zurück. Neun Tore kassierten die ZSC Lions in den beiden ersten Viertelfinalpartien gegen Biel. Nun waren es in den letzten drei Aufführungen nur noch vier. Trainer Rikard Grönborg betont denn auch, wie unzufrieden er war. «Wir spielten am Anfang gegen Biel wie in der Qualifikation.» Nun spiele die Mannschaft Playoff-Hockey.

Gegen Biel waren vor allem Denis Malgin und Sven Andrighetto selbstverliebte Künstler und Denis Hollenstein blieb als Solist in der gegnerischen Abwehr hängen. Wenn Malgin und Andrighetto gemeinsam auf dem Eis standen, hätten sie zwei Pucks gebraucht. Die drei gehören zu den schnellsten Stürmern ausserhalb der NHL. Nun haben alle drei kapiert, dass der Puck schneller ist als der schnellste Mann. Endlich rocken sie die gegnerische Abwehr.

Eigentlich hätte Gottéron Grund zur Zuversicht gehabt. Trainer Rikard Grönborg erzählt, wie er am Freitagmorgen um 6.39 Uhr (Trainer stehen früh auf) von Jakub Kovar, dem Helden des Viertelfinals, einen Anruf erhalten habe. Unwohlsein. Krank. Nichts Schlimmes offenbar. Aber einen Torhüter, der unpässlich ist, in einem Playoff-Auswärtsspiel einsetzen? Geht nicht. Also erfährt Ludovic Waeber bei der Besammlung zum Aufwärmtraining kurz nach 09.00 Uhr, dass er ins Tor muss. Er hat das letzte Mal vor 25 Tagen am 14. März im letzten Qualifikationsspiel in Zug (2:1 n. V.) gespielt.

Joie du gardien des ZSC Ludovic Waeber, apres la victoire en prolongation lors de l'acte 1 de la demi-finale de playoff du championnat suisse de hockey sur glace de National League LNA, entre le  ...
Feiert und lässt sich feiern: Ludovic Waeber nach dem Sieg gegen Fribourg.Bild: keystone

Ludovic Waeber ist bei Gottéron ausgebildet worden. 2020 wechselt er nach Zürich. Er soll die neue Nummer 1 nach Lukas Flüeler werden. Aber im Laufe dieser Saison wird ihm die Tauglichkeit zur künftigen Nummer 1 der ZSC Lions abgesprochen. Deshalb hat Sportchef Sven Leuenberger eine Ausländerlizenz für Jakub Kovar eingelöst. Aber Ludovic Waeber wird 94,74 Prozent der Schüsse abwehren und Jakub Kovar würdig vertreten. «Er bringt mit seiner positiven Art Energie in die Kabine und ins Team» lobt Rikard Grönborg. Ob Jakub Kovar am Sonntag zurückkommt, sei offen.

Ludovic Waeber ermöglicht den ZSC Lions den ersten Sieg in Fribourg in einem Playoffspiel. Und doch: Dass die Nummer 1 fehlt, hätte Gottéron doch erst recht beflügeln müssen. Aber wir sehen in diesem ersten Halbfinal nicht das wahre Gottéron. Der Drache schläft. Oder ist er zahm, weil er zu viel Respekt vor den mächtigen ZSC Lions, dem Trio Grande hat? Captain Julien Sprunger sagt, der Schwung und die Emotionen fehlten, die eine frühe Führung hätten wecken können. Gottéron hat in dieser Partie nie geführt. Das wahre Gottéron blitzt nur ganz kurz auf. Bei der Reaktion auf das 0:1. 28 Sekunden später gleicht Chris DiDomenico zum 1:1 aus.

Gottérons Selbstsicherheit ist erschüttert. Die ZSC Lions haben den ersten Schritt in den Final gemacht. Ja, vielleicht sogar zum … Titelgewinn.

L'entraineur fribourgeois Christian Dube lors de la rencontre de playoff 1/4 de final acte 3 du championnat suisse de hockey sur glace de National League LNA, entre le HC Fribourg-Gotteron, HCFG, ...
«Soll ich deswegen nun etwas ändern? Nein.» Christian Dubé.Bild: keystone

Oder doch nicht? Ist vielleicht alles ganz anders? Ist alles nur Besserwisserei mit der Gnade zu wissen, wie das Spiel ausgegangen ist? Trainer Christian Dubé wirkt nach dem Spiel ein wenig melancholisch, fast ratlos. Aber auf entsprechende Fragen sagt er etwas Kluges: «Wir haben in der Verlängerung verloren. Jedes Resultat war möglich. Soll ich deswegen nun etwas ändern? Nein.»

Eine der Qualitäten Gottérons ist ja das gut strukturierte, organisierte Spiel in Kombination mit der Unberechenbarkeit, Schnelligkeit und Kreativität von Stürmern wie Chris DiDomenico und Kilian Mottet. Die enorme Erfahrung von Titanen wie Raphael Diaz, Philippe Furrer, David Desharnais, Julien Sprunger und Torhüter Reto Berra. Die gute Balance zwischen Offensive und Defensive, die sich auch darin zeigte, dass es Defensivstürmer Samuel Walser war, der das 2:2 erzielte.

Wenn ein Spiel im 5. Drittel entschieden worden ist, dann war alles möglich. Und wenn Gottéron gewonnen hätte, dann würde an dieser Stelle jetzt in den höchsten Tönen die Ruhe und Gelassenheit Gottérons gelobt, die den Sieg ermöglicht habe. Dass die ZSC Lions in der Verlängerung auf beunruhigende Art und Weise mit 12:6 Abschlüssen dominierten, würden wir in die taktische Klugheit Gottérons umdeuten. Und daran erinnern, dass im Hockey mehr Tore nach schnellen Kontern als nach stürmischen Drangperioden fallen. Das neue Gottéron der taktischen Intelligenz, das auch ohne Emotionen die bestbesetzte Mannschaft der Liga auch in einer Playoffpartie zu besiegen vermag. Und die Schlussfolgerung wäre: Ein erster Schritt auf dem Weg in den Final. Ja, vielleicht sogar zum … Titelgewinn.

Aber Gottéron hat verloren.

Es ist angerichtet für ein Drama.

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22 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
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Tabularasa
09.04.2022 14:19registriert Oktober 2019
Also, ich kenne nur eine sehr tiefe Urtiefe in Gottérons Geschichte: Jene der Titellosigkeit.
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sansibar
09.04.2022 13:33registriert März 2014
„Das flaue Gefühl nach der Autobahnausfahrt Düdingen. Die nächste Abzweigung heisst Fribourg-Süd.“ - Falsch, es ist Fribourg Nord. Trotzdem cooler Text, war ein spannendes Spiel gestern 👍
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Sünneli31
09.04.2022 14:44registriert Mai 2018
Es ist in jedem Fall einfach nur ein Sieg auf den Weg in den Final. Nicht mehr und nicht weniger. Im Final wartet ein neuer Gegner und es wird eine neue Geschichte geschrieben. Und das ist gut so.
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