Gottéron hatte die erste Halbfinalpartie in der Verlängerung verloren (2:3). Es ist die erste Heimniederlage in einem Playoff-Spiel gegen die ZSC Lions. Aber Trainer Christian Dubé liess sich nicht verunsichern. «Jeder Ausgang war möglich. Auch wir hätten gewinnen können. Warum soll ich etwas ändern?» Also ändert er nichts. Und verliert zwei Tage später das zweite Spiel auf die gleiche Art und Weise. Mit dem gleichen Resultat in der in Verlängerung: 2:3.
Nun sagt er nach dieser zweiten Partie, diesmal auswärts im Hallenstadion, schon beinahe ein wenig resignierend, die fast gleichen Worte: «Wir haben auf Augenhöhe mit den Zürchern gespielt. Ich kann von meinen Spielern nicht mehr verlangen, als alles zu geben. Das haben sie getan. Was soll ich ändern?» Und dann sagt er noch etwas, das diese Serie inzwischen auf den Punkt bringt: «Dieser Gegner ist wie eine Hockeymaschine». Was er damit meint: Linie um Linie rollt über dich hinweg und wenn man meint, es sei überstanden, rollt die nächste Linie.
Die ZSC Lions spielen nun in der Extremsituation Playoffs nahe an der Perfektion. So, wie es der taktische Maschinist Rikard Grönborg wohl auf dem Reissbrett entworfen hat. Aber das allein würde zum Sieg nicht reichen. Auch Gottéron spielt an einem guten Abend wie eine Maschine, bei der jedes Rädchen ins andere greift.
Aber wenn sich zwei sehr gut strukturierte Teams auf Augenhöhe duellieren – dann entscheidet der «Winkelried-Effekt». Also einen einzelnen Mann oder im Idealfall mehrere Männer, die dazu in der Lage sind, eine schier unüberwindliche gegnerische Abwehr aufzubrechen. So wie einst Arnold Winkelried den Eidgenossen in Sempach eine Lücke in den geschlossenen Reihen der Österreicher öffnete und den Sieg ermöglichte.
Einen Einzelspieler, der diese maschinelle taktische Struktur aufzubrechen vermag. Besser noch: mehrere solche Spieler. Wir können es auch so sagen: Mensch gegen Maschine.
Gottéron hat einen Winkelried: Chris DiDomenico. Die ZSC Lions haben viele davon: Denis Hollenstein, Denis Malgin, Sven Andrighetto. Das sind die Künstler. Aber dann haben sie eben auch spielerisch einfacher gestrickte «Grinder» wie Chris Baltisberger, die in lichten Momenten auch wissen, wo das Tor steht. Die Nordamerikaner nennen solche Spieler «Grinder». Wörtlich übersetzt: «Schleifer».
Wir können das Schicksals Gottérons und die Qualität ZSC Lions an drei Szenen erklären.
Szene I in 13. Minute: Es steht noch 0:0. Gottérons offensiver Gaukler Chris DiDomenico pirscht und schlängelt sich in seiner unnachahmlichen Art durch und kommt zum Abschluss. Ludovic Waeber fängt den Puck mit der Fanghand. Gottérons Mann im Festgewand des Topskorers kommt ihm etwas zu nahe. Gleich alle fünf Feldspieler der Zürcher umringen ihn, werfen ihn zu Boden. Die ganze Sache endet mit einem Patt: Chris DiDomenico und Reto Schäppi (auch ein «Grinder»), der ihn am ärgsten malträtiert hat, werden aufs Sündenbänklein geschickt. Wenn die Zürcher Chris DiDomenico im Griff haben, passiert ihnen nichts.
Szene II in der 15. Minute: Sven Andrighetto verwandelt einen Pass von Denis Malgin im Powerplay mit einem Direktschuss zum 1:0. Es ist in Vorbereitung und Vollendung allerhöchste Hockeykunst. Die Pässe mit der Genauigkeit eines Landvermessers gespielt, der Abschluss so perfekt, dass der Puck wie ein Laserstrahl ins Netz des Titanen Reto Berra zischt. Die Zürcher haben mit Sven Andrighetto, Denis Malgin und Denis Hollenstein ein offensives «Trio Grande», das die letzten drei Spiele entschieden hat: Die Partien Nummer 6 und 7 im Viertelfinal gegen Biel und den ersten Halbfinal in Fribourg (da haben sie gleich alle drei Treffer erzielt). Wenn dieses Trio trifft, kann den ZSC Lions nicht passieren.
Szene III in der 5. Minute der Verlängerung: Chris DiDomenico läuft in der gegnerischen Zone in einen harten Check, der ihn bis in die Grundfesten durchschüttelt. Erst recht jetzt, in dieser späten Stunde. Bis der Kanadier Luft und Beine und Tempo hat, um zurückzueilen, ist es zu spät. Marcus Krüger, eigentlich ein Defensivstürmer – aber die ZSC Lions können es sich leisten, eine Ausländerlizenz für einen Defensivstürmer einzulösen – hat zum 3:2 getroffen.
Chris DiDomenico ist der dominanteste, beste Einzelspieler auf dem Eis. Er hat in den Playoffs in bisher 7 Partien 14 Punkte produziert. Mehr als jeder andere. Die Zürcher haben das ausgeglichenere Team. Wenn das Trio Grande nur einmal trifft, können andere die Entscheidung herbeiführen. Wie der «Grinder» Chris Baltisberger oder ein schwedischer Defensivstürmer.
Wir sehen: An Chris DiDomenico hängt Gottérons Schicksal. Er hat in den bisherigen zwei Halbfinalpartien drei der vier Tore seines Teams orchestriert und im Hallenstadion dafür gesorgt, dass aus einem 0:2 vorübergehend ein 2:2 wird. Aber wenn er kein weiteres Tor zu erzielen oder einzufädeln vermag, ist keiner da, der Gottéron retten kann.
Kein Wunder, ist Chris DiDomenico der meistprovozierte und am härtesten «bearbeitete» Spieler in dieser Serie. Und er erträgt alles mit bewundernswertem Gleichmut wie einst Hiob die Flut schlechter Neuigkeiten. Interessant ist dabei, dass Rikard Grönborg sein Coaching nicht auf Chris DiDomenico ausrichtet. Der Playoff-Topskorer bekommt keinen «Rucksack». Auch das zeigt die Ausgeglichenheit der ZSC Lions. Jede Linie ist stark genug, um sich um den Kanadier zu kümmern. «Wir behalten ihn einfach im Auge», sagt Rikard Grönborg. Also keine Strategie gegen den Besten des Gegners? «Wenn wir eine hätten, dann würde ich sie nicht verraten …»
Kann Gottéron diese Serie nach zwei Niederlagen noch wenden? Die Zuger, die ja möglicherweise den Final erreichen werden, sollten darauf hoffen. Oder wenigstens auf eine lange Serie, die Kräfte kostet. Die ZSC Lions haben in den letzten beiden Partien gegen Biel und jetzt zweimal gegen Gottéron so gespielt wie ein künftiger Meister.
Aber es steht erst 2:0. Die alles entscheidende Frage ist nun: Wie viel Energie hat Chris DiDomenico noch? Er ist schon 33 und hat bisher in den Playoffs pro Partie 22:35 Minuten gespielt. Länger als jeder ZSC-Stürmer.
Hier kann sich der Sportchef noch steigern.