Mit ziemlicher Sicherheit hat es in der Neuzeit in der höchsten Liga noch keine solche Nacht der Lottergoalies gegeben. Zugs Luca Hollenstein wehrt lediglich 80 Prozent der Schüsse ab. Gilles Senn muss sich auf der Gegenseite bescheidene 84 Prozent notieren lassen. Beide zeigen bei weitem nicht ihr bestes Hockey: Der Saisondurchschnitt bei Luca Hollenstein liegt bei 91,63 Prozent und bei Gilles Senn bei 91,45 Prozent – bei einem Liga-Durchschnittswert von 91,54 Prozent. Die nüchterne, sachliche und unparteiische Statistik berechtigt uns also, von einer Nacht der Lottergoalies zu reden.
Ein weitgereister HCD-Funktionär ahnt schon in der ersten Pause, was noch kommen wird und sagt: «Es ist keine Nacht der Goalies.» Zu diesem Zeitpunkt steht es bei 8:11 Torschüssen 1:3. Am Ende werden bei 25:25 Torschüssen mindestens sechs von neun Treffern haltbar sein. Beim HCD-Siegestor 0,8 Sekunden vor Schluss kommt es gar zum kuriosesten Gegentreffer der Ära von Dan Tangnes, die im Sommer 2018 begonnen hat.
Luca Hollenstein – er bestreitet ausgerechnet sein 13. Spiel in dieser Saison – begibt sich in den Schlusssekunden hinter sein Tor, kann aber die Scheibe nicht kontrollieren. Es ist ein folgenschwerer Ausflug. Joakim Nordström kommt an den Puck und spediert ihn Richtung Tor und von Luca Hollensteins Schoner abgelenkt rutscht er hinter die Linie zum 4:5. Ein Eigentor 0,8 Sekunden vor der dritten Sirene, die eine Verlängerung bedeutet hätte.
Auf die Frage, ob dies der verrückteste Gegentreffer seiner Amtszeit gewesen sei, sagt Zugs Trainer klugerweise nach kurzem Nachdenken nicht «Ja» und reibt so nicht noch Salz in die Wunden von Luca Hollensteins Selbstvertrauen. Er gibt den Diplomaten: «Es hat schon einige solche Tore gegeben, manchmal zu unseren Gunsten, manchmal gegen uns.» Er habe soeben in der Kabine seinen Goalie aufgemuntert und ihm gesagt, er solle das Missgeschick so schnell wie möglich wegstecken.
Wie kommt es, dass am gleichen Abend beide Torhüter mehrere haltbare Treffer kassieren? Wobei: Nicht nur die Goalies machen ungewohnte Fehler. Auch ihre Vordermänner sind zu oft nicht bei der Sache, die Davoser kassierten sogar ein Tor in Überzahl (zum 4:3 für Zug). Ungenügende Vorbereitung aufs Spiel? Taktische Fehler? Larifari-Betrieb? Gar Unstimmigkeiten in der Kabine?
Nein, nein, nichts von alledem. Für einmal sollten wir die Ursache ausserhalb des Stadions, ausserhalb des Einflussbereiches der Trainer, der Sportchefs, der Manager und der Präsidenten suchen. Beim Wetter.
Es gibt zwar nach wie vor keine verlässlichen Statistiken oder Studien zu diesem Thema. Aber in den letzten 40 Jahren hat der Chronist immer und immer wieder unerklärliche Goalie-Flops bei der ganz besonderen Wetterlage erlebt, die wir am Donnerstagabend im Alpenvorland und damit in Zug hatten: Wenn im tiefen Winter bei ungewöhnlich hohen Temperaturen eine heranziehende Kaltfront die Luftdruckverhältnisse verändert, kommt es zu den kuriosesten Hockeyspielen. Wie sonst nur bei ausgeprägten Föhnlagen. Bei solchen Wetterlagen ist auch die Hauskatze noch eigenwilliger als sonst schon.
Aktuelle
Note
7
Ein Führungsspieler, der eine Partie entscheiden kann und sein Team auf und neben dem Eis besser macht.
6-7
Ein Spieler mit so viel Talent, dass er an einem guten Abend eine Partie entscheiden kann und ein Leader ist.
5-6
Ein guter NL-Spieler: Oft talentierte Schillerfalter, manchmal auch seriöse Arbeiter, die viel aus ihrem Talent machen.
4-5
Ein Spieler für den 3. oder 4. Block, ein altgedienter Haudegen oder ein Frischling.
3-4
Die Zukunft noch vor sich oder die Zukunft bereits hinter sich.
Die Bewertung ist der Hockey-Notenschlüssel aus Nordamerika, der von 1 (Minimum) bis 7 (Maximum) geht. Es gibt keine Noten unter 3, denn wer in der höchsten Liga spielt, ist doch zumindest knapp genügend.
5,2
09.22
5,2
09.23
5,2
01.24
Punkte
Goals/Assists
Spiele
Strafminuten
Er ist
Er kann
Erwarte
Wetterfühligkeit – in der Fachsprache Meteoropathie oder Meteorotropismus – bedeutet eine Überempfindlichkeit unter anderem gegenüber Witterungserscheinungen wie Luftdruckschwankungen. Sie wirkt sich auf Allgemeinbefinden, Stimmung und Leistungsfähigkeit aus. Die Wetterfühligkeit ist auch heute noch ein weitgehend unerforschtes, sportmedizinisches Phänomen. Meteorologen, Psychologen, Mentaltrainer oder Coaches könnten über den Einfluss des Wetters auf Hockeyspieler im Allgemeinen und Torhüter im Besonderen hochinteressante Seminar-, Diplom- oder Doktorarbeiten schreiben.
Die Annahme ist also durchaus berechtigt, dass sich Wetterfühligkeit erst recht auf die unter einer extremen Belastung stehenden Männer eines unberechenbaren Spieles auf einer rutschigen Unterlage auswirkt. Dass die Zuger das Opfer des Wetters geworden sind. Torhüter müssen von der ersten bis zur letzten Sekunde hellwach sein und sie können sich – anders als ihre Vordermänner – nicht in regelmässigen Abständen auf der Bank ausruhen und durchatmen. Fehler wirken sich direkt im Resultat aus. Nur selten vermag ein Feldspieler einen Goalie-Fehler auszubügeln und auf der Linie zu retten.
Eigentlich könnten sich die Davoser diebisch über den kuriosen Siegestreffer und den ersten Sieg gegen Zug in dieser Saison freuen. Sie tun es aber klugerweise nicht. Oben auf der Medientribüne verfolgten und überwachten hinter Bildschirmen das «Hilfspersonal» des Trainers die Partie. Das tun alle Teams. Um im Falle eines Falles den Cheftrainer unten an der Bande anzuweisen, nach einem Gegentreffer beim Schiedsrichter Einspruch einzulegen (Coaches Challenge). Das ist in dieser Nacht der Lottergoalies nicht erforderlich.
Beim Zusammenpacken sagt einer, dessen Name dem Chronisten schon wieder entfallen ist, zu seinem HCD-Kollegen: «Wir werden nächste Saison einiges zu tun haben.»
Nächste Saison ist Luca Hollenstein beim HCD die neue Nummer zwei hinter Sandro Aeschlimann.
Im Nachhinein wäre es wohl besser gewesen, die Strafe zu riskieren...