Ein «logisches Wunder» – die US-Boys im Final mit Vorbildfunktion für unser Hockey
Wann ist ein Spieler bereit fürs Erwachsenenhockey? Mit 19 oder 20 Jahren schon? Gerade die Kanadier, die ihre Talente in den drei grossen Ligen Western Hockey League (WHL), Ontario League (OHL) und Quebec Major Junior Hockey League (QMJHL) ausbilden, neigen zu dieser Ansicht. Für aussergewöhnliche Talente mag das so sein. Auch einige Schweizer sind diesen Weg gegangen (u.a. Nico Hischier, Nino Niederreiter oder Timo Meier).
Aber es gibt auch in unserem Eishockey wenig Spieler, die mit 19 oder 20 schon gut genug sind für eine tragende Rolle im Erwachsenenhockey. Schweizer erreichen oft sogar erst mit 24 oder 25 ihr Leistungsniveau. Also auch später als Finnen oder Schweden. Ernstzunehmende Stimmen sagen, das hänge unter anderem damit zusammen, dass in der Schweiz in aller Regel neben dem Eishockey eine anspruchsvolle Berufsausbildung oder ein Studium absolviert wird. Das koste Zeit, Schlaf und Energie, die im Hockey fehlen und dadurch werde der Reifeprozess verlangsamt.
Der «duale Weg» – also Ausbildung und Hockey zu kombinieren – gilt mehr und mehr als «Königsweg», auch im Hinblick auf das Leben nach der Karriere für Spieler, die es nicht zu den Dollar-Millionen in der NHL bringen. Und das sind noch immer die meisten.
Die Amerikaner bieten ihren Talenten ebenfalls die Möglichkeit an, Ausbildung/Studium und Hockey zu kombinieren. Die National Collegiate Athletic Association (NCAA) organisiert als Dachverband für Hochschul- und Universitätssport in den USA die Meisterschaften aller Sportarten. Die höchste Division im Eishockey der Männer umfasst 63 Teams aus sieben regionalen Conferences.
Universitätseishockey kann bis zum 24. Lebensjahr gespielt werden. Also länger als in den Juniorenligen in Kanada, in Skandinavien oder in der Schweiz. Kommt dazu: Im US-Universitätshockey wird mehr Zeit in Training und Ausbildung investiert als in allen anderen Nachwuchsmeisterschaften weltweit. Studium, Training und Spielpraxis stehen in einem ausgewogenen Verhältnis.
Immer mehr zeigt sich, dass die Amerikaner einen «Königsweg» der Ausbildung gefunden haben, der auch für unser Hockey wegweisend sein könnte: Eine Nachwuchsliga für Spieler bis 24 statt das ewige Hin und Her zwischen U21-Junioren, Swiss League und National League. Marc Gianola, OK-Präsident des Spengler Cups sagt: «Ich hoffe, dass der Auftritt der Amerikaner uns helfen wird, die Struktur unserer Ligen und des Nachwuchshockeys zu überdenken.»
Die Amerikaner haben die meisten Titel bei der U18-WM geholt und auch die zwei letzten U20-Titelkämpfe gewonnen. Auch einige der besten Spieler der National League sind im US-Universitätshockey gross geworden: Etwa Austin Czarnik, Tyler Moy oder Mark Arcobello. Die Frage ist ohnehin, warum unsere Sportchefs bei der Rekrutierung des ausländischen Personals nicht aufmerksamer die US-Universitätsmeisterschaft beobachten.
Die «US Selects» beim Spengler Cup sind nicht einmal ein «All-Star-Team» aus dem US-Universitätshockey. Im Team, das nun in den Final gestürmt ist, sind alle zwischen 20 und 24 Jahre alt. Einige der grössten Talente sind – weil noch im Teenageralter – nicht dabei oder nehmen an der gleichzeitig stattfindenden U20-WM in den USA teil.
HCD-Präsident Gaudenz Domenig sagt, die Einladung an dieses US-Team sei ein Experiment: «Wir wollten herausfinden, ob eine solche Mannschaft überhaupt konkurrenzfähig ist. Die Amerikaner haben in jeder Beziehung alle unsere Erwartungen weit übertroffen.» Nun laufen die Gespräche, um im Rahmen eines Vertrages die permanente Teilnahme zu sichern.
Dass die US-Boys mithalten können, ist eigentlich keine Überraschung: Bereits 1980 hat eine NCAA-Auswahl das olympische Turnier in Lake Placid gegen die übermächtigen Sowjets gewonnen. Bis heute die grösste Sensation im internationalen Hockey («Miracle on Ice»), mehrfach verfilmt und literarisch aufgearbeitet. Coach Herb Brooks wechselte gleich darauf als Trainer nach Davos und wurde bereits im Januar 1981 gefeuert und durch Walter Dürst ersetzt.
Ein Sieg beim Spengler Cup wäre nicht mehr ein Wunder wie damals 1980, sondern aufgrund der Entwicklung im US-Universitätshockey ein «logisches Wunder».
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