Seit dem ehrenhaften Scheitern im WM-Viertelfinal von 2019 gegen Kanada befinden sich die Schweizer auf einer Pilgerreise. Auf dem Jakobsweg zu neuem Ruhm. Sie befolgen dabei den Rat des grossen chinesischen Philosophen Konfuzius: «Der Weg ist das Ziel.»
Das Ziel ist unter Verbands-Sportdirektor Lars Weibel nach wie vor nicht erreicht worden. Lars Weibel vor der WM 2021: «Wir sind auf dem richtigen Weg.» Schmähliches Scheitern im Viertelfinal gegen Deutschland. Lars Weibel vor der WM 2022: «Wir sind auf dem richtigen Weg.» Schmähliches Scheitern im Viertelfinal gegen die USA. Lars Weibel vor der WM 2023: «Wir sind auf dem richtigen Weg.» Schmähliches Scheitern im Viertelfinal gegen Deutschland. Lars Weibel vor der WM 2024: «Wir sind auf dem richtigen Weg.»
Auf dem Jakobsweg zum neuen Ruhm haben die Schweizer unter der Führung von Lars Weibel bei den WM-Turnieren von 2021, 2022 und 2023 immerhin 24 Stationen (Spiele) zurückgelegt. Aber das Ziel – den WM-Halbfinal – haben sie nach wie vor nicht erreicht. Die WM 2020 in der Schweiz ist wegen der Pandemie nicht ausgetragen worden. Wie stehen die Chancen, dass die Schweizer nun in Prag endlich erstmals seit 2018 wieder am Ziel (im WM-Halbfinal) ankommen werden?
Sie stehen sehr gut. So gut wie seit der Silber-WM 2018 nicht mehr. Zum ersten Mal überhaupt stehen die drei NHL-Titanen Roman Josi, Nico Hischier und Nino Niederreiter – drei Führungsspieler in der besten Liga der Welt – vom ersten Spieltag an zur Verfügung.
Dieses «Trio Grande» ist das, was der Gitarrist Gilad Hekselman, der Saxophonist Will Vinson und der Schlagzeuger Antonio Sánchez für den Jazz sind. 2018 gaben die drei das Plattendebüt mit «It’s Alright with Three.» Genau das ist das Motto dieser WM unter der Führung von Lars Weibel und Patrick Fischer: «It’s Alright with Three.» «Mit (diesen) drei ist alles in Ordnung.»
Wir haben @thelnino22 zum Interview getroffen und gefragt, was ihm die Nationalmannschaft bedeutet und wie gross seine Vorfreude ist. 🎤🇨🇭#SIHF #zämefürdSchwiiz #ensemblepourlaSuisse #insiemeperlaSvizzera #insembelperlaSvizra #MensWorlds pic.twitter.com/kSzuNh9RHt
— Swiss Ice Hockey (@SwissIceHockey) May 9, 2024
Die Erfahrung lehrt, dass die Schweizer bei einer WM immer dann am weitesten kommen, wenn die Kritik gross, die Hoffnung klein und die Erwartungen gering sind: 2013 stürmten sie aus dem tiefen Keller in den WM-Final: Ein Jahr vorher hatte es bloss zum 11. Schlussrang gereicht und Sean Simpson war froh, dass er noch im Amt war. 2018 stand Patrick Fischer nach einem missglückten olympischen Abenteuer (im Achtelfinal schmählich gegen Deutschland gescheitert) arg in der Kritik. Ein paar Wochen später stürmten die Schweizer in den WM-Final und kamen dort gegen Schweden bis in die Penalty-Entscheidung.
Je bissiger die Polemik, je lauter die kritischen Stimmen vor einer WM, desto besser das Team. Nun ist Patrick Fischer mit seinen Männern durch die Saison gestolpert und getaumelt und hat Niederlage an Niederlage aneinandergereiht und allenthalben nervten die Ausreden. Entsprechend war die berechtigte Kritik.
Der sportliche Kurswert unserer Nationalmannschaft ist vor der WM weit unter den Nominalwert gesunken. In der Wirtschaft wäre das Nationalteam ein Übernahmekandidat: enorm viel Substanz und viel zu tief bewertet. Eine November-, Dezember- und Februarausgabe des Nationalteams wäre bei einer WM zum erneuten Scheitern verurteilt.
Erfolg ist bei der WM nur möglich, wenn von Grund auf ein neues Team entsteht. Auf dem Eis und in der Kabine. Die sportliche Führung kann das Team nicht erneuern. Aber Patrick Fischer sorgt für gute Rahmenbedingungen. Damit sich das Team aus sich selbst heraus zu erneuern vermag. Deshalb ist die Präsenz von NHL-Titanen wie Roman Josi, Nino Niederreiter und Nico Hischier – Führungsspieler in der besten Liga der Welt – so entscheidend. Auf dem Eis und in der Kabine.
Auch wenn er das so natürlich nie auch nur andeuten, geschweige denn bestätigen würde: Roman Josi fällt die Rolle eines «Spielertrainers» zu: Er bewirkt mit einem Satz mehr als Patrick Fischer mit seiner ganzen, überaus lebenswerten Biografie. Und der Nationaltrainer ist ein kluger Psychologe, der sein Ego dann zurücknimmt, wenn es der Mannschaft hilft.
Wir haben gerade durch die Präsenz von Roman Josi, Nico Hischier und Nino Niederreiter vom ersten Tag an das bestmögliche WM-Team und Leonardo Genoni ist nach wie vor dazu in der Lage, noch einmal ein WM-Held zu werden. Eine einmalig günstige Ausgangslage.
Die Auftaktpartie gegen Norwegen (16.20 Uhr, live SRF) ist der erste Schritt auf dem Weg in den Halbfinal. Es muss noch nicht rocken und rollen. Es ist vielmehr eine Gelegenheit zum Justieren des Spiels für kommende, schwierigere Aufgaben. Zum Binden der Schuhe auf dem beschwerlichen Pilgerweg zum Ruhm. Wenn die Schweizer in Prag mit dieser Mannschaft, mit dieser Ausgangslage nicht ans Ziel kommen, wann dann? Vor allem: wann dann mit Patrick Fischer? Für ruhmloses Scheitern gibt es in Prag keine Ausreden mehr.
Sollten wir es dieses Jahr wieder auf Rang 1 schaffen, will ich die Mannschaft sicher nicht mehr speziell loben.
Bei mir zählt dieses Mal das Viertelfinale.
Überstehen wir das Viertelfinale: Erfolgreiche WM
Scheitern wir im Viertelfinale:
Scheiss WM.
Um es mal diplomatisch auszudrücken.
Fakt ist, dass die Eishockey Nationalmannschaft in den letzten Turnieren mental an nominell schwächeren Gegnern gescheitert ist.
Hischier war übrigens auch dabei.
Es gibt keine Ausreden, es gibt nur einen Grund. Und der Grund heisst Fischer.