Was ist die wichtigste Erkenntnis aus den Viertelfinals? Auf den ersten Blick ist es der Beweis der Ausgeglichenheit der Liga. Drei Viertelfinals erfordern die maximale Distanz von sieben Spielen. Spannender könnte der Titelkampf nicht sein. Spannender war es bisher nur im Frühjahr 2013. Sieben Spiele in allen Viertelfinals, um die Halbfinalisten ZSC Lions (gegen Davos), Gottéron (gegen Biel), SCB (gegen Servette) und Zug (gegen Lugano) zu ermitteln. Am Ende setzte sich der SCB im Final gegen Gottéron durch (4:2).
Der Titelkampf also fast so unberechenbar wie 2013? Nein. Wie ein roter Faden zieht sich durch die aktuellen Playoffs eine kaum ausgesprochene, aber gut fühlbare Resignation. Jedes noch so ausführliche, gründliche, tiefschürfende und sorgfältige Orakeln über den Ausgang der Meisterschaft endet mit einem leisen Seufzer:
Einen gefühlt so klaren Favoriten wie die ZSC Lions hat es in diesem Jahrhundert noch nicht gegeben. Einerseits aufgrund der Dominanz in der Qualifikation (7 Punkte vor Gottéron/2., 18 vor Lausanne/3.), andererseits wegen vielen für die Playoffs wichtigen statistischen Werten: am wenigsten Tore kassiert, am wenigsten Strafminuten verbüsst, mit Simon Hrubec der statistisch beste Goalie. Der ZSC-Torhüter hat auch im Viertelfinal die besten Werte. Kommt dazu: Im Viertelfinal sind die Zürcher mit 4:0 über Biel hinweggebraust. Vor einem Jahr sind sie gegen den gleichen Gegner mit einer nahezu identischen Mannschaft noch sang- und klanglos untergegangen (0:4).
Tatsächlich ist gegen die Zürcher hockeytechnisch kein Kraut gewachsen – auf allen wichtigen Positionen formidabel besetzt und mit vollen Energietanks (Zehn Ruhetage bis zum Halbfinalstart am Montag). Die Pause haben sie sich durch Leistung (Halbfinalqualifikation in vier Spielen) verdient. Ein wichtiger Faktor, weil elf wichtige Spieler 30 oder älter sind. Und vor allem spricht die Kadertiefe für den Favoriten: vier Linien, die so gut sind, dass sie jede gegnerische Formation erfolgreich herausfordern können. Mit etwas Boshaftigkeit und Respektlosigkeit vor Cheftrainer Marc Crawford dürfen wir sagen: Den ZSC könnte auch Sportchef Sven Leuenberger zum Titel coachen. Sozusagen nebenher zu seiner Büroarbeit – und falls er noch etwas zu erledigen hat, am Hosentelefon.
Zürcher sind himmelhohe Favoriten. Punkt.
Die leise Resignation bei der Konkurrenz ist verständlich. Richtig ist: Es gibt keine hockeytechnischen oder statistischen Werte aus dieser Saison, die gegen die ZSC Lions sprechen. Den Zürchern wird zwar im Halbfinal und im Falle eines Falles im Final rein hockeytechnisch tatsächlich kein Kraut gewachsen sein. Aber es gibt eine oft unterschätzte Hockey-Romantik, die selbst in der hochprofessionellen und perfekt durchorganisierten NHL gilt: Hockey ist der letzte echte Mannschaftsport.
Das bedeutet: Wenn sich eine Gruppe junger Männer zu einer verschworenen Gemeinschaft zusammenfindet und sich auf eine Mission begibt, dann ist alles möglich. Unvergessen, wie St.Louis, das seit 49 Jahren auf den nächsten Final gewartet und den Stanley Cup noch nie geholt hatte, 2019 die wichtigste Hockey-Trophäe gewann. Noch am 4. Januar waren die Blues das schwächste Team der gesamten Liga. Dieser Stanley-Cup-Triumph ist ungefähr so, wie wenn bei uns Ajoie in die Playoffs vorrücken und dann den Titel holen würde.
Mag ja sein, dass die mächtige Hockeymaschine der ZSC Lions im Dauerwettbewerb der Qualifikation nicht gestoppt werden kann.
Aber in der kurzen Zeit einer Playoffserie ist ein Wunder möglich.
Es ist die Zeit, in der «Helden» geboren werden und Spieler weit über sich hinauswachsen, die zwischen September und März bloss Hinterbänkler waren.
Gerade die Zürcher wissen das: im Frühjahr 2000 scheint Lugano ein unbesiegbarer Titan zu sein. Als Qualifikationssieger rauschen die Tessiner ohne Niederlage (8 Siege, 43:11 Tore) in den Final. Und dort unterliegen sie nach einem lockeren Finalauftakt (5:2) in sechs Spielen sensationell den ZSC Lions, damals unter Trainer Kent Ruhnke ein Team von „Hockey-Grossstadt-Romantikern und -Neurotikern“ auf einer Mission. Noch keine durch und durch professionellen, taktisch und auch sonst bestens ausgebildeten „Hockey-Maschinisten“ wie heute.
Die Frage ist also: Wer kann im Frühjahr 2024 die Rolle der ZSC Lions von 2000 übernehmen? Wohl am ehesten Gottéron. Sofern es zu einem Final gegen die ZSC Lions kommt. Gottéron war noch nie Meister und ist erstmals seit der Finalniederlage von 2013 gegen den SCB wieder einmal auf meisterlicher Mission. Weniger Geld, aber mehr Romantik, mehr Emotionen und mehr Drama als bei den ZSC Lions. Die erstaunliche Gemeinsamkeit: Beide Klubs werden von überaus erfolgreichen Autohändlern (Hubert Waeber, Walter Frey) präsidiert. Wobei Walter Frey natürlich schon noch eine Nummer grösser ist.
Diese Saison war jedes Heimspiel ausverkauft. An Emotionen ist bei Gottéron kein Mangel. Sechs wichtige Spieler sind 35 oder älter. Gerade für diese Veteranen gilt: den Titel jetzt oder nie mehr. Eine grössere Motivation ist nicht denkbar.
Aktuelle
Note
7
Ein Führungsspieler, der eine Partie entscheiden kann und sein Team auf und neben dem Eis besser macht.
6-7
Ein Spieler mit so viel Talent, dass er an einem guten Abend eine Partie entscheiden kann und ein Leader ist.
5-6
Ein guter NL-Spieler: Oft talentierte Schillerfalter, manchmal auch seriöse Arbeiter, die viel aus ihrem Talent machen.
4-5
Ein Spieler für den 3. oder 4. Block, ein altgedienter Haudegen oder ein Frischling.
3-4
Die Zukunft noch vor sich oder die Zukunft bereits hinter sich.
Die Bewertung ist der Hockey-Notenschlüssel aus Nordamerika, der von 1 (Minimum) bis 7 (Maximum) geht. Es gibt keine Noten unter 3, denn wer in der höchsten Liga spielt, ist doch zumindest knapp genügend.
5,2
09.22
5,2
09.23
5,2
01.24
Punkte
Goals/Assists
Spiele
Strafminuten
Er ist
Er kann
Erwarte
Unbestreitbar ist aber: Der Titel geht über den Zett.
Das mag stimmen. Dass es aber so ist, ist Crawfords Werk. Er ist der Mechaniker, welcher diese Maschine entwickelt hat. Das haben in den letzten Jahren einige grosse „Mechaniker“ versucht und sind gescheitert. Noch immer kann aber die Maschine ins stottern kommen, wenn wichtige Teile versagen.
Wir werden sehen.