Die Berichterstattung wäre so einfach, wenn alles normal gelaufen wäre. Wenn die Zuger das 2:1 über die Runden gebracht hätten. Ach, die Schreibarbeit wäre zügig erledigt gewesen: Ein wenig Leonardo Genoni rühmen, ein bisschen das Versagen der offensiven ZSC-Titanen thematisieren und darauf hinweisen, dass es so knapp geendet habe, dass trotz der Auftaktniederlage mit den ZSC Lions gerechnet werden müsse. Noch vor Mitternacht Lichterlöschen in der Schreibstube.
Aber es ist eben nicht normal gelaufen und noch lange nach Mitternacht brannte das Licht in der Schreibstube. Wir müssen uns sogar ein wenig mit Regelkunde befassen: Wenn der Puck im Tor landet, darf der Coach nachprüfen lassen, ob alles mit rechten Dingen zu und hergegangen ist («Coaches Challenge»). Stellt sich bei der Überprüfung auf dem Stadion-Video oder den TV-Bildern (sie stehen im Final auch zur Verfügung) heraus, dass das Tor regulär ist, kassiert der Coach eine Zweiminutenstrafe. Stellt sich heraus, dass ein Regelverstoss stattgefunden hat, zählt das Tor nicht.
Wichtig dabei: Der Coach muss den Schiedsrichtern konkret sagen, was er beanstandet. Beispielsweise ein Offside, eine Torhüterbehinderung oder eine Aktion, die zu einem Spielunterbruch hätte führen müssen.
Drama. Zug führt 2:1. 108 Sekunden vor Schluss ersetzen die Zürcher Jakub Kovar durch einen sechsten Feldspieler. 89 Sekunden vor Schluss trifft Chris Baltisberger zum 2:2.
Regulär? Nein. Der Puck ist vom Fangnetz über dem Plexiglas aufs Eis zurückgeprallt. Hätte Dan Tangnes beim Schiedsrichter eine entsprechende Überprüfung verlangt, wäre das Tor mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit annulliert worden. Auf den TV-Bildern, die den Schiedsrichtern im Zeitnehmerhäuschen zur Verfügung stehen, ist zu erkennen, dass der Puck im Fangnetz war. Aber Zugs Trainer moniert eine Behinderung von Torhüter Leonardo Genoni. Die erkennen die Schiedsrichter nicht. Das Tor zählt, Zug kassiert eine Zweiminutenstrafe. Und die nützen die Zürcher 2,2 Sekunde vor dem Ende zum Siegestreffer.
Beim Zuger Ausgleich nimmt der EVZ eine Coaches Challenge und lässt eine Goaliebehinderung prüfen. Hätte er einen „verpassten Spielunterbruch“ prüfen lassen, hätte das Tor wohl nicht gezählt, da der Puck das Spielfeld verlassen hat!@official_EVZ pic.twitter.com/TDkwAwfawL
— MySports (@MySports_CH) April 18, 2022
Bleibt noch die Frage, warum Dan Tangnes nicht Spielunterbruch (Puck im Netz) reklamiert hat. Der Grund: Ein Trainer nimmt eine «Coaches Challenge» aufgrund der Informationen, die ihm die Assistenten liefern, die oben auf der Tribüne die Bilder prüfen – und die sind irrtümlich davon ausgegangen, dass der Puck im Fangnetz auf den Bildern nicht zu sehen ist und nur eine Torhüterbehinderung für eine «Coaches Challenge» bleibt.
Zum Drama gehört: Die Zuger kommen während des Zürcher Powerplays zu einem Konter. Dario Simion scheitert an ZSC-Goalie Jakub Kovar. Es wäre wohl der Siegestreffer gewesen. Der Wäre, der Hätte und der Könnte – Brüder, die am Ende mit leeren Händen dastehen.
Bei jeder anderen Mannschaft, jedem anderen Trainer und jedem anderen Torhüter wäre diese Drama-Niederlage ein Stich ins Herz. Aber nicht bei Zug, nicht bei Dan Tangnes und nicht bei Leonardo Genoni.
Wir dürfen sagen: Für Zug haben die Playoffs erst mit dieser ersten Finalpartie begonnen. Weder Lugano im Viertelfinal noch Davos im Halbfinal vermochten die Zuger richtig zu fordern. Zug ist mit acht Siegen hintereinander in den Final eingezogen. So sieht es Dan Tangnes natürlich nicht. Eine Bestätigung dieser Theorie wäre eine Geringschätzung von Lugano und Davos. Davor hütet sich ein kluger Trainer. Aber natürlich ist es so, dass die Zuger nun erstmals in diesen Playoffs gefordert werden.
Die Reaktion des Trainers auf die Drama-Niederlage ist ein Hinweis darauf, dass der Meister nicht im Herz getroffen worden ist. Dan Tangnes sagt, dass sein Auftreten am nächsten Tag das gleiche sein wird, wie wenn seine Mannschaft gewonnen hätte. Ein guter Coach versteht es, die Emotionen zu «managen». Stark vereinfacht gesagt: Nach einer Niederlage nicht noch «draufhauen». Nach einem Sieg nicht «abheben.» Oder wie es der Norweger auch sagt: Das Resultat könne er nicht beeinflussen. Aber die Art und Weise, wie seine Mannschaft spielt.
Auch wenn eine missglückte Coaches-Challenge im Drama der letzten Sekunde eine Rolle spielt: Zu kritisieren gibt es eigentlich nichts. Dieser Umschwung ist der Unberechenbarkeit eines Spiels auf rutschiger Unterlage geschuldet. Wenn schon Kritik sein soll, dann höchstens die: Die Zuger waren im Schlussdrittel um eine Spur zu passiv. Was bei einer 2:0-Führung und Leonardo Genoni als Rückhalt beinahe logisch ist.
Wir können es auch andersherum sehen: Die Zürcher mussten bei einem 0:2-Rückstand mehr riskieren. Also logisch, dass sie aktiver waren. Sie dominierten die Zuger im Schlussdrittel mit 17:7 Torschüssen. Seit dem ersten Viertelfinalspiel gegen Lugano musste der Meister im letzten Drittel nie mehr so unten durch. Mit 13:3 Abschlüssen schaffte Lugano damals zum Playoffauftakt in Zug den Ausgleich zum 1:1 und verlor in der Verlängerung.
Es wird wohl in diesem Final noch mehr Drama-Entscheidungen geben. Denn es sind zwei ebenbürtige Mannschaften. Tempo, Härte, Präzision, Geduld, Konzentration, Selbstvertrauen, Stilsicherheit, Ausgeglichenheit über vier Linien, Taktik, Trainer und Torhüter – da passt kein Löschblatt zwischen die zwei Teams.
Es ist ein Final, den am Ende wohl die Torhüter entscheiden werden. Leonardo Genoni hat bis heute jeden Playoff-Final gewonnen, den er gespielt hat: 2009, 2011 und 2015 mit Davos, 2017 und 2019 mit Bern sowie 2021 mit Zug. Weil er in jedem dieser Finals der bessere Torhüter war. 2009 und 2011 besser als Klotens Ronnie Rüeger, 2015 besser als Lukas Flüeler (und das will wahrlich etwas heissen, denn Lukas Flüeler hat die Finals von 2012, 2014 und 2018 gewonnen!), 2017 und 2019 besser als Zugs Tobias Stephan und 2021 noch besser als Servettes Daniel Manzato. Und selbst den WM-Final von 2018 hat er gegen Schweden erst im Penaltyschiessen verloren.
Die Frage, die diesen Final entscheiden wird: Ist Leonardo Genoni auch besser als Jakub Kovar? Nach dem ersten Finalspiel müssen wir sagen: Nein, war er nicht. Die Statistik zeigt die Dramatik nicht: 91,18 Prozent Fangquote für Leonardo Genoni, 92,00 Prozent für Jakub Kovar. Diese Statistik hat weder Dramatik noch Aussagekraft.
Es ist etwas anderes: Jakub Kovar hält den Schuss von Dario Simion, der Zug in Unterzahl (!) das 3:2 und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit den Sieg gebracht hätte. Jakub Kovar hat Zug den Sieg gestohlen. Leonardo Genoni vermochte den Zürchern den Sieg nicht zu stehlen.
Jakub Kovar ist Zugs grösstes Problem.
Darüber zu lamentieren dass der Puck das Netz berührt hat und das 2:2 deswegen nicht hätte zählen dürfen ist müssig, der Coach hat wider besseren Wissens die falsche Eintscheidung getroffen und ja ein bisschen Glück war auch dabei, auf der anderen Seite hätte es nach zweimal Pfosten im ersten Drittel auch 0:2 stehen können.
Und warum ist der Gegner des Titelverteidigers und Qualisiegers genau Favorit?