Politiker haben die Angewohnheit, nach 100 Tagen im Amt eine erste Bilanz zu ziehen. So viel Zeit bleibt einem Fussballtrainer selten. Vor 79 Tagen hat Paulo Sousa beim FC Basel seine Arbeit angetreten und schon jetzt hat die Liaison erste Kratzer im Lack.
Das Muster erinnert an eine moderne Grossstadtbeziehung und wird vielen Menschen aus ihrem eigenen Privatleben bekannt vorkommen: Die Sache mit dem alten Partner, in diesem Falle Murat Yakin, war nur noch zermürbend und nicht mehr zu retten. Dann steht der Neue auf der Matte – und ist auf den ersten Blick einfach perfekt. Er sagt kluge Dinge, verspricht eine goldene Zukunft – und dabei sieht er auch noch unverschämt gut aus. Kurz, man ist ein bisschen verknallt.
Leider folgt die erste Ernüchterung meist eher früh als spät. Ein verpatztes Date, die doofen Freunde, irgendetwas ist fast immer. Beim FC Basel sind es zwei Klatschen innerhalb von vier Tagen. Erst die unerwartete, nach einem pomadigen Auftritt beim krisengeschüttelten GC – und dann die vorhersehbare, aber nicht minder schmerzhafte, beim Giganten Real Madrid.
In dieser Phase neigt man dazu, seinen Schwarm plötzlich überkritisch zu betrachten. Quatscht der eigentlich nur oberflächliches Zeug? Ich hasse es, wie er beim Essen schmatzt – und wie ist der überhaupt angezogen? Ob das mit uns überhaupt eine Zukunft hat?
Rund um den FC Basel werden nach dem missglückten Ausflug nach Madrid vor allem durch die Medien zwei Krisen-Süppchen auf viel zu hoher Flamme gekocht. Das erste ist die vermeintliche Vertrauensfrage. Im tiefen Bauch des Bernabeu hat sich Sousa nach der Demütigung durch Real an seine Mannschaft gewandt. Er sei trotz der Ohrfeige überzeugt, dass man auch gegen übermächtige Gegner mutig mitspielen solle, statt sich einzuigeln. Ob die Spieler das genau so sehen und mit ihm weiter diesen Weg gehen möchten? Die Mannschaft hat geschlossen zugestimmt.
Der Trainer selbst hat die Öffentlichkeit freimütig über diese Episode ins Bild gesetzt. Es ist anzunehmen, dass er darin auch eine Rechtfertigung für seine missglückte Taktik sieht. Sportchef Heitz und Captain Streller erklären vor dem Rückflug, dass es keine Vertrauensfrage war, sondern nur ein rhetorischer Trick. Der Trainer wollte damit die vom 500-Millionen-Sturm mit Ronaldo, Bale und James zerzauste Mannschaft wieder aufbauen. Doch das möchten die Beobachter schlicht nicht hören. Vom Rhein bis an die Rhone wird die Geschichte mit Bedeutung aufgeladen, die sie höchstwahrscheinlich nicht hat.
Das zweite Süppchen ist da schon würziger. Vor sieben Tagen ist Sousas Landsmann und Namensvetter Paulo Bento nach der schlechten WM und dem verpatzten Auftakt zur EM-Quali gegen Albanien als portugiesischer Nationaltrainer zurückgetreten. Der Verband sucht fieberhaft nach einem Nachfolger, denn schon am 14. Oktober steht der nächste Ernstkampf gegen Dänemark an.
An der Pressekonferenz nach dem Real-Debakel wird Paulo Sousa auf den freien Posten angesprochen. Wäre er nicht eine gute Option? Die Antwort: «Portugals Verband hat sehr fähige Leute, um das Profil des neuen Trainers zu definieren. Ich glaube, sie werden die Entscheidung treffen, welche die beste für die Nationalmannschaft ist.» Ein «Nein» tönt definitiv anders.
Doch auch dieses Intermezzo darf man nicht überbewerten. Es ist nicht besonders schlau, zu Beginn einer Beziehung schon fremd zu flirten – doch natürlich schmeichelt es Sousa, wenn er als Kandidat bei jener Nati gehandelt wird, bei der er selbst 51 Mal im Einsatz stand. Er ist nicht der erste Trainer, der sich nicht von solchen Gerüchten distanziert - weil sie schlichtweg seinen Marktwert erhöhen.
Nur ist Portugals Verband an einer schnellen Lösung interessiert, zu welcher der FC Basel mitten in einer Champions-League-Kampagne niemals Hand bieten wird. Als aussichtsreiche Kandidaten werden vor allem Griechenlands Ex-Trainer Fernando Santos und U21-Coach Rui Jorge gehandelt. Dazu kommt mit Leonardo Jardim eine Option, die gerne bei der von Finanzsorgen geplagten AS Monaco von Bord gehen würde.
Es wäre Unsinn zu behaupten, dass der Himmel zwischen dem FC Basel und Sousa voller Geigen hängt. Dazu hat der 44-jährige Portugiese in seiner kurzen Amtszeit für viel zu viele Irritationen gesorgt. Weil er durch seine dauernden Rochaden und Systemwechsel eine klare Handschrift vermissen lässt und mit extensiver Phrasendrescherei an Pressekonferenzen aufwartet - oder die Öffentlichkeit gleich ganz vom Trainingsgelände aussperrt. Auch indem er die Spieler zwingt, täglich mit der Mannschaft, statt mit ihren Familien zu frühstücken und sie sogar im Schlaf mit Pulsmessern überwachen lässt. Er irritiert die Medien, weil er bei Auswärtsfahrten wie nach Madrid den Kontakt mit der Mannschaft grösstenteils verbietet. Einige Spieler sind angesäuert, weil der Trainer ihnen das Trikot von Cristiano Ronaldo wegschnappt, sie nach 36 Minuten demonstrativ auswechselt - oder sie aufgrund der riesigen Konkurrenz gar auf die Tribüne setzt.
Doch am Ende zählen beim FC Basel zwei Dinge: Erfolg und Spektakel. Diese hat Sousa bisher geliefert – und das geht in der aktuellen Diskussion schlicht vergessen. Der Meister hat in der Liga den besten Saisonstart seit sechs Jahren hingelegt: Yakin, Vogel und Fink waren immer schlechter – nur die Startbilanz von Christian Gross aus dem Jahr 2008 hat Sousa nicht geknackt.
Am Titel der letzten Saison wurde zudem hauptsächlich bemängelt, dass die Mannschaft unter Yakin spektakelfrei 15 Mal nur unentschieden spielte – unter Sousa steht diese Zahl nach knapp einem Viertel der Meisterschaft bei null und die Mannschaft hat durchschnittlich 2,375 Treffer pro Spiel erzielt.
Wenn der FC Basel in den Matches gegen Liverpool und Ludogorets keine Erfolgserlebnisse verbucht – oder bis zur Winterpause den Anschluss an die Spitze der Super League verliert, dann kann man die Messer wetzen. Dann darf und muss sich die Klubführung auch fragen, ob die Beziehung mit Sousa sie wirklich glücklich macht. Wenn sie es jetzt schon täte, dann wäre das ziemlich voreilig und flittchenhaft.