Es war angerichtet, um aus einem Festtag einen Freudentag zu machen. Die Hoffnung im und rund ums Lager von Ferrari war zurück. Leclerc hatte die Erwartungen mit der Eroberung des besten Startplatzes am Samstag wieder in die Höhe geschraubt. Der Monegasse hatte die Basis geschaffen, der geschichtsträchtigen Veranstaltung in Monza aus einheimischer Sicht die sportliche Krone aufzusetzen – am Wochenende, an dem das Autodromo Nazionale seinen 100. Geburtstag feierte und Ferrari das 75-Jahre-Jubiläum des Unternehmens beging.
Zu gegebenem Anlass waren die Roten nicht ganz so rot wie gewohnt. Verschiedene Komponenten am Auto waren in Gelb gehalten, die Fahrer trugen gelbe Rennanzüge und gelbe Helme, die gesamte Crew war in gelbe Kluft gekleidet. Das Gelb war eine Ehrerweisung an Modena, die Geburtsstadt von Firmengründer Enzo Ferrari. Modena trägt das Gelb in seinem Wappen.
Consecutive podiums for Charles Leclerc 👍
— Formula 1 (@F1) September 11, 2022
The Monza faithful gave the Ferrari driver a rapturous reception 🙌#ItalianGP #F1 pic.twitter.com/rHEEZ0XHDI
Den rosigen Aussichten der nicht ganz Roten hatte Leclerc zusätzlichen Schub verliehen. «Ich denke, wir sind in der Lage, das Rennen zu gewinnen», hatte der Monegasse posaunt. Der Satz klang wie Musik in den Ohren der Ferraristi. Sie fühlten sich zurückversetzt in eine Zeit, in der die Scuderia das Mass aller Dinge war in der Formel 1, in eine Zeit, die noch gar nicht so lange zurücklag, sechs Monate nur.
Damals, in der ersten Phase der Saison, war Leclerc der Dominator. Da hatte er die Tifosi verzückt, sie zum Träumen gebracht. Da schien einer auf dem Weg zum ersten Titel eines Ferrari-Fahrers seit 15 Jahren. Übrig blieb von dieser Herrlichkeit aber nicht allzu viel. Die Glückseligkeit auf dem Stiefel musste ein weiteres Mal der Tristesse weichen.
Wie aber konnte es zur Kehrtwende in diesem Ausmass kommen? Die haarsträubenden, sich an den Grand-Prix-Wochenenden häufenden Fehler am Kommandostand und in der Box als einzigen Grund zu nennen, wäre zu oberflächlich analysiert. Die Rotation an der Spitze der Formel-1-Hierarchie hatte auch und vor allem mit der direkten Konkurrenz zu tun, die im technischen Bereich Fortschritte erzielte. Im Team Red Bull machten sie aus einem sehr guten Auto den Primus unter den aktuellen Rennwagen.
Der RB18 erlaubt es Verstappen mittlerweile, auf allen Strecken federführend zu sein. Das Segment für die optimale Leistung ist grösser geworden. Der Ferrari, der F1-75, dagegen hat sich in die entgegengesetzte Richtung entwickelt.
Die Vorzüge des RB18 nutzte Verstappen auch in Monza. Das Handicap des nach einer Rückversetzung ungewöhnlichen Startplatzes 7 hatte er nach der ersten Runde schon mehr als zur Hälfte wettgemacht, nach vier Umgängen war er bereits erster Verfolger des zu jenem Zeitpunkt führenden Leclerc. Der Monegasse hielt die Hoffnung der Ferrari-Fans auf einen Heimsieg bis 20 Runden vor Schluss aufrecht.
Als Leclerc aber ein zweites Mal für einen Reifenwechsel seine Fahrt unterbrach, war die Entscheidung zugunsten von Verstappen gefallen – umso mehr das Rennen hinter dem Safety-Car zu Ende ging und sich der Monegasse seiner letzten Möglichkeit beraubt sah, den Niederländer doch noch abzufangen. Die Neutralisation hatte Daniel Ricciardo sechs Runden vor Schluss nötig gemacht. Der Australier war wegen eines Öllecks im McLaren unterwegs stehen geblieben. Platz 3 belegte der Brite George Russell im Mercedes.
Für Alfa Romeo endete die Durststrecke ohne Punkte in Italien nach sechs Rennen ohne Punkterang. Zhou Guanyu wurde Zehnter, Valtteri Bottas fuhr auf den 13. Platz. Für eine Überraschung sorgte derweil Nyck de Vries, der im Williams zwei Punkte einfuhr. Der 27-jährige Niederländer debütierte in der Formel 1, weil Alexander Albon mit einer Blinddarmentzündung ausfiel. Es waren erst die Punkte 5 und 6 für den britischen Rennstall.
What a fantastic effort. @nyckdevries comes home P9 on his debut @F1 race to pick up two more points for the team 👏#WeAreWilliams #ItalianGP
— Williams Racing (@WilliamsRacing) September 11, 2022
Mit seinem elften Sieg in der laufenden Saison vermochte Verstappen endlich eine offene Rechnung mit dem Hochgeschwindigkeitskurs im Königlichen Park zu begleichen. Bei seinen vorangegangenen sieben Auftritten in Monza hatte es ihm nie aufs Podium gereicht. Als bisheriges Bestergebnis hatte er Rang 5, erreicht vor vier Jahren, in seiner Bilanz stehen.
Dank der Verlängerung seiner Siegesserie baute Verstappen als Führender in der Gesamtwertung seinen ohnehin grossen Vorsprung auf den zweitklassierten Leclerc um weitere 7 auf 116 Punkte aus. Die (vorzeitige) Entscheidung ist nur noch eine Frage der Zeit. Es ist längst angerichtet für Verstappens erfolgreiche Titelverteidigung. (nih/sda)