Wenn ein kleines Kind quengelt und unzufrieden ist, dann versuchen die Eltern mit möglichst tiefem Puls zu beruhigen. Ihm die Dinge zu erklären. Es wieder in die Spur zu bekommen, vielleicht mit einem Deal. Sie sollten aber hierarchisch bleiben. Wenn Granit Xhaka im Kreis der Nati quengelt, unzufrieden ist, zum Rundumschlag ausholt und auch die Trainingsgestaltung kritisiert, dann versucht sein Coach Murat Yakin ihn mit möglichst tiefem Puls zu verstehen. Die Dinge im Lot zu halten, vielleicht mit einem Deal. Er sollte aber hierarchisch bleiben.
So könnte man sich das 45-minütige, laut Yakin «offene und ehrliche Gespräch» vorstellen, das zwischen dem einen etwas reiferen und dem anderen noch voller jugendlicher Energie steckenden Mann stattgefunden hat am Sonntag. Zuerst also sagte Yakin zu Xhaka, dass er seine Aktion nicht gut gefunden hat.
Es war unnötig, das öffentlich auszutragen.» Und dann: «Ich habe es nicht als Kritik empfunden, mehr als Anregung. Unmittelbar nach dem emotionalen Spiel muss man das relativieren und Verständnis zeigen.» Eine Anregung also, keine Kritik – diese Ansicht mag er dem Frieden zuliebe haben.
Und der Deal? Xhaka wird in Zukunft in die Trainingswoche mehr involviert sein, das bedeutet: Er wird in die Gestaltung von Wochenprogramm und Teamaktivitäten einbezogen. Und um es gleich klarzustellen, sagte Yakin: «Bei den Aufstellungen und den Trainingsinhalten entscheidet er nicht mit, das mache nur ich.» Bei allem Verständnis ist nun aber reflexartig dieses Gefühl da: Der Trainer, ja der Verband, gibt Xhaka noch mehr Macht, macht Zugeständnisse und versucht, die Eskalation zu verhindern. Weil alle wissen, was Xhaka auf dem Platz für die Schweizer bedeutet.
Das sechste EM-Qualifikationsspiel steht am Dienstagabend in Sitten an, Andorra ist der Gegner, es gibt aufregendere Aufgaben für die Nati. Wobei es den Aufreger mit der grundsätzlichen Xhaka-Kritik ja gegeben hat, spätnachts in Pristina. Weshalb die Partie gegen den Gruppenletzten mehr Bedeutungsschwere bekommt. Wie geht es weiter mit dem Konflikt, wenn es denn einer sein soll? Und vor allem: Was plant Yakin?
So erreichte die Pressekonferenz für die Begegnung gegen die Weltnummer 154 im Bauch des Tourbillon eine viel grössere Dimension, als sie es im Normalfall hätte. Yakin war da, natürlich, und machte gelassen seine Ausführungen. Nicht aber Xhaka, sein Captain, sondern Remo Freuler, der eineinhalbfache Torschütze gegen Kosovo. Yakin fuhr fort: «Ich kenne Granit sehr gut, ich kann das einordnen. Wir haben Gemeinsamkeiten, wie wir aufgewachsen sind, und sind es gewohnt, eine harte, laute Gangart zu haben.»
Es ist nicht das erste Mal, dass sich Yakin mit Führungsspielern oder Aushängeschildern auseinandersetzen muss. Man erinnere sich an Alex Frei und an Marco Streller, im FC Basel wie schweizweit Stars. Yakin tat sich damals als FCB-Coach nicht so leicht im Umgang mit den verdienten Stürmern, und sprach er zu Beginn davon, sie wie Könige zu behandeln, blieb in der Folge vor allem mit Frei nicht viel davon übrig.
Das führte zu Irritationen und Positionsverschiebungen auf dem Rasen, und vermutlich war auch Yakin ein bisschen dafür verantwortlich, dass Frei im April 2013 33-jährig zurücktrat. Auch mit Streller war es nicht immer einfach, Auswechslungen beispielsweise wurden so stark hinterfragt, dass Yakin sich bemüssigt fühlte, «das gegenseitige Vertrauen einmal anzuschauen».
Dieses Vertrauen hat der Nationalcoach jetzt also bei Xhaka abgeklopft, einer Grösse des Fussballs, dem manchmal die Etikette «Weltklasse» umgehängt wird. Wobei: Granits Vater Ragip hatte ja einst betont, die Söhne Yakin anzuvertrauen, nachdem dieser den älteren Taulant beim FC Basel fussballerisch wieder aufgerichtet hatte.
Yakin bemüht sich also auch ein bisschen, jener Papa zu sein im Nationalteam, der Xhaka am Samstagabend im Kosovo nicht sein wollte. Aber die Nebengeräusche, die er tunlichst vermeiden wollte, sind da. Yakin hat seine Haltung schon mehrmals kundgetan, auf emotionale Äusserungen nicht ebenso emotional zu reagieren, weil sonst viel kaputtgehen könne. «Es braucht dann Gelassenheit», pflegt er jeweils zu sagen.
Was veranschaulicht, dass er speziellen Spielern zwar keine Sonderbehandlung geben, sie aber individuell und vertrauensvoll behandeln möchte. Auch deshalb hat Yakin in London seinen Captain dreimal besucht. Das alles könnte erklären, weshalb Yakin nun weitsichtig manövriert. Verbunden mit der Forderung, sein Captain möge auch auf dem Platz vorausgehen. «Ich denke, es wird nicht nochmals vorkommen», sagte Yakin. Man sei auf dem richtigen Weg miteinander.
Die Frage ist nur: Wie lange wird Xhaka auf diesem richtigen Weg bleiben und was würde passieren, wenn er ihn nochmals verliesse? Bislang hat es nie eine Abstrafung gegeben, wobei eine Denkpause genau gegen Andorra möglich gewesen wäre.
Freuler, wie Xhaka, Akanji, Shaqiri, Sommer und Zakaria Mitglied des Mannschaftsrats, war ein wenig der Leidtragende des Kosovo-Nachspiels. Er hatte als Einziger eine gute Partie gezeigt, und wäre das alles nicht passiert, wäre sein Auftritt gewiss mehr gewürdigt worden. So war es nun aber wie immer: Der Mittelfeldspieler blieb im Schatten Xhakas. Freuler ist einer, der sich durchaus genervt zeigen kann, wenn sich die Dinge wieder und wieder um den Captain drehen. Dieses Mal sagte er: «Es sind einige Aussagen gemacht worden, die man nicht immer so ernst nehmen sollte.»
So viel sei auch noch gesagt: Die ersten Minuten des Abschlusstrainings, die für die Medien offen sind, waren dieses Mal gefühlt intensiver. Doch ist es wie überall: Auch hier gibt es Interpretationsspielraum. (kat)