Bei Milan haben sie Respekt vor dem Gang nach Dortmund. Natürlich, weil heute im ersten Auswärtsspiel der diesjährigen Champions-League-Kampagne ein Bundesliga-Spitzenteam auf die Mailänder wartet. Noch mehr aber als die Mannschaft der Borussia bereitet Milan die Südtribüne im Signal-Iduna-Park Sorgen. In den italienischen Medien wird dieser mit ihren 20'000 Fans fast schon mit Ehrfurcht begegnet. Wenn es um Borussia Dortmund geht, liest man in den Zeitungen mehr vom «Muro giallo» («gelbe Wand») als von Trainer Edin Terzic oder Stürmer Niclas Füllkrug.
Der Respekt ist so gross, dass Milan am Dienstag im Abschlusstraining auf dem eigenen Vereinsgelände sogar die Dortmunder Stadion-Stimmung über Lautsprecher zu imitieren versuchte. Dabei sollten sich die Milan-Spieler an eine laute Atmosphäre gewohnt sein. Im eigenen Stadion Giuseppe Meazza spielt die Mannschaft seit zwei Jahren in der Regel vor über 70'000 Fans.
Einer, der sich über eine ohrenbetäubende Ambiance freut, auch wenn sie von fremden Fans erzeugt wird, ist Noah Okafor. Vor wenigen Wochen jedenfalls schwärmte Milans Schweizer Stürmer nach seinem Transfer von Salzburg nach Mailand im Gespräch mit dem Klubsender «MilanTV»: «Als ich vor einem Jahr mit Salzburg in der Champions League im San Siro gegen Milan spielte, war ich beeindruckt von der lauten Stimmung. Es war unglaublich, wie die Fans ihre Mannschaft während 90 Minuten unterstützt haben. Das geniesst man auch als Spieler der gegnerischen Mannschaft.»
Am letzten Samstag konnte Okafor diese Atmosphäre im Mailänder Stadion zum ersten Mal auch als Milan-Spieler so richtig geniessen. Beim 2:0-Heimerfolg gegen Lazio Rom schoss er das siegsichernde zweite Tor. Und weil er vier Tage zuvor bereits im Auswärtsspiel gegen Cagliari getroffen hatte, als er erstmals von Beginn weg spielte, kann man sagen: Okafor ist in Mailand angekommen.
Rafael Leão had the Lazio defence on toast to set up Noah Okafor tonight
— Sean Gillen (@SeanGillen9) September 30, 2023
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Der 23-jährige Basler ist zwar noch kein Stammspieler, aber auch dank ihm ist Milan in dieser Saison besser aufgestellt als in den letzten Jahren, als es trotz schmalen Kaders zum Meistertitel (2022) und für die Champions-League-Halbfinals (2023) reichte. Okafor ist einer von sechs Spielern, welche Milan vor dieser Saison für zwischen 14 und 20 Millionen Euro verpflichtete. Es waren Transfers, die möglich wurden durch den Verkauf des Strategen Sandro Tonali für rund 80 Millionen Euro an Newcastle United.
Okafors Aufgabe ist es, bereit zu stehen, wenn die Superstars in der Offensive, der Portugiese Rafael Leão und der Franzose Olivier Giroud, eine Pause brauchen. Weil Okafor deren Positionen auf dem linken Flügel und im Sturmzentrum gleichermassen gut besetzen kann, wollten sie ihn bei Milan unbedingt. Die Mailänder überboten deshalb im Sommer das Angebot von Lazio Rom, das Okafor eigentlich zum Nachfolger des italienischen Nationalstürmers Ciro Immobile aufbauen wollte.
Nach seinen guten Leistungen in Cagliari und als Joker gegen Lazio tritt Okafor heute in Dortmund wohl wieder in die zweite Reihe. Zu einem Duell mit dem Nationalteamkollegen Gregor Kobel im Tor von Borussia Dortmund kommt es mutmasslich zumindest zu Beginn nicht. Mit einem Teileinsatz darf Okafor aber rechnen. Schliesslich wechselte ihn Trainer Stefano Pioli noch in jedem Spiel ein. Und dann will Okafor, der den Stadionlärm so liebt, mit einem Tor den «Muro giallo» zum Schweigen bringen – und für einmal auch die Stille im Stadion geniessen.