1667 einigte sich die Niederlande mit England im Zuge des zweiten Englisch-Niederländischen Seekriegs auf einen Tauschhandel. England erhielt – etwas vereinfacht ausgedrückt – die niederländische Kolonie Nieuw Amsterdam (heute bekannt als New York), die Niederlande durfte im Gegenzug das Gebiet des heutigen Surinames verwalten. Über 200 Jahre sollte die niederländische Herrschaft im kleinsten Land Südamerikas dauern. Die Auswirkungen dieser Kolonialisierung sind noch heute sichtbar – so auch in der Nationalmannschaft, die gegen England um den Einzug in den Final der Europameisterschaft kämpft.
Was haben die niederländischen Nationalspieler Virgil van Dijk, Xavi Simons, Denzel Dumfries, Steven Bergwijn und Donyell Malen – neben ihrem fussballerischen Talent – gemeinsam? Sie alle haben familiäre Wurzeln im Norden Südamerikas, genauer in Suriname. Das Land, begrenzt vom Atlantik im Norden, Französisch-Guayana im Osten, Brasilien im Süden und Guyana im Westen, ist fast viermal so gross wie die Schweiz, hat aber nur 600'000 Einwohner. Die meisten Siedlungen befinden sich in Küstennähe, da ein Grossteil des Landes von dichten Wäldern bewachsen ist.
Als Folge der niederländischen Vergangenheit als Kolonialmacht leben noch einmal fast so viele Menschen mit surinamischer Herkunft – rund 400'000 – in den Niederlanden. Der Anteil an der Gesamtbevölkerung beträgt dort 2,3 Prozent. Viel grösser ist jedoch ihr Einfluss im Nationalteam. Fast 20 Prozent der Spieler des aktuellen Kaders haben familiäre Verbindungen zur ehemaligen Kolonie.
Dass Fussballer mit Wurzeln in Suriname die holländische Nationalmannschaft prägen, ist nichts Neues. Doch das Umfeld, das der erste holländische Nationalspieler mit surinamischer Herkunft, vorfand, war feindselig. Bevor Humphrey Mijnals es 1960 in das Nationalteam schaffte, wurde der Verteidiger als Mittelstürmer eingesetzt, weil für viele Niederländer ein schwarzer Spieler in der Verteidigung undenkbar war.
Diese Logik mag sinnbefreit sein, doch auch der Sportjournalist Umberto Tan, ebenfalls mit Wurzeln in Suriname, sieht in den beiden Fussballkulturen gewisse Muster, die in Kombination explosiven Charakter haben: «Die Holländer wollen alles besprechen, wohingegen die surinamischen Spieler eher intuitiver spielen. Wenn man das mit der holländischen Effektivität kombiniert, ist es absolut tödlich», erklärte er gegenüber LAOLA1.
Endgültig eingeläutet wurde die von surinamischen Spielern geprägte Ära im holländischen Fussball mit Ruud Gullit und Frank Rijkaard, die zwischen 1981 und 1994 für die Elftal aufliefen und an der EM 1988 den bis heute einzigen holländischen Titel holten. Seit dem Duo Gullit/Rijkaard gab es in der Niederlande keine Fussball-Auswahl mehr, die ohne Spieler mit Wurzeln in Suriname auskam.
Als Wegbereiter musste Gullit auch viel Rassismus erfahren – so bezeichnete beispielsweise Trainer Thijs Libregts vom Grazer Athletiksport-Klub «schwarze Spieler wie Gullit» als «faul». Und im Rahmen dieser Euro stand Gullit im Zentrum einer Debatte, nachdem sich im Spiel drei Fans im Sinne einer Hommage als Ruud Gullit verkleidet und ihre Gesichter schwarz bemalt hatten. Gullit selbst, sah das ganze weniger kritisch: «Ich fühle mich eigentlich geehrt», sagte er über die Aktion der Fans.
Die nächste «surinamische» Generation um Clarence Seedorf, Edgar Davids und Patrick Kluivert war eher durch verpasste Chancen als durch Titelgewinne geprägt. Dass das Team trotz grossem Talent den Triumph an einem grossen Turnier nicht wiederholte, war wohl auch der kulturellen und generationsbedingten Spannungen innerhalb des Teams geschuldet.
Während sich in der Schweiz Doppelbürger frei entscheiden dürfen, für welche Nation sie auflaufen möchten, war dies für Niederländer mit Wurzeln in Suriname lange nicht möglich. Denn: Suriname war bis 2019 das einzige FIFA-Mitglied, das keine Doppelstaatsbürgerschaft zuliess. Das bedeutet konkret: Wenn es ein talentierter Spieler nicht bis in die holländische Nationalmannschaft schaffte, hatte er auch nicht die Möglichkeit, für Suriname zu spielen.
«Das Thema doppelte Staatsbürgerschaft ist in Suriname ein sensibles. Die antikoloniale Stimmung im Land hat eine Gesetzesänderung viele Jahre lang verhindert», erklärte John Krishnadath, Präsident des Fussballverbandes in Suriname. Diese Hürde wurde nun beseitigt und so kommt es, dass Nigel Hasselbaink, der Sohn des ehemaligen Elftal-Spielers Jimmy Floyd, in einem grün-weiss-rotem anstatt einem orangen Dress spielt.
Sollte die Niderlande heute Abend gegen England gewinnen und in den Final der Europameisterschaft einziehen, dürfte auch in Suriname darüber gesprochen werden. Denn, wie es Umberto Tan ausdrückt: «Ein Teil des orangenen Erfolgs wurde in Suriname geboren».
Geht's nur mir so? :D
Gibt übrigens heute noch so Dumpfbacken, die damit Mühe haben, dass manche Spieler etwas dunkler sind.
Wenn sowas den Spass an Erfolgen seiner Mannschaft schmälert, sollte man zu Schneckenrennen wechseln.