Nach den EM-Qualifikationsspielen der Schweizer Nati bleibt eine Frage hängen: Wie entwickelt sich das Verhältnis zwischen Captain Granit Xhaka und Trainer Murat Yakin? Hat das klärende Gespräch die Differenzen ausgeräumt oder bleibt der Streit belastend? Unsere Autoren sind sich nicht einig – lesen Sie zwei Meinungen.
Längst gibt es das Bonmot: «Wenn es Granit Xhaka noch nicht gäbe, müsste man ihn erfinden.» Murat Yakin hat es einmal formuliert. Die Journalisten danken es jeden Tag wie jene Fans, die ein Optimum mit der Fussballschweiz wollen. «Wenn es Murat Yakin noch nicht gäbe, man müsste ihn erfinden.» Könnte man ebenfalls ungeniert sagen. Kaum ein anderer Coach würde derart unaufgeregt und tiefenentspannt die von Xhaka vorgetragene Kritik moderieren.
Wer weiss, was passiert wäre, hätte Yakin emotional verbal und mit Taten reagiert, zurückgeschossen gar. Doch der Trainer spürt, dass er seinen Star nur geduldsam und mit viel Verständnis für sich gewinnen kann – ja gewinnen muss, wohlgemerkt. Es ist wie beim Papa mit dem Sohn. Wenn es dann halt ein bisschen Zeit braucht, dann ist es eben so. Aber die Suppe wird ausgegessen.
Es mag erstaunen, doch im Grunde sind die beiden Alphatiere unbeschadet aus der Affäre herausgekommen und alles ist wieder gut. So der Eindruck. Denn Yakins Herangehensweise und individuelle Behandlung trägt Früchte. Selbst Xhaka erkennt und spürt spätestens jetzt, dass es der Trainer gut mit ihm meint und wie er nur das Beste will. Also gab sich der Captain geläutert wie einsichtig nach dem Auftritt gegen Andorra und sagte, er hätte die Dinge früher und intern ansprechen sollen. «Aber ich bin leider so, wie ich bin. Es war auch ein Weckruf. Und es ging nie gegen den Coach. Ich hoffe, die Mannschaft nimmt es nicht persönlich.»
Xhaka braucht die Reibung, die Provokation. Das Kind kosovarischer Einwanderer lebt diesen Modus, um das Maximum aus sich herauszukitzeln. Sicher verzweifelt Yakin manchmal auch und macht sich seine Gedanken. Aber er vergibt, nur vergessen dürfen beide nicht, worum es letztlich geht: um die Schweiz, um das Team. Und weil das so ist, wird Yakin in Bälde seinen «Sohn», der ihm doch so ähnlich ist, in Leverkusen besuchen. Denn wie sagte Xhaka auch? Mit jedem Gespräch wird unser Verhältnis nur noch besser. Der Weg ist zwar steinig, aber sie sind jetzt auf dem richtigen.
Hier ein Wort des Bedauerns, da ein Satz mit etwas Verständnis. Ja, das mag gut tönen und die Wogen ein bisschen glätten. Nur: Das wahre Gesicht zeigt die Nati nicht nach einem 3:0-Sieg gegen Andorra. Sondern dann, wenn der nächste Rückschlag kommt.
Es sind darum Zweifel angebracht, ob wirklich alles gut ist in diesem Team. Sobald es Widerstände und Rückschläge gibt, bricht zu viel auseinander. Ob ein unbedeutendes 1:2 in der Nations League gegen Tschechien, ein kolossales 1:6 im WM-Achtelfinal gegen Portugal oder ein 2:2 in der EM-Qualifikation im Kosovo – immer ist danach Theater.
Warum, darüber kann man sich streiten. Aber eines ist Fakt: Die heftigen Debatten nach Rückschlägen kennzeichnen die Ära Yakin. Und es gibt keine Anzeichen, dass sich daran etwas ändern wird. Das ist fatal.
Granit Xhaka hat mit seiner Kritik an Yakin eine Frage aufgeworfen, die nun wie der Elefant im Raum steht. Nämlich: Hat Yakin eine Zukunft als Schweizer Nationaltrainer? Man darf davon ausgehen, dass sich die Nati für die EM qualifiziert. Yakins Vertrag würde sich in diesem Fall automatisch bis nach dem Turnier in Deutschland im Sommer 2024 verlängern. Aber danach?
Diese Frage müssten Nati-Direktor Pierluigi Tami und der Verband eigentlich zügig lösen. Am besten noch in diesem Herbst. Wenn im Verband die Überzeugung da ist, dass Yakin dieses Schweizer Team weiterbringt, sollte sein Vertrag noch vor der EM verlängert werden. Damit umgeht man, dass die Trainerfrage mit in die EM hineingetragen wird. Nur: Stehen die Spieler, allen voran Captain Xhaka, hinter Yakin? Fragezeichen sind angebracht. Und diese könnten langfristig zur Hypothek werden.
Erschwerend kommt hinzu, dass die Schweiz in diesem Länderspiel-Jahr 2023 nichts gewinnen, dafür viel verlieren kann. Die Nati trifft auf keinen einzigen «grossen» Gegner. Das hat es in den 15 Jahren unter Vladimir Petkovic und Ottmar Hitzfeld nie gegeben. Die Vermutung liegt deshalb nahe: Erst die EM 2024 wird offenbaren, wie es um das Innenleben dieser Nati steht. Bis dahin schwelt der Xhaka-Yakin-Konflikt.