Sein berühmtester Moment: Yakin trifft per Freistosshammer für GC in Amsterdam.Bild: AP
Vom gehänselten Türkenbub zum Schweizer Nationaltrainer – die Bilderbuch-Karriere von Murat Yakin und was er dazu sagt.
15.08.2021, 09:1115.08.2021, 11:09
François Schmid-Bechtel, Etienne Wuillemin / ch media
Seinen ersten Profivertrag bei GC musste Mutter Emine unterschreiben, weil Murat Yakin noch nicht volljährig war. Was danach folgte, war ein atemberaubender Aufstieg zum Nationalspieler, Glamourboy und Vorzeige-Secondo. Mit 31 gab er verletzungsbedingt seinen Rücktritt. Aber es war klar: Yakin wird es dank seiner herausragenden strategischen Fähigkeiten auch als Trainer weit bringen. Und nun ist er seit letztem Montag Nationaltrainer. Wir blicken mit dem 46-Jährigen auf eine schillernde Karriere zurück.
Der Tubel
28. August 1996: Die Nati verliert in der WM-Qualifikation in Baku gegen Aserbaidschan mit 0:1, Yakin verschiesst einen Penalty.
Yakin neben David Sesa.Bild: Keystone
«Erstmals reisten wir mit der Nationalmannschaft in einem Charter an ein Spiel. Neben mir David Sesa, hinter mir Ciriaco Sforza. Natürlich wurden wir medial durch den Fleischwolf gedreht, weil wir das Spiel 0:1 verloren haben. Und ich kriegte erst recht aufs Dach, weil ich einen Penalty verschossen habe. Aber dazu eine Geschichte.
Kubi Türkyilmaz wird gefoult. Es gibt Penalty für uns. Kubi ist als Schütze vorgesehen, aber er lässt sich draussen behandeln. Erst hat Adrian Knup den Ball in der Hand, dann Alain Sutter, danach Sforza. Ich stehe etwas abseits. Ciri kommt auf mich zu, sagt, er wolle nicht schiessen, ‹mach du›.
Ich denke, aha, okay. Der Torhüter springt nach rechts, ich schiesse in die linke Ecke, aber daneben. Als ich zurückgehe, kommt mir Kubi entgegen und raunt mir zu: ‹Du Tubel! Warum hast du nicht gewartet!›»
Der Hammer
25. September 1996: Murat Yakin erzielt in der Champions League für GC den 1:0-Siegtreffer gegen Ajax Amsterdam
Der Freistoss-Hammer von Yakin in Amsterdam.Video: streamable
«Dieses Video verdeutlicht, wie ich bin, wie ich ticke. Es ist das erste internationale Spiel in der neuen Arena in Amsterdam. Im Tor von Ajax steht mit Edwin van der Sar ein absoluter Weltklassemann. Freistoss für uns aus etwa 35 Metern. Und die Holländer stellen keine Mauer. Auf einen solchen Moment habe ich nur gewartet.
Mut und Risiko, wofür ich gerne stehe, haben sich bezahlt gemacht. Ich treffe, wir gewinnen 1:0. Es ist wahrscheinlich der schönste Moment in meiner Spielerkarriere. Das Stadion ist voll. Ein wahnsinniger Lärm. Aber als ich Anlauf nehme, herrscht Totenstille. Und dann hört man, wie der Ball ins Netz einschlägt.»
Die Mutter schimpft
21. Oktober 2015: Emine Yakin reist für das FCB-Spiel gegen Steaua mit ihrem Sohn, der Trainer der 1. Mannschaft ist, nach Bukarest.
Bild: KEYSTONE
«Meine Wegbegleiterin seit eh und je. Zum Glück gibt’s Zäune am Spielfeldrand, sonst wäre meine Mutter sicher auch mal auf einen Schiedsrichter losgegangen. Sie ist inzwischen 87-jährig und reist im Zug immer noch an fast alle meine Spiele. Sie lebt immer noch zu Hause, macht mit Unterstützung der Schwester den Haushalt allein. Und sie reist auch immer noch alleine in die Türkei, wo wir in einem Vorort von Istanbul ein Haus haben.
Momentan ist sie dort. Als sie mich letzthin angerufen hatte, schimpfte sie: ‹Sohn, warum muss ich aus der Zeitung erfahren, dass du Nationaltrainer wirst. Hier vor dem Haus warten schon die Journalisten.› Dabei habe ich sie dutzendmal versucht anzurufen. Aber da war sie drei Stunden von Istanbul entfernt an einem Strand und hatte offenbar keinen Empfang.»
Könige der Nacht
12. November 2002: Erstmals Champions League mit dem FC Basel und gleich ein 3:3 gegen den FC Liverpool.
bild: keystone
«Was für eine erste Halbzeit. Wir führen 3:0. Danach, puh, das war eine Abwehrschlacht. Ein paar Wochen zuvor haben wir gegen Celtic Glasgow um die erstmalige Teilnahme an der Champions League gespielt.
Vor dem Hinspiel in Schottland gab Trainer Christian Gross die Devise raus: ‹Keine langen Bälle aus der Abwehr.› Wir schauten uns in der Kabine verdutzt an. Wie bitte? Habe ich das richtig verstanden? Schliesslich galt Gross als Verfechter des schnörkellosen Spiels, als Freund des langen Balles aus der Abwehr heraus.
Okay, wir haben uns an seinen Plan gehalten, und für einmal wirklich guten, konstruktiven Fussball gespielt. Aber wir haben 1:3 verloren. Es hätte auch 1:4 oder 1:5 ausgehen können. Denn Zuberbühler parierte einen Penalty. Aber wir sagten uns: Zu Hause packen wir die Chance.
Allein schon Hakans Pass zu Gimenez, der das 1:0 erzielte – ein absoluter Traum. Und danach treffe ich mit per Kopf zum 2:0 und wir sind erstmals in der Champions League. Es war eine grandiose Zeit damals beim FCB.»
Bruderliebe und Fresszettel
11. Dezember 2011: In Luzern war Murat der Trainer und Hakan einer seiner Spieler.
Bild: KEYSTONE
«Wir haben miteinander und gegeneinander gespielt. Und dann wurde ich irgendwann für eine kurze Zeit in Luzern Hakans Trainer. Das war ein grosses Thema in den Medien. Sowieso, was haben sie in dieser Zeit an mir herumgemäkelt. Mal hiess es, ich würde die Routiniers nicht berücksichtigen, dann wieder, ich würde die Talente nicht fördern. Aber hey, wir wurden Zweiter und haben den Cupfinal gegen Basel sehr, sehr unglücklich verloren.
Zurück zu Hakan: Für uns war es keine besondere Geschichte, dass ich sein Trainer war. Und obwohl ich von ihm mindestens so viel verlangt habe wie von allen anderen Spielern, hat unser Verhältnis nicht gelitten.
An was ich mich aus der Zeit in Luzern auch erinnere, ist die Fresszettel-Episode mit Präsident Walter Stierli. Basels Präsident Bernhard Heusler wollte mich verpflichten. Stierli kriegte Wind davon. Er wollte mich nicht gehen lassen, lud mich im Schweizerhof zum Mittagessen ein, und hat auf einem Fresszettel eine Vertragsverlängerung skizziert. Dabei wollte ich weder das eine noch das andere. Und ich wollte Luzern zu diesem Zeitpunkt auch nicht verlassen.
Erst, als ich zu Beginn der folgenden Saison entlassen wurde, wechselte ich zum FCB. Um das Thema abzuschliessen: Als wir mit je zwei Siegen und zwei Unentschieden als Leader nach Sion gereist sind, hielten Luzerner Fans ein Transparent hoch: ‹Lieber Erlebnisfussball als Ergebnisfussball.› Das war schwer verdaulich.»
Mourinhos Coiffeur
26. November 2013: Gleich zweimal bezwingt Trainer Yakin mit dem FCB den FC Chelsea und dessen Coach José Mourinho.
Bild: KEYSTONE
«Ungeschlagen gegen Mourinho – ja, das tönt gut. Ich habe ihn nach dem Spiel mal gefragt, zu welchem Coiffeur er geht (lacht). Spass beiseite, auf dem Rückweg in die Kabine hat er mir jeweils zum ‹absolut verdienten Sieg› gratuliert. 2:1 haben wir mit dem FC Basel in London das grosse Chelsea besiegt, 1:0 zu Hause. Genau, um solche Momente zu erleben, bin ich gerne Trainer.»
Gott in Moskau
5. Juli 2014: Nach den grossen Erfolgen in Basel wechselt Murat Yakin für ein Jahr zu Spartak Moskau.
Bild: KEYSTONE
«Ich hatte eine super Zeit in Moskau, wäre gerne länger als ein Jahr geblieben. Aber in den letzten vier Spielen verpassten wir die Qualifikation für die Europa League, dann kam es zum Besitzerwechsel, und der neue Eigentümer wollte einen russischen Trainer.
Diese Kultur zu erleben, war eindrücklich. Der Präsident sagte mir, als ich ankam: ‹Hör mal, für uns Russen ist der Trainer wie ein Gott.› Ich habe das tatsächlich auch so erlebt. Trainingszentrum und Stadion – das war vom Allerfeinsten. Die Möglichkeiten dort sind gigantisch. Moskau ist etwas gross, es hat darum gedauert, bis wir verstanden haben, welche Ecken wie ticken, oft sieht alles gleich aus.»
Fünf Minuten für CC
11. November 2018: Wie viele andere zuvor wird auch Yakin in Sion von Constantin entmachtet.
«Dieses Bild zeigt unseren Cup-Achtelfinal in St.Gallen. Der Cup, ja, das ist das Zuhause von Christian Constantin, da muss man ihn machen lassen. Aber ich habe ihm auch sonst jeweils fünf Minuten pro Woche gewährt.» (lacht)
Der erste Auftritt
9. August 2021: Murat Yakin wird als Nachfolger von Vladimir Petkovic vorgestellt.
Bild: keystone
«Mein erster Auftritt als Nationaltrainer. Er war gut, oder? (lacht). Ein Nationaltrainer muss viele Kompetenzen mitbringen, der Job geht weit über den Rasen hinaus. Ich glaube, das kommt mir entgegen. Es ist das, was ich mag, ich bin der Wettkampftyp auf den letzten Moment. All die Dinge, die vorher geschehen, die Gespräche, das Zwischenmenschliche, ich bin überzeugt, diese Aufgaben kommen mir entgegen.
Ich habe mehrfach bewiesen, was ich kann, bin mit Thun aufgestiegen, habe Luzern zu einer Topmannschaft entwickelt und den FCB in einer Phase übernommen, als er Vierter war und Letzter in der Europa League – im Frühling waren wir Meister und im Halbfinal der Europa League.
Trotzdem bin ich immer noch selbst ein bisschen überrascht, dass ich nun als Nationaltrainer hier sitze. Und ich darf festhalten: Ich sehe grosse Chancen, mit dieser Mannschaft etwas Aussergewöhnliches auf den Platz zu bringen.»
Die Nati-Trainer der Schweiz seit 1981
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Die Nati-Trainer der Schweiz seit 1981
24. März 1981 bis 13. November 1985: Paul Wolfisberg
Nationalität: Schweiz
51 Spiele/Punkteschnitt: 1,39
quelle: keystone / karl mathis
Keine Fussball-Fans im Büro, bitte!
Video: watson
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Geben wir ihm eine Chance als Nati-Trainer