Tubel, König, Gott – Murat Yakin über seine Bilderbuch-Karriere
Seinen ersten Profivertrag bei GC musste Mutter Emine unterschreiben, weil Murat Yakin noch nicht volljährig war. Was danach folgte, war ein atemberaubender Aufstieg zum Nationalspieler, Glamourboy und Vorzeige-Secondo. Mit 31 gab er verletzungsbedingt seinen Rücktritt. Aber es war klar: Yakin wird es dank seiner herausragenden strategischen Fähigkeiten auch als Trainer weit bringen. Und nun ist er seit letztem Montag Nationaltrainer. Wir blicken mit dem 46-Jährigen auf eine schillernde Karriere zurück.
Der Tubel
28. August 1996: Die Nati verliert in der WM-Qualifikation in Baku gegen Aserbaidschan mit 0:1, Yakin verschiesst einen Penalty.
Kubi Türkyilmaz wird gefoult. Es gibt Penalty für uns. Kubi ist als Schütze vorgesehen, aber er lässt sich draussen behandeln. Erst hat Adrian Knup den Ball in der Hand, dann Alain Sutter, danach Sforza. Ich stehe etwas abseits. Ciri kommt auf mich zu, sagt, er wolle nicht schiessen, ‹mach du›.
Ich denke, aha, okay. Der Torhüter springt nach rechts, ich schiesse in die linke Ecke, aber daneben. Als ich zurückgehe, kommt mir Kubi entgegen und raunt mir zu: ‹Du Tubel! Warum hast du nicht gewartet!›»
Der Hammer
25. September 1996: Murat Yakin erzielt in der Champions League für GC den 1:0-Siegtreffer gegen Ajax Amsterdam
Mut und Risiko, wofür ich gerne stehe, haben sich bezahlt gemacht. Ich treffe, wir gewinnen 1:0. Es ist wahrscheinlich der schönste Moment in meiner Spielerkarriere. Das Stadion ist voll. Ein wahnsinniger Lärm. Aber als ich Anlauf nehme, herrscht Totenstille. Und dann hört man, wie der Ball ins Netz einschlägt.»
Die Mutter schimpft
21. Oktober 2015: Emine Yakin reist für das FCB-Spiel gegen Steaua mit ihrem Sohn, der Trainer der 1. Mannschaft ist, nach Bukarest.
Momentan ist sie dort. Als sie mich letzthin angerufen hatte, schimpfte sie: ‹Sohn, warum muss ich aus der Zeitung erfahren, dass du Nationaltrainer wirst. Hier vor dem Haus warten schon die Journalisten.› Dabei habe ich sie dutzendmal versucht anzurufen. Aber da war sie drei Stunden von Istanbul entfernt an einem Strand und hatte offenbar keinen Empfang.»
Könige der Nacht
12. November 2002: Erstmals Champions League mit dem FC Basel und gleich ein 3:3 gegen den FC Liverpool.
Vor dem Hinspiel in Schottland gab Trainer Christian Gross die Devise raus: ‹Keine langen Bälle aus der Abwehr.› Wir schauten uns in der Kabine verdutzt an. Wie bitte? Habe ich das richtig verstanden? Schliesslich galt Gross als Verfechter des schnörkellosen Spiels, als Freund des langen Balles aus der Abwehr heraus.
Okay, wir haben uns an seinen Plan gehalten, und für einmal wirklich guten, konstruktiven Fussball gespielt. Aber wir haben 1:3 verloren. Es hätte auch 1:4 oder 1:5 ausgehen können. Denn Zuberbühler parierte einen Penalty. Aber wir sagten uns: Zu Hause packen wir die Chance.
Allein schon Hakans Pass zu Gimenez, der das 1:0 erzielte – ein absoluter Traum. Und danach treffe ich mit per Kopf zum 2:0 und wir sind erstmals in der Champions League. Es war eine grandiose Zeit damals beim FCB.»
Bruderliebe und Fresszettel
11. Dezember 2011: In Luzern war Murat der Trainer und Hakan einer seiner Spieler.
Zurück zu Hakan: Für uns war es keine besondere Geschichte, dass ich sein Trainer war. Und obwohl ich von ihm mindestens so viel verlangt habe wie von allen anderen Spielern, hat unser Verhältnis nicht gelitten.
An was ich mich aus der Zeit in Luzern auch erinnere, ist die Fresszettel-Episode mit Präsident Walter Stierli. Basels Präsident Bernhard Heusler wollte mich verpflichten. Stierli kriegte Wind davon. Er wollte mich nicht gehen lassen, lud mich im Schweizerhof zum Mittagessen ein, und hat auf einem Fresszettel eine Vertragsverlängerung skizziert. Dabei wollte ich weder das eine noch das andere. Und ich wollte Luzern zu diesem Zeitpunkt auch nicht verlassen.
Erst, als ich zu Beginn der folgenden Saison entlassen wurde, wechselte ich zum FCB. Um das Thema abzuschliessen: Als wir mit je zwei Siegen und zwei Unentschieden als Leader nach Sion gereist sind, hielten Luzerner Fans ein Transparent hoch: ‹Lieber Erlebnisfussball als Ergebnisfussball.› Das war schwer verdaulich.»
Mourinhos Coiffeur
26. November 2013: Gleich zweimal bezwingt Trainer Yakin mit dem FCB den FC Chelsea und dessen Coach José Mourinho.
Gott in Moskau
5. Juli 2014: Nach den grossen Erfolgen in Basel wechselt Murat Yakin für ein Jahr zu Spartak Moskau.
Diese Kultur zu erleben, war eindrücklich. Der Präsident sagte mir, als ich ankam: ‹Hör mal, für uns Russen ist der Trainer wie ein Gott.› Ich habe das tatsächlich auch so erlebt. Trainingszentrum und Stadion – das war vom Allerfeinsten. Die Möglichkeiten dort sind gigantisch. Moskau ist etwas gross, es hat darum gedauert, bis wir verstanden haben, welche Ecken wie ticken, oft sieht alles gleich aus.»
Fünf Minuten für CC
11. November 2018: Wie viele andere zuvor wird auch Yakin in Sion von Constantin entmachtet.
Der erste Auftritt
9. August 2021: Murat Yakin wird als Nachfolger von Vladimir Petkovic vorgestellt.
Ich habe mehrfach bewiesen, was ich kann, bin mit Thun aufgestiegen, habe Luzern zu einer Topmannschaft entwickelt und den FCB in einer Phase übernommen, als er Vierter war und Letzter in der Europa League – im Frühling waren wir Meister und im Halbfinal der Europa League.
Trotzdem bin ich immer noch selbst ein bisschen überrascht, dass ich nun als Nationaltrainer hier sitze. Und ich darf festhalten: Ich sehe grosse Chancen, mit dieser Mannschaft etwas Aussergewöhnliches auf den Platz zu bringen.»
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