Gianni Infantino und Vladimir Putin stehen unter dem Regenschirm. Aber Kolinda Grabar-Kitarovic geht dorthin, wo es weh tut. In den Regen. Dabei hat sie sich hübsch herausgeputzt für diesen besonderen Tag. Aber mit jeder Minute, die sie diesem fürchterlichen Wolkenbruch von Moskau ausgesetzt ist, verwandeln sich die blonden Locken in strähnige Fäden. Was solls. Es ist WM-Final. Die ganze Welt schaut zu. So viel Aufmerksamkeit hat man selbst als Staatspräsidentin von Kroatien kaum je.
Die Bilder der klitschnassen Grabar-Kitarovic wie sie den Siegern aus Frankreich gratuliert und die eigenen, traurig-stolzen Helden umarmt, gehen um die Welt. Und vielleicht will sie mit ihrem Märtyrertum gegen die Naturgewalt auch demonstrieren, was die Kroaten so stark macht. Oder wie es Bruno Petkovic, der eine Held aus dem WM-Viertelfinal 2022 gegen Brasilien formuliert: «Unsere Eltern haben uns immer erzählt: Du wirst im Leben nichts erreichen, wenn du nicht dafür kämpfst.» Nun, Kolinda Grabar-Kitarovic ist inzwischen abgewählt. Aber die Fussballer haben ihren Platz in der Weltelite verteidigt.
Wenn wir an Kroatien denken, sehen wir pitoreske Küstenstädte wie Zadar, Split oder Dubrovnik. Wir sehen die zerklüftete Küste und unzählige Inseln. Wir denken an dolce far niente und vergessen, dass sich dieses Land vor noch nicht allzu langer Zeit im Krieg befand und enorme Anstrengungen unternehmen musste, damit wir an der dalmatischen Küste unbeschwerte Tage geniessen können.
Das neue Deutschland, wird Kroatien auch genannt. Aber das bezieht sich lediglich auf den Fussball, weil Kroatien nicht den schönsten Fussball spielt, aber gut organisiert, nervenstark und nur schwer zu bezwingen ist. Eine echte Turniermannschaft halt. Wie früher die Deutschen. Aber mit dem Unterschied, dass bei Kroatien auch etwas von dieser mediterranen Lebensart hineinfliesst.
Aber so sorgenlos wie Ferien in Kroatien ist das Leben dort nicht. Zwar seit 2013 EU-Mitglied und damit auch ein Stück weit finanziell durch Brüssel abgesichert, macht dem Land die Abwanderung junger Menschen arg zu schaffen. Dabei spielt die 1777 Kilometer lange Adria-Küste keine unwesentliche Rolle. Denn der boomende Tourismus führt im Land dazu, dass man sich zurücklehnt, genügsam wird, Innovation vernachlässigt. Was zur Folge hat, dass es für viele Hochschulabsolventen kaum adäquate Jobs gibt.
Und nun kommt auf den Jahresbeginn auch noch der Euro. Schon jetzt verdienen viele Menschen in Kroatien nur so viel, dass es gerade so reicht. Aber nicht mehr. Und nun werden die Preise durch die Einführung des Euro weiter steigen. Keine schönen Aussichten.
Probleme, wie sie uns in der Schweiz nicht mit der gleichen Wucht treffen. Trotzdem, oder vielleicht auch deswegen, sind die kroatischen Kicker erfolgreicher. Liegt es an der Ausbildung? Schliesslich bringt das kleine Kroatien hochbegabte Kicker wie Luka Modric, Mateo Kovacic oder Josko Gvardiol hervor. Tatsächlich aber ist der 3. Platz an der U17-EM 2001 das beste Resultat einer kroatischen Nachwuchs-Auswahl. Die Schweiz hingegen wurde je einmal Europa- und Weltmeister bei der U17.
Auch profitiert die Schweiz im Fussball davon, dass sie ein klassisches Einwandererland ist. Im Gegenzug profitiert Kroatien von der Diaspora in ganz Europa - Beispiel Ivan Rakitic (Basel) und Mladen Petric (GC). Aber aus dem aktuellen 26-Mann-Kader wurden einzig Luka Sucic (Salzburg) und Josip Stanisic (Bayern München) im Ausland ausgebildet.
Also hat Kroatien gegenüber der Schweiz den Vorteil, dass allein aufgrund der kulturellen Homogenität ein engerer Zusammenhalt herrscht? Vielleicht. Fakt ist aber, dass es auch im kroatischen Team zu Dissonanzen kommt. 2018 schickte Trainer Zlatko Dalic den damaligen Milan-Stürmer Nikola Kalinic nach dem ersten Gruppenspiel nach Hause, weil dieser sich geweigert hatte, spät eingewechselt zu werden. Und für diese WM verzichtete Dalic wieder auf einen Milan-Stürmer, obwohl Kroatien keinen hochkarätigen Angreifer im Kader hat. Aber Dalic, der immer einen Rosenkranz in der Hosentasche hat, verzichtete auf Ante Rebic, weil dieser menschlich nicht in die Gruppe passt.
Ein Unterschied zwischen der Schweiz und Kroatien ist die Leidenschaft, die bei den «Feurigen», wie die Kroaten genannt werden, irgendwie nie erlöscht. Das hängt einerseits mit Trainer Dalic zusammen, der vor dem Halbfinal gegen Argentinien sagt: «Die stärkste Botschaft unseres Teams lautet: Alles im Leben ist möglich.» Aber auch mit Captain Luka Modric. Über seine fussballerische Klasse gibt es kaum zwei Meinungen. Was den Weltfussballer von 2018 darüber hinaus auszeichnet ist die Art, wie er das Team führt. Nicht laut, nicht herrisch, nicht launisch und erst recht nicht selbstverliebt.
Modric ist ein leiser, empathischer aber auch ein bestimmter Leader. Aber: Seine Karriere neigt sich dem Ende zu. Modric ist bereits 37 Jahre alt. Eine weitere WM mit ihm wird Kroatien kaum mehr erleben. Deshalb sollen sie ihren Modric geniessen, so lange sie ihn noch haben. Denn die Zeit nach ihm wird nicht besser. (aargauerzeitung.ch)
Man braucht nicht unbedingt erfolgreicher Rapper oder Fussballgott zu werden um dem Schlamassel zu entgehen. Eine Lehre als Schreiner oder ein Ingenieur Studium tut's auch...