Zwischen Real Madrid und dem FC Chelsea im Viertelfinal-Rückspiel der Champions League läuft die 80. Minute. Die Madrilenen stehen vor heimischem Publikum mit dem Rücken zur Wand. Dann kommt der Auftritt von Luka Modric, der inzwischen 36-jährige Edeltechniker aus Kroatien.
Er spielt einen 25-Meter-Pass mit dem Aussenrist, den man in dieser Perfektion selten gesehen hat. Das magistrale Zuspiel hinter die Abwehr kommt an, der junge Rodrygo verwertet die Vorlage mit einer Direktabnahme. Real stand kurz vor dem Ausscheiden, fiel dank des Geniestreichs von Modric aber nicht.
Das Beispiel von Luka Modric zeigt: Die erfahrenen Spieler im Ensemble Real Madrids sind immer noch ein entscheidender Faktor, sie sind gar unverzichtbar. Immer wieder wird von Kritikern moniert, man müsse Madrids Mannschaft verjüngen. Immer wieder verstummen die Kritiker, wenn Modric mit seinen Pässen die gegnerischen Abwehrreihen aushebelt, Toni Kroos (32) die Bälle im Mittelfeld gekonnt verteilt oder Casemiro (30) mit seiner physischen Präsenz die Gegner verzweifeln lässt.
Nicht zu vergessen ist Karim Benzema, der mit 34 Jahren seine beste Saison mit den Königlichen spielt und reihenweise Spiele im Alleingang entscheidet. Es ist die goldene Generation, die zwischen 2016 und 2018 dreimal in Folge die Champions League gewinnen konnte.
Selbstverständlich nagt auch an der älteren Generation der Zahn der Zeit, nicht jede Bewegung wirkt mehr so spritzig und explosiv wie zu früheren Zeiten. Doch wenn es darauf ankommt, dann sind die erfahrenen Spieler bereit, auch ein Spiel zu gewinnen, das nicht für sie läuft. Das wissen auch die Gegner, die sich wohl manchmal ins Gewissen rufen, gegen wen sie gerade spielen. Gegen Paris, im Achtelfinal-Rückspiel der Champions League, soll Karim Benzema in der Halbzeit gesagt haben: «Keine Sorge, die werden nervös». Sie wurden es – und scheiterten prompt.
Noch nie war der Franzose so gut wie in dieser Saison. In der Champions League kann er mit seinen 14 Toren sogar den Rekord von Cristiano Ronaldo (17 Treffer aus der Saison 13/14) in einer Champions-League-Saison übertreffen. Besonders schön und wichtig war sein Elfmeter im Halbfinal-Hinspiel gegen Manchester City, den er eiskalt mittels Panenka verwertete.
Vor wenigen Wochen sagte Real-Trainer Carlo Ancelotti: «Wir sind von Benzema abhängig, das ist die Realität. Und ich bin sehr glücklich darüber.» In 42 Pflichtspielen hat er 42 Tore erzielt, die Torjägerkrone in Spanien ist Benzema so gut wie sicher. Zu Recht gilt der Mann aus Lyon zurzeit als Topfavorit auf den Ballon d’Or.
Ein entscheidender Faktor des Erfolgs ist Trainer Carlo Ancelotti. «Mein Stil ist es, den Spielern die Möglichkeit zu geben, sich wohlzufühlen», sagte der 62-jährige Italiener einst in einem Interview. Ancelotti ist kein Trainer, der seinen Spielern taktische Fesseln anlegt. Er ist vielmehr einer, der seinen Spielern bis zu einem gewissen Grad Freiräume gewähren will.
Man kann durchaus von taktischem Laissez-faire sprechen, das Ancelotti seiner Mannschaft auferlegt. Das ist auch gut so, denn insbesondere die erfahrenen Spieler wissen, was sie tun. Niemand muss einem Modric oder Kroos erklären, wie der Fussball funktioniert, für sie ist es vielmehr Intuition. Ancelotti sieht das genauso und weiss, wie er mit seinen Spielern umzugehen hat.
Wichtig ist vor allem, dass er mit seiner Taktik Erfolg hat. Und das hat Ancelotti zweifelsohne. Am vergangenen Wochenende konnte er mit Real den vorzeitigen Gewinn des spanischen Meistertitels feiern. Dem Italiener gelang dabei Historisches: Er ist der erste Trainer, der in den fünf europäischen Topligen mindestens eine Meisterschaft gewinnt.
Einerseits kann sich Real Madrid nach wie vor auf seine etablierten Kräfte verlassen, gleichzeitig kann der Verein auf der heranwachsenden neuen Generation aufbauen. Spieler wie Supertalent Vinicius Jr. (21), Eduardo Camavinga (19) oder Federico Valverde (23) sind bereits fester Bestandteil der Mannschaft und werden früher oder später die Fäden im Spiel der Madrilenen ziehen. Ausserdem ist es kein Geheimnis, dass Real Madrid schon länger an der Verpflichtung des 23-jährigen Superstars Kylian Mbappé von Paris Saint-Germain interessiert ist.
Im heutigen Rückspiel in der Champions League gegen Manchester City sind die Madrilenen angesichts des Eintorrückstands gefordert. Erschwerend kommt hinzu, dass Manchester City im Hinspiel die klar bessere Mannschaft war. Josep Guardiolas Mannschaft zeigte mit Ausnahme der Abwehr eine formidable Leistung und dominierte Real Madrid phasenweise mit tollem Angriffsfussball regelrecht. Manchester City war nahe dran, bereits im Hinspiel für eine Vorentscheidung zu sorgen. Doch die erfahrenen Madrilenen wankten zwar, aber sie fielen nicht.