Von Borlänge erfährt man ausserhalb Schwedens in der Regel eher wenig. Die Stadt, drei Autostunden nördlich von Stockholm gelegen, war ein Zentrum der Stahlindustrie, sie ist ein wichtiger Eisenbahnknoten und die Heimat der Rockband Mando Diao. Und sie ist die Heimat von Dalkurd FF, dem jüngsten Aufsteiger in die Allsvenskan, die höchste Fussballliga des Landes.
Die Geschichte des Klubs liest sich wie ein Roman. Im Herbst 2004 wurde Dalkurd gegründet, um Jugendliche von der Strasse zu holen. Der Name und das Klublogo erinnern an die kurdische Flagge und an das Dalapferd. Dieses Holzspielzeug steht in Schweden für die Region Dalarna, in der Borlänge liegt. Klubname und Erscheinungsbild symbolisieren so das Zusammenleben von kurdischen Einwanderern mit den Einheimischen. Heute gilt Dalkurd jedoch auch als eine Art Nationalmannschaft für die etwa 30 Millionen Kurden in aller Welt.
Der Klub begann 2005 in der tiefsten Liga und startete mit einem Team, dessen Durchschnittsalter bloss 17 Jahre betrug. Die Premieren-Saison endete gleich mit dem Aufstieg – dem ersten, aber lange nicht letzten der jungen Klubgeschichte. Denn Dalkurd hat sich dem Motto «Vollgas voran» verschrieben und das nahm sich das Team zu Herzen. Es setzte zu einem unheimlichen Siegeszug an: Dalkurd reihte fünf Aufstiege hintereinander und war 2010 in der dritthöchsten schwedischen Liga angekommen.
Dort war dann aber erst mal Schluss für den Klub der kurdischen Einwanderer. Sechs Saisons verbrachte die Dalkurd Fotbollsförening in dieser Liga, ehe 2015 der Aufstieg in die Superettan, Schwedens zweithöchste Spielklasse, gelang.
Doch jener Erfolg wäre, auf tragische Art und Weise, um ein Haar nicht zustande gekommen. Denn vom Trainingslager im März 2015 plante Dalkurd eigentlich, via Düsseldorf nach Hause zu fliegen: im Germanwings-Flug 9525, dessen selbstmörderischer Co-Pilot 150 Menschen in den Tod riss. Nur weil die Klubleitung am Flughafen kurzfristig entschied, dass die Umsteigezeit in Düsseldorf zu lange wäre, und die Fussballer deshalb auf andere Maschinen umbuchte, blieben sie am Leben.
Im vergangenen Jahr, dem ersten in der Superettan, schnupperte Dalkurd schon am Aufstieg, verpasste ihn mit Rang 4 aber knapp. In diesem Jahr ist dem Team die Promotion schon eine Runde vor Schluss nicht mehr zu nehmen, dank eines 1:0-Heimsiegs über Gais am Samstag. Das einzige Tor erzielte mit Rawez Lawan ein kurdisch-stämmiger Schwede. Passender geht's nicht. «Unglaublich, einfach komplett unglaublich», stammelte Lawan nach der Partie. «Ich wünschte mir, jeder einzelne Mensch könnte sich so freuen, wie ich es gerade tue.»
Nur rund 42'000 Menschen leben in Borlänge – aber Dalkurds Fan-Seite auf Facebook zählt mehr als 1,5 Millionen Anhänger. Der Klub ist ein Liebling aller Kurden. Solcher, welche die Konflikte in der Heimat zur Flucht gezwungen hatten, und solcher, die nach wie vor dort leben.
«Heute werden in Kurdistan drei Teams unterstützt: Real Madrid, Barcelona und Dalkurd», sagte Captain Peshraw Aziz. Er reist persönlich regelmässig in die Heimat, die er als Zwölfjähriger verliess. Der Klub hat schon zahlreiche Hilfsaktionen durchgeführt, unterstützt die Kurden, die sich auf einem Gebiet in den Staaten Türkei, Irak, Iran und Syrien für einen eigenen Staat einsetzen.
Torschütze Lawan erzählte von seiner Tante in der Heimat. «Wir telefonieren jede Woche miteinander, sprechen dabei aber nie über Fussball», so der Mittelfeldspieler. «Aber sie sagte mir, dass sie mein Tor gesehen habe und dass ich damit alle sehr glücklich gemacht habe. Die Menschen dort kümmern sich normalerweise nicht um Fussball, aber unseren Aufstieg haben sie gross gefeiert.» Für einen Moment hätten die Kurden ihre Alltagssorgen vergessen können.
Wie lange hält der Höhenflug dieser inoffiziellen kurdischen Nationalmannschaft noch an? Nach dem rasanten Aufstieg in die Allsvenskan kann es beinahe nur eines geben: das Erreichen der Champions League zum Ziel auszurufen. So sieht das auch Sarkat Junad, der kurdische Geschäftsmann, der den Klub 2016 gemeinsam mit seinem Bruder übernommen hat: «Ich würde es lieben, Dalkurd in der Champions League zu sehen.»
Ein Zuschauermagnet ist der Klub ausserhalb der kurdischen Exil-Gemeinde aber wohl noch nicht. Zum historischen Match am Samstag kamen 2740 Fans, ansonsten werden die Spiele meist von 1000 bis 1500 Zuschauern besucht. Platz bietet das Domnarvsvallen 6500 Fans.
«Unser Anspruch ist es, niemals etwas anderes als den Gewinn der Meisterschaft anzustreben», betont der Klub auf der Website. «Wir werden niemals zufrieden sein mit dem Status quo und versuchen, stets in jeder Hinsicht zu wachsen. Wir haben einen Traum, eine Vision: einer der führenden Klubs in Schweden zu sein. Nicht nur auf dem Rasen, sondern auch neben dem Platz.»
Dalkurds Mitgründer Ramazan Kizil hat daneben auch ein ganz persönliches Ziel: im Europacup gegen ein türkisches Team zu spielen. «Es wäre die grösste Story der Welt: mit unserem Namen und der kurdischen Flagge auf dem Trikot gegen Fenerbahce oder Galatasaray Istanbul zu spielen. Solange ich das nicht erlebt habe, gebe ich nicht auf.»