«Im Theater ist alles möglich», lautet ein Titel im «Bieler Tagblatt» am 26. Februar 2016. Doch wer die Zeilen darunter liest, merkt schnell, dass es nicht um Kultur geht. Nein, das Thema ist der FC Biel - in diesen Tagen praktisch pausenlos. Die jüngste Nachricht: Patrick Rahmen ist zurückgetreten. Der damals 46-jährige Basler gibt seinen Trainerjob bei den Seeländern auf und wird Assistent von Markus Babbel beim FC Luzern. Zu seinem Abgang sagt er: «Alles hat seine Grenzen, wenn man eine Familie ernähren muss.»
Dietmar Faes erinnert sich gut an diese Tage. Er ist damals Präsident von «Future Corner», einem Gönnerverein für den Nachwuchs des FC Biel. Mit Sorge nimmt er die sich häufenden Negativschlagzeilen rund um den Klub wahr. «Irgendwo hiess es, die Sponsoren würden sich vom Verein abwenden und seien mitverantwortlich für die Probleme», erinnert sich der 62-Jährige. Das will er nicht auf sich sitzen lassen und nimmt Kontakt zu anderen Geldgebern auf. Beim Treffen in einer Zigarrenlounge kommen sie zum Entschluss: So geht es nicht weiter.
Als Kopf der «Bieler Gruppe» wendet sich Faes in der Folge an den damaligen Mehrheitsaktionär und Präsidenten des Vereins. Mit einem Sanierer möchte er herausfinden, ob der Klub noch zu retten sei. Die gewünschten Unterlagen habe er erst mit Verspätung erhalten, sagt Faes, und dann seien es nicht einmal die aktuellen Zahlen gewesen. In diesem Moment weiss er: Das war's, zum 120-Jahr-Jubiläum geht der FC Biel Konkurs.
Rückblick auf den Frühsommer 2015: Ausgerechnet als das schmucke neue Stadion, die Tissot Arena, bezugsbereit ist, steigt der FC Biel aus der Challenge League ab. Doch die letztplatzierten Seeländer haben Glück, dass dem hoch verschuldeten Servette die Spielberechtigung entzogen wird. Die Genfer müssen in die Promotion League, die Bieler bleiben zweitklassig.
Kurz darauf wird ein neuer Mehrheitsaktionär vorgestellt: ein Zürcher Anwalt namens Karl «Carlo» Häfeli. Er bringt Erfahrung als Verwaltungsratsmitglied der Grasshoppers mit und hat sogar einen familiären Bezug zur Region. Alles wirkt seriös. Man ist vorsichtig, nachdem erst gerade der Fussballklub im gut 30 Kilometer entfernten Neuenburg unter dem tschetschenischen Besitzer Bulat Tschagajew Konkurs gegangen ist. «Schauen wir doch einfach in die Zukunft und machen in dieser einmaligen Arena einen Neuanfang», sagt Häfeli.
Was er mit «Neuanfang» meint, zeigt sich vor allem in der Kadergestaltung, an der Häfeli mitwirkt. Am 1. September präsentiert der Klub den 21. Zugang, darunter Spieler wie Antonino Marchesano, Benjamin Kololli oder Mirlind Kryeziu. Nach der Hälfte der Vorrunde liegt Biel auf Platz 2, der sportliche Erfolg lenkt von den bald auftretenden finanziellen Problemen ab.
Doch irgendwann sickert durch, dass Spieler und Trainer auf ihre Löhne warten. Es folgen Abgänge, Vorwürfe und leere Versprechungen. Das «Theater» endet damit, dass der neu verpflichtete Trainer aus Kroatien während eines Spiels den teameigenen Masseur angreift. Wenige Tage später, im April 2016, entzieht die Liga dem FC Biel die Lizenz.
Als es darum geht, den Verein neu aufzustellen, scheint Dietmar Faes der geeignete Kandidat zu sein. Immerhin hat sich der redegewandte Geschäftsmann in den Wochen und Monaten zuvor oft als Gegenspieler von Häfeli präsentiert. Faes nimmt die Herausforderung an, auch wenn er anfangs, wie er sagt, «vor einem leeren Blatt Papier» steht. «Wir hatten keine Bälle, keine Dresse, kein Geld.»
Mangels eines geeigneten Fusionspartners hat der Konkurs für Biel sportlich noch drastischere Folgen als vier Jahre zuvor für Xamax. Der Klub aus der zehntgrössten Stadt der Schweiz muss in der 2. Liga regional neu anfangen; das ist die sechsthöchste Stufe im Fussball, darunter gibt es nur drei noch tiefere Ligen. Statt Lausanne, Xamax oder Aarau heissen die Gegner nun Aarberg, Develier oder Vicques. Ein Weg, den wenig überraschend kaum ein Spieler mitgeht. Nur einer bleibt dem Verein treu und verabschiedet sich vom Profidasein.
Dafür kommen mehrere ehemalige Spieler zurück. Einige mit Erfahrung aus der Challenge League, die meisten sind ambitionierte Amateure, regionale Grössen. Sie lassen sich vom Projekt überzeugen, den FC Biel so schnell wie möglich wieder an den Profifussball heranzuführen. Aus der Kaderplanung hält sich Faes heraus, das überlässt er denen, «die etwas davon verstehen».
Biel steigt zweimal in Folge auf und spielt mit dem Aufstieg in die Promotion League seit 2021 wieder in einer nationalen Liga. Unvermeidlich sind auf dem Weg immer wieder Abschiede von Spielern und Trainern, die den Neuanfang mitgestaltet haben. «Das tut weh, gehört aber zum Geschäft», sagt Faes.
Biel wäre aber nicht Biel, wenn es nicht auch mit Faes ein bisschen «Theater» gäbe. Manchmal fehlt dem Präsidenten die nötige Distanz. So kritisiert er an Spielen schon mal lautstark die Leistung der Schiedsrichter, betritt den Rasen oder äussert sich etwas gar nonchalant. Mangelnde Leidenschaft kann man ihm dagegen nicht vorwerfen. Zudem steht Faes zwar gerne im Rampenlicht, gleichzeitig betont er aber auch, dass es im Verein Leute gibt, die viel wichtiger sind als er.
Jedenfalls gelten beim FC Biel seit den Erfahrungen mit einem Präsidenten, der alles über den Kopf warf, um den Klub möglichst schnell an die nationale Spitze zu führen, andere Werte. Dazu gehören Weitsicht und Geduld. Angebote von potenziellen Geldgebern habe es viele gegeben, sagt Faes. Aus Belgien, aus der Türkei, sogar ein Scheich aus Abu Dhabi habe ihn besucht. Schliesslich geht der Verein eine Partnerschaft mit Core Sports ein. Die Firma des Zürchers Ahmet Schaefer besitzt den Ligue-2-Klub Clermont und hält neben Biel auch eine Minderheitsbeteiligung an Austria Lustenau. Faes ist es wichtig, dass die Mehrheit der Klubanteile in Biel bleibt. «Der Verein soll der Region gehören.»
Das Ziel in Biel ist von Anfang an die Rückkehr in die Challenge League. «Mit unserer Infrastruktur, mit unseren Fans gehören wir einfach dorthin», sagt Faes. Immerhin 923 Zuschauende verzeichnet der FC Biel im letzten Heimspiel gegen Vevey. Nur zwei der fünf Spiele der Challenge League am gleichen Wochenende sind besser besucht. Aktuell liegen die Bieler auf Platz 2, einen Punkt hinter Kriens. Die Innerschweizer zu überholen, hat im Seeland oberste Priorität. Ein sensationeller Einzug in den Cup-Halbfinal wäre dem FC Biel aber natürlich auch recht, sagt Faes. Denn wie im Theater ist bekanntlich auch im Cup alles möglich. (riz/sda)