Die Handykamera läuft. Ein tiefer Atemzug. «Hey Amanda, hoffe, es geht dir gut. Ich habe eine kurze Nachricht für dich: Bleib stark und glaub an dich. Ich bin mir sicher, dass du eine starke Frau bist und mit den Umständen klarkommst. Mach deine Familie stolz. Wünsche dir alles Gute und bleib gesund.» Zum Ende werden die Mundwinkel zu einem dezenten Lächeln angehoben. Fertig ist das 29-sekündige, persönliche Video von Nati-Captain Granit Xhaka.
Seit März dieses Jahres bietet der 30-jährige Arsenal-Profi seine Dienste auf der amerikanischen Plattform «Cameo» an. Die Mission des US-Unternehmens laut Beschreibung auf der Website: Die persönlichsten und authentischsten Fanverbindungen der Welt ermöglichen. Für 107 Franken erhält man vom Mittelfeldspieler unter anderem aufmunternde Worte, Gratulationen zum Geburtstag, zur bestandenen Maturaprüfung, zur Hochzeit oder Ratschläge bei verzwickten Alltagsproblemen. Deutlich tiefer in die Tasche greifen müssen Unternehmen. Für 9000 Franken verschickt Xhaka ein Business-Video, in dem ein Produkt oder eine Dienstleistung vermarktet wird.
Doch was erhofft sich der Basler von diesem Engagement? Einen Zustupf? Kaum. Mit einem Jahreslohn von über 6 Millionen Franken lässt sich der Aufwand für ein persönliches Video nicht mit den Einkünften aufwiegen. Die Motive dürften viel mehr mit Marktwertsteigerung und Imagepolitur zu tun haben. Das vermutet zumindest PR- und Kommunikationsexperte Stefan Herrmann.
«Es bietet sich die Chance, Nähe und Bodenhaftung zu symbolisieren. Die meist gut behüteten und abgeschirmten Stars können dies dank eines solchen Onlinemediums kompensieren», erklärt der Inhaber der Berner Agentur «Herrmannkomm». Zudem könne diese Umgebung dazu beitragen, zu einem besseren Marktwert als Werbeträger oder Influencer zu gelangen.
Auf «Cameo» tummeln sich über 35'000 Prominente. Xhakas Teamkollegen Gabriel Jesus, Thomas Partey oder Jorginho bieten dort ebenfalls ihre Dienstleistungen an. Neben den Fussballern sind Persönlichkeiten wie Disney-Star Lindsay Lohan (360 Franken für einen Video-Gruss), Baywatch-Schauspieler David Hasselhoff (1347 Franken für einen Video-Anruf) oder Reality-TV-Grösse Caitlyn Jenner auf der Plattform buchbar.
Bei Letzterer muss man für eine Video-Botschaft gleich 2250 Franken hinblättern. Mit dem ehemaligen Spitzenschiedsrichter Urs Meier ist ein weiter Schweizer mit von der Partie. Die 90 Franken pro Video kommen beinahe schon einem Schnäppchen gleich.
Sieben Tage haben die Celebritys Zeit, um die Anfrage ihrer Anhänger anzunehmen oder auszuschlagen. 25 Prozent der Einnahmen gehen auf das Konto der Betreiber, 75 Prozent auf jenes der Stars. Neben den Chancen bestehen bei all den Videoinhalten auch Risiken. «Granit Xhaka ist ein Athlet, der polarisiert. Wenn man negativ in die Schlagzeilen gelangt, dann werden plötzlich Vorwürfe, noch mehr Geld anhäufen zu wollen, laut», mahnt PR-Fachmann Herrmann.
Weil die Videos von den Empfängern gespeichert und weiterverbreitet werden dürfen, muss der Auftritt stets professionell daherkommen. Hier sieht Herrmann bei Xhaka, der seine Videos mal vor laufendem TV-Bildschirm, mal im Auto, mal auf der Couch liegend aufnimmt, noch Verbesserungspotenzial. «Er kommt sehr hölzern rüber, spult sein Programm einfach runter. Man bekommt das Gefühl vermittelt, dass es sich für ihn um eine Pflichtaufgabe handelt.» So könne der Schuss dann auch nach hinten losgehen.
Vergleicht man den Nati-Captain mit anderen Promis, fallen erhebliche Unterschiede auf. Etwa der britische Schauspieler Tom Felton, der durch seine Rolle als Draco Malfoy in den Harry-Potter-Filmen zu Bekanntheit gelang, nimmt sich für seine Botschaften besonders viel Zeit. Während der durchschnittlichen Dauer von eineinhalb Minuten garniert er seine Nachrichten mit Witzen, persönlichen Details der Empfänger oder einem Ständchen.
Granit Xhaka is now on Cameo. $119 for a personalized video. pic.twitter.com/wa89smn0SC
— Irma Fernandez-Roy (@irmafernandez) March 14, 2023
Felton verlangt zwar das fünffache des Schweizers, doch dafür erweckt er beim Adressaten auch das Gefühl, dass er in diesem Augenblick im Mittelpunkt steht. «Entweder man macht es richtig, oder man lässt es sein», meint Herrmann.
Weil das Risiko überschaubar sei und die Chancen überwiegen, sieht der PR-Experte das Cameo-Abenteuer von Xhaka dennoch in einem positiven Licht. Bald wird die Handykamera beim 30-jährigen Nati-Captain wieder laufen. Wenn er an die Tipps des Experten denkt, wird er am Ende des nächsten Videos die Mundwinkel rasch nach oben reissen und zu einem breiten Lächeln ansetzen. (aargauerzeitung.ch)