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The Pressure Game – Filmemacher Simon Helbling über die Nati an der WM

The Pressure Game Schweizer Nati Kabine
So nah an der Schweizer Nati war man als Fan wahrscheinlich noch nie.Bild: the pressure game

«Dann schalten sie in den Beastmode» – Filmemacher war an der WM hautnah an der Nati dran

Die Fussball-WM 2022 endete für die Schweiz brutal. Nach dem emotionalen Sieg gegen Serbien flog die Nati im Achtelfinal gegen Portugal hochkant aus dem Turnier. Stets mit der Kamera dabei: Filmemacher Simon Helbling für seine Serie «The Pressure Game».
21.03.2023, 11:0422.03.2023, 07:50
Ralf Meile
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Nach der WM ist vor dem Schnitt. Rund 450 Stunden Filmmaterial trug Simon Helbling in den neun Monaten, in denen er die Schweizer Fussball-Nationalmannschaft begleitete, zusammen. Aus diesen fabrizierte er eine sechsteilige Doku-Serie, die nun zu sehen ist.

«Das war eine riesige Aufgabe», sagt der Ostschweizer Regisseur von «The Pressure Game» über seine Arbeit am Schnittplatz. Allerdings habe es sich dabei um eine Art Luxusproblem gehandelt: «Du willst ja auch an diesen Punkt kommen, an dem du mehr gute Storys hast, als du erzählen kannst, und nicht umgekehrt.» Es sei schmerzhaft gewesen, eindrückliche Szenen dem Schnitt zu opfern, weil sie nicht in den Erzählfluss passten. «Das gibt einen langen Director's Cut, um all dies doch zeigen zu können», meint Helbling und lacht.

Mit dem «SH» auf dem Trainerjäckli

Helblings Arbeit mit der Nati begann im vergangenen März. Den Spielern wurde von Anfang an klar gemacht, dass er kein aussenstehender Journalist ist, sondern einer, der zur Nati gehört. Nicht als einer, der Fussball spielt oder der massiert, sondern halt als Mann, der filmt und fragt. Nationaltrainer Murat Yakin wies ihn bald einmal an, sich die Kleider eines Staff-Mitglieds geben zu lassen, inklusive den Initialen «SH» auf dem Trainerjäckli. Damit auch optisch allen klar war: Hier filmt kein Fremder, sondern ein «Eigener».

Simon Helbling SFV The Pressure Game
In Katar stand ausnahmsweise auch einmal Simon Helbling den Reportern Rede und Antwort.Bild: SFV/Fabian Michel

Von den ersten Interviews an hätten sich die Spieler ihm gegenüber deshalb geöffnet, erzählt Helbling. Das habe ihn positiv überrascht. Es sei wohl so, dass sich viele Fussballprofis in ihrem Kluballtag daran gewöhnt haben, dass oft eine Kamera mit dabei ist. «Um zu filmen, ist das natürlich ein Traumzustand», ist sich Helbling bewusst.

Cineastischere Bildsprache als bei Fussballübertragungen

Vor einem Spiel und in der Halbzeitpause hielt er sich als Regisseur zurück, die Kamera lief aber mit. In der Kabine wurden auch Kameras fix installiert, während der WM-Partien filmte Helblings Crew mit bis zu sechs eigenen Kameras. «Ich hatte unter anderem eine Kino-Kamera auf Augenhöhe der Spieler, mit der ich Super-Zeitlupen herstellen konnte, damit ich eine andere, cineastischere Bildsprache benutzen kann als jene, die man von Fussballübertragungen kennt.»

Dazu wurden die Mitglieder des Trainerstabs mit Mikrofonen versehen. «Da staunt man dann, wie sehr sie auf der Bank mitleiden und auch, wie ‹Muri› flucht. Im TV sieht man das ja nur, aber man hört sie nicht.»

The Pressure Game Granit Xhaka Serbien
Von der Seitenlinie filmt Helblings Crew, wie sich die Serben Granit Xhaka vorknöpfen.Bild: the pressure game

Beeindruckt habe ihn das Level an Professionalität, berichtet der 37-Jährige. «Die Spieler können herumblödeln, aber sobald es dann ins Training geht oder die Spielvorbereitung beginnt, dauert es nullkommanull und sie schalten in den ‹Beastmode› um. Dann sind sie topseriös und es gibt nur noch die Arbeit auf dem Platz. Und die wird dann durchgezogen.»

Der Trailer zu «The Pressure Game»

Video: srf/Simon Helbling

Besuche bei den Spielern zuhause

Helbling war vorher ein «normaler» Fan der Nati und nahm seine Arbeit natürlich mit gewissen Vorstellungen auf, auch hinsichtlich der Spieler. Durchs Band hätten diese ihn positiv überrascht, stellt er fest. «Xherdan Shaqiri etwa, der für Schweizer Verhältnisse ja wirklich ein Superstar ist, stellte sich als ‹gmögiger›, entspannter Zeitgenosse heraus», nennt Helbling ein Beispiel.

«Haris Seferovic war für mich ebenfalls eine Überraschung, er kommt oft anders rüber, als er ist, denn er ist nicht so angestrengt und distanziert, wie es manchmal den Anschein macht.» Ihn konnte der Filmemacher auch zuhause besuchen. Er lernte den routinierten Stürmer als «mega intelligenten, sympathischen Menschen» kennen.

Helbling nutzte die Gelegenheit, mehr von den Spielern zu erfahren als in Kurz-Interviews direkt nach dem Schlusspfiff oder durch von PR-Beratern glattgebügelte Statements. Auch andere Spieler habe er in deren eigenen vier Wänden treffen können. «Das war cool, alle waren sehr entspannt, waren ehrlich und liessen Nähe zu.»

«Alter, what the fuck?!»

Die Serie dreht sich primär um die vier WM-Partien der Schweiz. Beim 1:0-Sieg gegen Kamerun stand Torschütze Breel Embolo im Fokus, der Schweizer Stürmer mit Wurzeln in Kamerun. Bei der 0:1-Niederlage gegen Brasilien versuchte Helbling, die akribische taktische Arbeit von Staff und Team abzubilden. «Als Laie fand ich das eine defensiv wirklich sehr gute Leistung, aber für die Mannschaft zählt nur das Ergebnis. Das stellte ich fest, als ich ‹Tubel› anschliessend in der Kabine zum guten Match gratulierte, aber nur entgeisterte Blicke erntete oder ein ‹Alter, what the fuck?!› zu hören bekam.

Zum Abschluss der WM-Gruppenphase, als die Schweiz in einem aufwühlenden Spiel Serbien 3:2 schlug, drehte sich vieles um Granit Xhaka. «Ich finde, es gibt um ihn teilweise eine Berichterstattung, die ich etwas schräg finde», meint Helbling. «Granit ist wahrscheinlich der beste Fussballer, den die Schweiz je herausgebracht hat. Mich erstaunt es, dass seinen Leistungen nicht die gleiche Aufmerksamkeit geschenkt wird wie dem, was neben dem Platz passiert.»

Der Filmemacher interviewte deshalb auch den SRF-Reporter Sascha Ruefer, der die Nati-Spiele seit vielen Jahren kommentiert. «Ich habe den Eindruck, dass seine Live-Kommentare die Diskussionen im Land sehr prägen», sagt Helbling. Ein Gedanke, mit dem er kaum allein sein dürfte.

Die grosse Leere nach dem Out

Helbling erzählt, er habe die Spieler unter anderem gefragt, ob sie den Eindruck hätten, dass die Berichterstattung je nach Nachname anders sei. «Alle, die nicht Müller heissen oder meine Hautfarbe haben, sagten sofort, dass sie das so empfinden. Und die anderen sagten Dinge wie: ‹Ich hoffe nicht.›»

Murat Yakin The Pressure Game
Trainer Yakin tüftelt an der richtigen Taktik.Bild: the pressure game

Egal, ob weiss oder schwarz, ob Migrationshintergrund oder nicht: Tief enttäuscht waren sie alle nach ihrem Abschied von der WM. Mit 1:6 ging der Achtelfinal gegen Portugal verloren, nach einer Darbietung, die viele Fragen aufwarf.

«Da war es einfach nur minutenlang mucksmäuschenstill in der Kabine. Man hätte tatsächlich eine Nadel fallen hören können», schildert Simon Helbling die Momente nach dem Ausscheiden. Nach anderen Niederlagen sei oft kurz nach dem Schlusspfiff schon wieder das nächste Spiel im Fokus. Das sei in diesem Fall ganz anders gewesen.

Kein Wunder – nach diesem Debakel gegen Portugal gab es halt für einmal kein nächstes Spiel mehr. Der grosse Traum war geplatzt, die WM war vorbei. Ausser für Simon Helbling, der die Kamera zur Seite legte und sich in den Schnittraum zurückzog.

«The Pressure Game»
Ab Dienstag, 21.3. sind alle Folgen auf der Plattform «Play Suisse» verfügbar.

SRF 1:
Dienstag, 21.3., 20.05 Uhr, Folgen 1-3.
Donnerstag, 23.3., 20.05 Uhr, Folgen 4-6.

Die Serie entstand als Co-Produktion von Stories AG und Freshcom, in Zusammenarbeit mit der SRG und dem Schweizerischen Fussballverband.
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