Das legendäre Wembley-Stadion lädt am Sonntagabend (18 Uhr) zu einem Fussballfest. Im Final der Frauen-EM trifft Gastgeber England vor über 80'000 Fans auf Rekord-Europameister Deutschland. Eine Affiche mit Zündstoff und Geschichte. Ein echter Klassiker.
Die Engländerinnen gehen favorisiert in die Partie, doch Deutschland mit der ehemaligen Schweizer Nationaltrainerin Martina Voss-Tecklenburg ist nicht zu unterschätzen.
EM-Final im eigenen Land. Die englischen Frauen stehen den Männern in nichts nach und haben sich mit ihren Auftritten in die Herzen der Engländerinnen und Engländer gespielt. Die Männer verloren gegen Italien, die Frauen wollen es nun besser machen. Im ausverkauften Wembley-Stadion werden die «Lionesses» natürlich den Heimvorteil geniessen.
Vor über 80'000 Fans muss das Team von Sarina Wiegman aber auch aufpassen, dass es nicht vor Nervosität gelähmt sein wird – zumal die Engländerinnen an diesem Turnier öfter mal den Start etwas verschlafen haben. Können sie den Schwung des Publikums mitnehmen oder zerbrechen sie am Druck?
Das Duell zwischen England und Deutschland ist auch jenes der zwei bisherigen Toptorschützinnen: der Engländerin Beth Mead und Alexandra Popp auf deutscher Seite. Beide haben nach fünf Spielen jeweils sechs Tore auf dem Konto.
Mead ist die grosse Allrounderin in Englands Angriffsspiel. Die 27-Jährige hat neben ihren sechs Toren auch bereits fünf Assists auf dem Konto. Vieles im Spiel der Engländerinnen läuft über die Arsenal-Stürmerin.
Popp ist dagegen eine klassische Strafraumstürmerin. Fast alle ihrer Abschlüsse kommen aus der Box. Mit 174 cm Körpergrösse ist die 31-jährige Popp insbesondere per Kopf und ganz generell bei hohen Bällen gefährlich. Und Flügelspielerin Svenja Huth findet ihre Teamkollegen immer wieder mit präzisen Hereingaben.
Das Duell im Final gegen Deutschland ist für England auch eines mit den eigenen Dämonen. Gegen kein anderes Team haben die «Lionesses» öfter verloren als gegen die DFB-Elf (21 Niederlagen in 27 Spielen). An Europameisterschaften konnten die Engländerinnen gegen die Erzrivalen in vier Versuchen noch nie gewinnen. Das letzte EM-Duell war das Endspiel von 2009, als England mit 2:6 unterging.
Doch es gibt für das Team von Sarina Wiegman auch Grund zur Hoffnung. Die Stärkeverhältnisse haben sich verschoben. Beim letzten Aufeinandertreffen mit Deutschland im Februar dieses Jahres gewann England mit 3:1.
Insgesamt verfügt England sicher über das etwas breitere Kader als Deutschland. Das zeigt sich darin, dass Trainerin Sarina Wiegman immer wieder mit Einwechslungen Wirkung erzielen kann. Bestes Beispiel ist Alessia Russo. Wiegman brachte die 23-jährige Mittelfeldspielerin, als England im Viertelfinal gegen Spanien mit 0:1 zurück lag. Russo übernahm sofort das Spieldiktat und die Engländerinnen schafften noch die Wende.
Im Halbfinal gegen Schweden traf die Spielerin von Manchester United nur elf Minuten nach ihrer Einwechslung spektakulär zum 3:0. Neben Russo hat Wiegman auch Spielerinnen wie Ella Toone, Chloe Kelly, Jill Scott oder Demi Stokes auf der Bank, die allesamt über viel Qualität verfügen.
Deutschland wird für die Engländerinnen aber schwer zu knacken sein. Es ist äusserst unangenehm, gegen die Elf von Martina Voss-Tecklenburg zu spielen. Die deutsche Nationaltrainerin kombiniert hohes Pressing mit einem äusserst soliden Abwehrriegel.
Die DFB-Frauen blieben an diesem Turnier 404 Minuten ohne Gegentor und tatsächlich hat noch keine einzige Gegenspielerin Torhüterin Merle Frohms bezwungen. Das einzige EM-Gegentor im Halbfinal gegen Frankreich war ein Eigentor der 27-jährigen Keeperin. Doch wenn ein Team das deutsche Abwehrbollwerk knacken kann, dann England. Die «Lionesses» sind mit 20 Toren aus fünf Partien mit Abstand die torgefährlichste Equipe des Turniers – Deutschland liegt auf Platz zwei mit 13 Treffern.
Martina Voss-Tecklenburg bringt sehr viel Erfahrung mit. Doch Sarina Wiegman steht dem in nichts nach. Die 52-Jährige ist amtierende Europameisterin – 2017 holte sie den Titel für ihr Heimatland ebenfalls vor eigenem Anhang. Nun kann sie dieses Kunststück in England wiederholen.
Seit Wiegman die «Lionesses» übernommen hat, sind diese wortwörtlich unschlagbar. Bei 19 Auftritten musste die Niederländerin keine einzige Niederlage einstecken. Zwei Unentschieden (1:1 gegen Kanada, 0:0 gegen Spanien) waren die Tiefpunkte der bisherigen Amtszeit. Wessen Serie endet zuerst: Wiegmans Ungeschlagenheit als englische Nationaltrainerin oder Deutschlands EM-Ungeschlagenheit gegen England? Die Antwort auf diese spannende Frage gibt es am Sonntagabend.
Wovon ich ein wenig enttäuscht bin, ist ehrlich gesagt die weibliche Unterstützung. Da wurde im vornherein viel diskutiert (gleiche Löhne etc.), aber wenn es dann um effektive Unterstützung ging, war da kaum was zu sehen. Auf social Media, im privaten Rahmen, keine Aktionen, keine Diskussionen. Auch hier in den Kommentarspalten. Tote Hose.
Das ist der zweitgrösste weibliche Event auf diesem Planeten und er wird nicht genutzt. Schade, oder ehrlich gesagt, selber schuld.