Der Europa-League-Final zwischen Marseille und Atlético Madrid wird für die Südfranzosen praktisch zu einem Heimspiel, denn er findet in Lyon statt. Dabei waren die Spiele dort für Marseille früher immer die Auswärtsspiele schlechthin.
Die beiden Olympique – Marseille und Lyon – zankten untereinander viele Jahre um die Vorherrschaft im französischen Klubfussball. Das Stade Gerland in Lyon war für Marseille Feindesland. Seit der Einweihung des Parc Olympique Lyonnais Anfang 2016 hat sich wenig daran geändert. So gesehen wäre es für Marseille ein doppelter Triumph, wenn es seinen grössten internationalen Erfolg nach dem Gewinn der Premiere der Champions League vor 25 Jahren ausgerechnet in Lyon erringen könnte.
In jüngerer Vergangenheit konnte Marseille allerdings wenig Erfahrung in europäischen Finals sammeln – gerade im Vergleich mit Atlético. Die Spanier könnten die Europa League zum dritten Mal nach 2010 und 2012 gewinnen und damit in der Periode der letzten acht Jahre den FC Sevilla einholen. In der Champions League verhinderte nur Erzrivale Real Atléticos Sieg im wichtigsten Wettbewerb. In den Finals 2014 und 2016 verlor Atlético einmal nach Verlängerung, das zweite Mal nach Penaltyschiessen.
Für die Franzosen dagegen ist die Teilnahme an einem Europacup-Final ein seltenes Ereignis. Marseille stand letztmals 2004 im Final des UEFA-Cups und verlor 0:2 gegen Valencia. Frankreich ist in der langen Geschichte des UEFA-Cups respektive der Europa League überhaupt noch ohne jeden Titel. OM-Abwehrchef Luiz Gustavo weiss daher um die für viele wohl einzigartige Möglichkeit. «Das ist ein Final, man arbeitet sein ganzes Leben für so eine Gelegenheit», sagte der brasilianisch-deutsche Doppelbürger, der 2013 mit Bayern München die Champions League gewann.
Um in den Final zu kommen, musste Marseille den längsten Weg gehen – über zwei Qualifikationsrunden, die Gruppenphase und vier K.o.-Runden. Überzeugend waren die Auftritte der Mannschaft von Trainer Rudi Garcia selten. So brauchten die Franzosen im Halbfinal-Rückspiel in Salzburg auch die Hilfe des Schiedsrichters.
Atlético Madrid hat eines seiner ersten Ziele in dieser Saison schon so gut wie sicher erreicht. Es wird sich in der Meisterschaft als Zweiter vor dem Erzrivalen Real Madrid klassieren. In den letzten 22 Jahren konnten die Rotweissen nur ein einziges Mal das weisse Ballett hinter sich lassen. Das war in der Saison 2013/14 der Fall, als Atlético auf die schönste Art Meister wurde: drei Punkte vor dem FC Barcelona und Real.
Atlético könnte seine Europacup-Saison, die noch im Herbst ein Debakel war, im Triumph beenden. In der Champions League enttäuschten die Madrilenen. Sie schieden hinter Chelsea und Roma aus. Aber ab da kam der Charakter des Trostwettbewerbs zum Tragen, den die Europa League für die enttäuschten Gruppendritten der Champions League hat. Im Frühling eliminierte Atlético nacheinander den FC Kopenhagen, Lokomotive Moskau, Sporting Lissabon und schliesslich in den Halbfinals Arsenal.
Gänzlich sorgenfrei reisen die Madrilenen nicht nach Lyon. In den letzten Wochen brachten Gerüchte über den möglicherweise bevorstehenden Wegzug des französischen Stürmerstars Antoine Griezmann Unruhe in die Mannschaft. Noch ist nichts konkret, aber Griezmanns Transfer, der Atlético empfindlich schwächen würde, wird allgemein erwartet.
Ein konkretes Handicap im Final ist auch die Tatsache, dass Trainer Diego Simeone die Mannschaft nicht an der Linie dirigieren kann. Der Argentinier ist nach seinem ungebührlichen Benehmen im Halbfinal gegen Arsenal gesperrt. Er muss den Match auf der Tribüne verfolgen. Die UEFA hat einen Rekurs gegen die Sperre abgelehnt. (ram/sda/afp/dpa)