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Jean-Marie João Faustin Goedefroid de Havelange ging es schon lange nicht mehr gut. Seit längerer Zeit wurde er in seinem Zuhause in der Nähe von Rio de Janeiros Ipanema-Strand Tag und Nacht betreut. Seit der Lungenentzündung von Mitte Juli und bis zu seinem Tod lag er im Spital Samaritano im Stadtteil Botafogo. Dass er ausgerechnet während der Olympischen Spiele in Rio verstarb, ist eine traurige Laune des Schicksals. Er starb, während im Olympiastadion, das seinen Namen trägt, die Leichtathletik-Wettbewerbe durchgeführt wurden.
Hier hätte in diesen Tagen auch eine grosse Party zu Havelanges Ehren und zu seinem 100. Geburtstag, den er im letzten Mai feierte, steigen sollen. So war das 2009 abgemacht, nachdem Havelange als IOC-Mitglied erfolgreich Lobbying betrieben und die Spiele nach Rio gebracht hatte. «In sieben Jahren feiern wir bei der Eröffnungszeremonie der Olympischen Spiele im João-Havelange-Stadion gemeinsam seinen 100. Geburtstag», hatte der damalige brasilianische Staatspräsident Luiz Ignacio Lula da Silva am IOC-Kongress in Kopenhagen gesagt.
Doch seither ist viel Wasser den Amazonas heruntergeflossen und viel (Korruptions-)Dreck am Ipanema-Strand angespült worden. Gegen den 2011 als Staatspräsident zurückgetretenen Lula wird und wurde in mehreren Korruptionsfällen ermittelt. Havelange ist spätestens 2013 im Korruptionssumpf der Sport-Funktionäre steckengeblieben. Daraufhin war er als Ehrenpräsident der FIFA zurückgetreten. Damit kam er immerhin um eine Ermittlung der FIFA-Ethikkommission herum. Im Alter von 95 Jahren musste der Brasilianer seinen Sitz im Internationalen Olympischen Komitee (IOC) räumen und kam damit einem Ausschluss zuvor.
Früher war er der mächtigste Sportfunktionär der Welt, am Ende wollte keiner mehr so recht etwas mit ihm zu tun haben.
Zum berühmtesten Fall von Korruption in Havelanges Funktionärskarriere wurden die Bestechungsgelder, die er als FIFA-Präsident von der Schweizer Marketing-Agentur ISL kassiert hatte. Zu einer Verurteilung von Havelange und seinem früheren Schwiegersohn Ricardo Teixeira, der später und bis 2013 auch Fussball-Verbandspräsident Brasiliens war, kam es in der Schweiz nicht. Das Verfahren wurde 2010 eingestellt.
Die FIFA hatte Havelange zwischen 1974 und 1998 ein Vierteljahrhundert lang als Präsident geführt, ehe er das Amt an seinen Zögling Sepp Blatter abgab. Unter Havelange hatte die Fussball-Bewegung einen ersten grossen Schritt hin zur globalen Geld-Maschine gemacht. Er vergrösserte das Teilnehmerfeld zunächst von 16 auf 24 (1982), dann auf 32 Mannschaften (1998). Zudem wurden die diversen Entwicklungsprojekte der FIFA schon unter Havelange angestossen. Mit der Umsetzung betraute er den damaligen Generalsekretär Sepp Blatter.
Im Widerspruch zu diesen Entwicklungsprojekten steht die Kritik, wonach Havelange die Nähe zu diktatorischen Regimes suchte. Diese Kritik begleitete den Brasilianer Zeit seiner Präsidentschaft. Ob sie gerechtfertigt war, blieb ungeklärt. Sicher ist jedoch, dass unter Havelanges FIFA-Führung die WM-Endrunde 1978 in Argentinien stattgefunden hatte – in einer damals brutalen Militärdiktatur.
Im brasilianischen Sport baute Havelange eine Art eigene Junta auf. Autoritär und patriarchalisch war auch sein Führungsstil, die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» hat ihn als «Caudillo der FIFA» bezeichnet. Caudillo – das war der Titel des spanischen Diktators Franco.
Havelange war ein Meister darin, Macht zu organisieren, Mehrheiten auf seine Seite zu bringen. Bevor der Jurist 1974 ins FIFA-Amt gewählt wurde, unternahm er eine ausgedehnte Tour durch Afrika und Asien und besuchte insgesamt 86 Länder. Die Stimmen dieser Nationen bei seiner anschliessenden Wahl hatte er sicher. Sein Nachfolger Joseph Blatter hat sich diese Methode beim Brasilianer abgeschaut.
Havelange war stockkonservativ, man kann ihn ohne schlechtes Gewissen einen Reaktionär nennen. Aber Havelange war auf eine andere Weise auch modern. Er hat mit Hilfe seines umtriebigen Generalsekretärs Blatter den Weltfussball zu dem gemacht, was er heute ist: eine der gewaltigsten Kommerzmaschinen des Planeten.
Die FIFA wurde erst unter ihm zum finanziellen Riesen. Havelange hat mal gesagt: «Als ich bei der FIFA anfing, da fand ich ein altes Haus vor und 20 Dollar in der Kaffeekasse. Als ich ging, besass die FIFA Verträge und Besitztümer im Wert von über vier Milliarden Dollar.» Er trug dazu bei, dem Fussball neue finanzstarke Märkte zuzuführen. 1994 wurde die WM erstmals in den USA ausgetragen, noch unter Havelange fiel der Beschluss, die Weltmeisterschaft 2002 in Japan und Südkorea auszurichten.
Im Bemühen, die FIFA, den brasilianischen Verband und vor allem sich selbst noch reicher zu machen, verwischte er mehr und mehr die Grenzen zwischen Akquise und Korruption. Bis hin zu Havelanges Deal mit dem Fernsehrechtevermarkter ISL, der seinerseits durch Zahlung von Schmiergeldern versucht hatte, Sportfunktionäre im IOC und der FIFA gefällig zu machen.
Doch es gibt auch ein Sport-Leben von Havelange neben beziehungsweise vor seinem umstrittenen Wirken als mächtiger Sportfunktionär. Zur olympischen Familie gehörte er nicht nur während den 42 Jahren als IOC-Mitglied. Havelange, der 1916 als Sohn eines belgischen Waffenhändlers aus Lüttich in Rio de Janeiro geboren wurde, nahm zweimal an Olympischen Sommerspielen teil. 1936 in Berlin als Schwimmer, 1952 in Oslo als Wasserballer. Sechs Jahre später begann seine Karriere als Sportfunktionär beim nationalen olympischen Komitee Brasiliens sowie beim Rad-Weltverband UCI. (spon/fox/sda)