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Christian Fassnacht und die quälende Frage: «Wird alles wieder gut?»

Fassnacht erlitt Anfang November einen Schädelbruch und hörte auf dem rechten Ohr nichts mehr.
Fassnacht erlitt Anfang November einen Schädelbruch und hörte auf dem rechten Ohr nichts mehr.Bild: keystone

Christian Fassnacht und die quälende Frage: «Wird alles wieder gut?»

Christian Fassnacht erlebte ein aufregendes und erfolgreiches Jahr als Fussballer – bis er sich anfangs November einen Schädelbruch zuzog und an Gehörverlust leidet. Seither verfolgt ihn die Frage, ob Fussballspielen jemals wieder dasselbe sein wird – eine Begegnung.
23.12.2021, 09:03
Etienne Wuillemin / ch media
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Gerade noch erlebt Christian Fassnacht die schönen Seiten eines Sportlers. Erfolge, Emotionen, das pure Glück. Vierter Meistertitel in Serie mit YB. EM-Viertelfinal mit der Nati. Champions League mit YB. Doch plötzlich ist alles anders.

Der fatale Unfall passiert am 6. November. YB ist bei GC zu Gast. Wenige Minuten sind erst gespielt, als GC-Verteidiger Toti Gomes zu spät kommt und Fassnacht mit dem Kopf seitlich trifft. Es ist ein heftiger Zusammenprall. «Ich merkte sofort: ­etwas stimmt nicht. Wobei ich den Schädelbruch zuerst nicht einmal bemerkt habe. Aber es fühlte sich an, als wäre das rechte Ohr voll mit Staub. Ich hörte auf dieser Seite nichts mehr.»

Fassnacht wird in den Notfall des Universitätsspitals Zürich gebracht. Der Arzt fragt bei der Besprechung der Röntgenbilder:

«Wissen Sie, wie ‹Eier ­tütschen› funktioniert?». «Ja, klar», antwortet Fassnacht. Worauf der Arzt sagt: «Es tut mir Leid, Sie haben verloren.»

Fassnacht hat die Prise Humor gut getan, es zeigt ihm, dass der Worstcase glücklicherweise nicht eintrat. «Trotzdem haben mir die Bilder einen ziemlichen Schrecken eingejagt. Wenn der Knochen nur ein bisschen mehr eingedrückt gewesen wäre und die Arterie dahinter getroffen hätte, wäre es um mein Leben gegangen.»

Das bedeutet: Fassnacht ist zur absoluten Ruhe gezwungen. Zwei Nächte verbringt er im Spital. Danach ist er zu Hause fast drei Wochen zum Nichtstun verdammt. Im rechten Ohr begleitet ihn ein konstantes Rauschen, schon das kleinste Geräusch verursacht Schmerzen.

«Irgendwann versuchte ich, in ein Restaurant zu gehen. Ich hatte das Gefühl, alle Leute würden rumschreien – dabei redeten sie einfach ganz normal.»
Fassnacht zusammen mit Nati-Direktor Pierluigi Tami und Goalietrainer Patrick Foletti an den Sports Awards.
Fassnacht zusammen mit Nati-Direktor Pierluigi Tami und Goalietrainer Patrick Foletti an den Sports Awards.bild: keystone

Fast sechs Wochen sind seit dem Unfall vergangen, als Fassnacht an einem Morgen im Stadion Wankdorf noch einmal zurückblickt. Mittlerweile hat er sein Lachen und die Zuversicht wieder gefunden. Doch es hat gedauert, bis es soweit war.

«Ich bin ein extrem aufgestellter Mensch, normalerweise geniesse ich jeden Tag. Auch darum bin ich ziemlich erschrocken, als ich feststellte, wie schlecht es mir geht. Der Alltag funktionierte einfach nicht, ich war in einem Zustand, in dem mich alles runtergezogen hat. Ich musste merken, wie schnell es gehen kann, in leichte Depressionen abzurutschen.»

Und schliesslich fügt Fassnacht an: «Wenn jemand von einem Burnout oder Depressionen erzählte, dachte ich immer: ‹Ja aber, das geht doch schon irgendwie, das kann man doch selbst lenken – versuch doch, das Positive zu sehen.› Nun erkannte ich: Wenn einen so etwas bedrückt, hast du keine Chance, allein dagegen zu steuern.»

Eineinhalb Jahre ohne Zeit, durchzuatmen

Es sind Worte, die einen zum Nachdenken bringen. Dass Fassnacht wohl bleibende Schäden erlitten hat, sagten ihm die Ärzte von Anfang an. Das gebrochene Schläfenbein ist mittlerweile wie erwartet wieder zusammengewachsen. Doch das Hörvermögen im rechten Ohr wird wohl nie mehr ganz so gut sein wie zuvor. «Es geht mir aber grundsätzlich gut damit. Es hat sich stark verbessert, ich konnte mich daran gewöhnen und auch damit abfinden.»

Es ist eine andere Frage, die den 28-Jährigen umtreibt: «Werde ich als Fussballer je wieder die Leistungen abrufen können wie vor der Verletzung? Lässt es der Körper zu? Wenn 22 Fussballer auf dem Platz stehen und – Corona einmal ausgenommen – vielleicht 30'000 Zuschauer Lärm machen im Stadion? Ich bin optimistisch, aber eine Bestätigung habe ich noch nicht.»

Young Boys' Christian Fassnacht reacts during a Group F Champions League soccer match between Villarreal and Young Boys at the Ceramica stadium in Villarreal, Spain, Tuesday, Nov. 2, 2021. (AP Ph ...
Fassnacht hat das Training mittlerweile wieder aufgenommen.Bild: keystone

Seit Dezember trainiert Fassnacht wieder. Allerdings absolvierte er ein Sonderprogramm, der Körper funktioniert einwandfrei, aber Zweikämpfe und Kopfbälle sind noch verboten. Sein Ziel ist es, nach den Ferien zum Trainingsstart vor der Rückrunde am 3. Januar wieder ins Mannschaftstraining einsteigen zu können.

Bei allem Unglück, Fassnacht hat die Pause in den letzten Wochen doch auch gut getan. «Ab dem Moment, in dem ich merkte, es geht wieder bergauf, konnte ich die Zeit sogar ein bisschen geniessen. Ich realisierte: Die letzten anderthalb Jahre waren ein permanentes Hinundher-Rennen. Es ist so viel passiert – da blieb nie Zeit, um durchzuatmen. Darum war es schön, einfach mal nichts zu machen. Mehr Zeit für Freundin, Familie und Freunde zu ­haben. Vielleicht einmal mehr an den Weihnachtsmarkt zu gehen. Dinge eben, die sonst zu kurz kommen.»

Jede Woche zwei Spiele und das Leben rauscht vorbei

In der Tat hat Fassnacht intensive Monate hinter sich. Nach dem Meistertitel mit YB folgte die EM, der unvergessliche Triumph gegen Frankreich im Achtelfinal, zu dem Fassnacht massgeblich beigetragen hatte. Er wurde eingewechselt, als die Schweiz 1:3 zurücklag, leitete beide Tore zum 2:3 und 3:3 mit Ballgewinnen ein.

The Swiss team, with from right, Silvan Widmer, Manuel Akanji, Denis Zakaria, goalkeeper Yann Sommer, Ricardo Rodriguez, Christian Fassnacht and goalkeeper Yvon Mvogo, celebrates after winning the Eur ...
Fassnacht an der EM – mittendrin, statt nur dabei.Bild: keystone

Nach nur einer Woche ­Ferien wartete bereits wieder der Alltag mit YB, die Qualifikation für die Champions League, jede Woche zwei Spiele. «Ich ­liebe diesen Rhythmus, aber man merkt halt erst im Rückblick, wie schnell alles geht. Das ‹normale› Leben draussen hält nicht still – und rauscht an einem vorbei.»

Vorbeirauschen. Das möchte Fassnacht mit YB im neuen Jahr auch. Am FCZ, in der Tabelle der Super League. «Ich bin total überzeugt von uns. Die Qualität haben wir. Wir werden in aller Frische angreifen. Und dann schauen wir mal, was der FCZ macht.»

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9 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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öpfeli
23.12.2021 09:39registriert April 2014
Die wohl wichtigste Aussage über Depressionen. Es kann jeden treffen und als nicht-Betroffener kaum nachvollziehbar.

Schön, dass es ihm besser geht und er sich mit seiner Situation arrangieren konnte.
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Samuelsson
23.12.2021 10:08registriert März 2019
Gute Besserung! Ein richtig sympatischer Typ, hoffe ihn bald wieder auf dem Fussballplatz zu sehen.
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Wildes Pony
23.12.2021 09:11registriert März 2015
Gute Besserung! Mehr gibt es nicht zu sagen.
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