Der versteckte Vorteil hinter Österreichs Einzug in den Final der U17-WM
Sieben Spiele, sieben Siege. Österreichs U17-Junioren kämpfen heute Donnerstag (17 Uhr, live auf ORF 1) gegen Portugal um den WM-Titel.
Mit Johannes Moser stellt die ÖFB-Auswahl den Toptorschützen des Turniers. Acht Mal hat der Stürmer schon getroffen. Bereits wird Moser, aus der Akademie von Red Bull Salzburg, mit Bayern München in Verbindung gebracht.
Die Gnade der frühen Geburt
Der Stürmer mit Jahrgang 2008 hat am 16. Januar Geburtstag. Damit befindet sich Moser in bester Gesellschaft. Wie die Fussballforscher vom CIES in Neuenburg analysiert haben, dominieren im Austria-Kader früh im Jahr geborene Spieler. Bei keiner anderen der 48 Nationen an der WM-Endrunde war der Anteil an Akteuren, die im ersten Quartal auf die Welt gekommen sind, so hoch.
Was wir in dieser Grafik sehen, ist schon länger als relativer Alterseffekt bekannt. Damit wird der Fakt beschrieben, dass Kinder, die Anfang Jahr geboren werden, häufiger in Nachwuchs-Nationalteams vertreten sind als solche, die später im Jahr auf die Welt kamen.
Wer früher im Jahr auf die Welt kommt, ist körperlich tendenziell weiter: Grösser, kräftiger, leistungsfähiger. Einer, der im Dezember Geburtstag hat, liegt gegen einen im Januar geborenen fast ein Jahr im Rückstand – was viel sein kann als Teenager. Gerade in diesem Alter hilft die Physis, um aufzusteigen. Bis es dann gegen Erwachsene geht und allfällige spielerische Mängel aufgedeckt werden.
Ein doppelter Teufelskreis
Was man Österreich zugute halten muss: Drei Spieler im Kader kamen erst 2009 auf die Welt (zwei von ihnen im Januar), sie sind also ein Jahr jünger als erlaubt. Doch auch wenn man dieses Trio aus der Wertung nimmt, kommen die im ersten Quartal 2008 geborenen Spieler auf einen Anteil von 66,7 Prozent. Über alle Mannschaften des Turniers gesehen liegt er bei 40,2 Prozent.
Als die Schweizer U17 mit Granit Xhaka, Haris Seferovic und Ricardo Rodriguez 2009 Weltmeister wurde, belief sich der Anteil der im ersten Quartal geborenen auf 45 Prozent. Deren Nachfolger blieben in Katar im Viertelfinal an Portugal hängen. Im Schweizer Kader war die Verteilung der Geburtstage ausgewogener als bei den Österreichern. Allerdings überwog der Anteil jener, die im ersten Halbjahr zur Welt kamen:
Womöglich sind die Geburten im Schweizer U17-Jahrgang deshalb etwas besser verteilt, weil sich der Verband der Problematik seit längerer Zeit bewusst ist. Auf seiner Website beschreibt der SFV den Teufelskreis, der sowohl die älteren wie auch die jüngeren betrifft.
Die Maxime: Der Schweiz soll kein Talent durch die Lappen gehen
Ein kleines Land wie die Schweiz kann es sich nicht leisten, dass ihr ein Talent durch die Lappen geht, nur weil es im November auf die Welt gekommen ist und deshalb als Jugendlicher etwas Rückstand auf Jahrgänger hatte. Vielleicht ist der ‹Spätzünder› besser als die anderen, wenn er körperlich aufgeholt hat.
«Der relative Altersunterschied kann zu einem Leistungsunterschied führen und muss deshalb bei Talentselektionen berücksichtigt werden», betont der SFV. Es hänge vom Trainer und dem sportlichen Umfeld ab, ob Talente bei der Vorselektion verloren gehen. Entscheidender als die aktuelle Leistung sei das Potenzial. «Die Leistungen der ‹Frühentwickler› werden meist überschätzt», heisst es in einem Papier zur Aus- und Fortbildung von Trainern.
Andere Kriterien als die Körpergrösse und die reine Muskelkraft werden herbeigezogen, um die wahren Talente zu entdecken. Es wird geschaut, wer mit dem Ball besonders geschmeidig umgehen kann. Wer seine Spielintelligenz zeigt, indem er auch unter Druck stets eine Lösung findet. Wer Energie hat und sie auch den Kollegen weitergibt. Und: Wer schnell ist, auf den Beinen wie im Kopf.
Spätgeborene lernen früh, für den Erfolg zu «beissen»
Die Situation ist auch für Trainer nicht einfach. Es sagt sich leicht, dass die Resultate im Nachwuchsbereich zweitrangig seien. Sind sie schlecht, könnte der Trainer trotzdem hinterfragt werden – und vermehrt auf jene Akteure setzt, die kurzfristig für Erfolg sorgen können und nicht auf diejenigen mit Potenzial in der Zukunft.
Der relative Alterseffekt löst womöglich einen anderen Effekt aus. Wer schon in jungen Jahren lernen musste, sich durchzusetzen, könnte als Erwachsener bessere Karten haben. Granit Xhaka und Nico Elvedi kamen im September auf die Welt, Dan Ndoye und Johan Manzambi im Oktober, Christian Fassnacht im November, Gregor Kobel im Dezember.
Dass die Verteilung derart ausgewogen ist, wie sie beim jüngsten Zusammenzug der A-Nationalmannschaft war, kann Zufall sein. Aber auch das Resultat langjähriger Bemühungen des Schweizer Verbands, dass kein Talent durch den Raster fällt:
In Österreich gehört das Thema des relativen Alterseffekts zum Aufgabengebiet von Sebastian Prödl. Der Ex-Nationalspieler leitet heute die österreichischen Nachwuchs-Nationalteams und sagt, man schenke bei manchem Spieler «sehr früh die Fantasie her, dass die mal erwachsen werden». Spätentwickler wolle man deshalb gezielt begleiten, sofern sie Technik, Spielintelligenz und Einstellung mitbringen. Denn: «Athletische Attribute sind extrem wichtig, aber sie sind auch die am ‹einfachsten› zu trainierenden.»
Physis, Fitness und Mentalität sind Österreichs Erfolgsfaktoren
Zurück zu den Österreichern an der U17-WM. Tatsächlich gilt die Physis als eine der Stärken der Mannschaft – aber nicht primär wegen der frühen Geburten. Viele Akteure, darunter Torjäger Johannes Moser, spielen in der 2. Bundesliga gegen Erwachsene. «Das hilft uns auf der internationalen Ebene», sagte er im ORF.
Als anderer Erfolgsfaktor wird die Fitness ausgemacht. ÖFB-Sportdirektor Peter Schöttel sagte: «Wir machen die Tore, wenn die anderen nicht mehr können.» 16 von 17 Toren erzielten die Österreicher in der zweiten Halbzeit. Trainer Hermann Stadler, mit 64 Jahren schon lange im Geschäft, schwärmt derweil von der Mentalität seiner Spieler: «Ich habe schon viele gute Spieler gesehen, aber wie diese Mannschaft zusammenhält, dass sie immer mehr wollen, da kann ich von den Jungs was lernen.»
Ums Lernen und ums Besserwerden geht es nach dem Turnier wieder. Im Final der U17-WM geht es nur um eines: um den Pokal. Wenn der in die Höhe gestemmt wird, interessiert es in diesem Moment niemand, wer wann Geburtstag hat.
