Das Tempo bleibt hoch. Nach Xherdan Shaqiri Mitte November 2021 und Granit Xhaka vor einem halben Jahr kommt heute Abend gegen Tschechien mit Ricardo Rodriguez bereits der dritte Akteur aus dem aktuellen Zirkel des Nationalteams zu seinem 100. Länderspiel. Sage und schreibe erst vier Schweizer haben das davor geschafft: Heinz Hermann, Alain Geiger, Stephan Lichtsteiner, Stéphane Chapuisat – ein Who's who des Schweizer Fussballs.
Es ist nur der nächste Tatbeweis, wie prägend die drei im Fussballland sind. Um nicht von Glücksfällen zu sprechen. Weil sie auch gleich derselben Generation angehören, produzieren sie mit der Schweiz am Laufmeter Erfolgsgeschichten, die man getrost als solche bezeichnen darf. Nun ist es beileibe nicht so, dass das Gespann künstlich gestützt oder geschützt werden musste, um in den erlesenen Hunderterklub zu gelangen. So gilt auch für Rodriguez, was für Shaqiri und Xhaka längst gilt: Ein Ende der Laufbahn in der Nationalmannschaft ist nicht in Sicht. Dafür mangelt es nicht zuletzt an geeigneten Alternativen. Dafür sind sie aber auch zu gut.
«Das Jubiläum bedeutet mir sehr viel, ich bin schon lange dabei. Ich bin sehr glücklich und stolz, dass ich die hundert Spiele geschafft habe», sagt Rodriguez am Montagnachmittag an der Pressekonferenz vor dem Nations-League-Spiel. Es ist ihm immer noch unangenehm, in der Öffentlichkeit zu reden, wobei sie für ihn schon schlimmer war. Doch auch mit seinen 30 Jahren steht er lieber im Hintergrund und mag nur auf dem Rasen seinen angestammten ruhigen Platz verlassen. Dabei: Ehre, wem Ehre gebührt.
Rodriguez debütierte am 7. Oktober 2011 unter Ottmar Hitzfeld in der Schlussphase des EM-Qualifikationsspiels gegen Wales. Der damals 19-Jährige galt als riesiges Talent, das im Klub beim FC Zürich die Fachleute bezirzte, wie es das längst beim WM-Titel 2009 mit der U17 getan hatte. Mit jenem Teileinsatz auf der Insel übersprang Rodriguez sogleich die U21-Auswahl und biss sich sofort im A-Team fest, wo er bis heute unbestrittene Stammkraft ist.
Reto Ziegler kam in der Folge als Linksverteidiger nur noch in Freundschaftsspielen zum Zug, später mussten etwa François Moubandje, Loris Benito, Jordan Lotomba oder Ulisses Garcia hinten anstehen. Rodriguez, das war die Konstante, spielte immer, die WM 2014 in Brasilien, die EM 2016 in Frankreich, die WM 2018 in Russland und zuletzt die paneuropäische EM 2021.
Da er in all der Zeit fast nie verletzt war, stand er an Endrunden nur vor etwas mehr als einem Jahr in der Verlängerung des Achtelfinals gegen Frankreich nicht auf dem Platz. Dies war an jenem Turnier wiederum einem Kunstgriff von Vladimir Petkovic geschuldet. Der frühere Nationaltrainer liess Rodriguez nach einem schwachen Auftritt im zweiten Gruppenspiel gegen Italien fortan als einen der drei Innenverteidiger laufen, was der Spieler mit einer Leistungssteigerung zurückzahlte.
In der Viererkette hatte der Linksverteidiger davor offensichtliche Mängel nicht mehr kaschieren können; er wirkte und war langsam, nicht mehr auf der Höhe, über dem Zenit, genügte irgendwie nicht mehr. Doch er schlug zurück und Rodriguez sagt:
Natürlich hatte Rodriguez auch schwierige Jahre, doch sie muss man im Klub suchen und nicht im Nationalteam.
Trotz des frühen Wechsels von Zürich zum VfL Wolfsburg lief es mehrheitlich gut mit dem Bundesligaklub, später gab es bei der AC Milan nach zwei angenehmen Jahren plötzlich Probleme, die eine Leihe zum PSV Eindhoven brachten und schliesslich im Frühherbst 2020 den Wechsel zu Torino. Dort hat sich Rodriguez festgebissen nach einer schwierigen ersten Spielzeit, in der dritten ist er nicht mehr nur Stammspieler. Sondern seit dem Weggang von Andrea Belotti im Sommer auch der Captain von Trainer Ivan Juric.
Eigentlich ist das Erfolgsrezept ganz einfach. Rodriguez muss sich in einem Team wohlfühlen und vom Trainer gebraucht. So sagt auch Murat Yakin: «Schön, hat Ricci seinen Weg gemacht und steht jetzt hier. Es ist auch sein Verdienst, dass die Nati so erfolgreich gespielt hat in all den Jahren. Ich kenne die Familie. Das sind alles sehr feine Menschen, die Fussball über alles lieben.»
Rodriguez war nie ein Blender, er fällt vielmehr mit Professionalität, Solidität, Arbeit und seiner unaufgeregten Art auf. Als einer, der seinen Stiefel gekonnt und in aller Ruhe hinunter spielt. Das ist durchaus im positiven Sinn gemeint. Yakin sagt:
Rodriguez, als Sohn eines Spaniers und einer Chilenin mit einer schwerwiegenden Zwerchfellhernie in Schwamendingen aufgewachsen, ist immer noch da. Seit fast elf Jahren schon. Da kann ihn aktuell auch eine leichte Erkältung nicht umhauen.