Der FC St. Pauli macht die Dinge anders. Das ist jedem Fussballfan geläufig. Auch deshalb, weil die Hamburger dieses Image pflegen wie Cristiano Ronaldo seinen Adoniskörper. In den Augen einiger Fans etwas zu sehr, weshalb der Klub nicht nur mit Wohlwollen beäugt wird. Als die St. Paulianer kürzlich eine neue Schrift («Sans Pauli») mit «charakteristischer Linksneigung» vorstellten, wurde dies selbst von den Kiezkickern ansonsten zugeneigten Menschen belächelt. Demnächst geht der FC St. Pauli aber tatsächlich einen revolutionären Schritt.
Das Stadion soll nämlich bald in den Besitz der Fans übergehen. So wurde eine Genossenschaft gegründet, an welcher sich Fans im In- und Ausland für 850 Euro inklusive Gebühren pro Anteil beteiligen können. Als Startdatum für die Anteilsverkäufe war in Anlehnung an das Gründungsjahr 1910 des FC St. Pauli ursprünglich der 19. Oktober angedacht, spätestens im November soll es tatsächlich losgehen. Mit der Genossenschaft will der Klub beweisen, dass nicht nur «ein anderer Fussball» möglich ist, sondern auch «eine andere Finanzierung».
«Wir wollen keine anonymen Geldgeber*innen, die unsere DNA als mitgliedergeführter Verein verändern können», heisst es auf der Website der Genossenschaft. Und weiter: «Im Gegenteil: Wir wollen uns finanziell unabhängig machen von Grossinvestorinnen, Banken und Co.» Deshalb sei die erste Genossenschaft im Profifussball gegründet worden. Rund 30 Millionen Euro sollen durch die Beteiligung des Anhangs zusammenkommen.
Mit der Hälfte des Gelds soll das Darlehen für das Stadion getilgt werden, wie Geschäftsleiter Wilken Engelbracht gegenüber dem «Hamburger Abendblatt» erklärte. Mit dem Rest sollen Corona-Darlehen zurückgezahlt werden. Damit wäre dem FCSP mit einem Schlag zu einer ausgeglichenen Bilanz verholfen – womit auch künftige Investitionen einfacher würden. Ins Kader werde von der Genossenschaft hingegen kein Geld fliessen, garantiert Vereinspräsident Oke Göttlich beim Norddeutschen Rundfunk.
Die Begeisterung über die Idee ist im Klub gross. «Wir haben immer den Anspruch gehabt, eine Finanzierungsform zu finden, die wirklich zu uns als Verein passt», sagt Engelbracht. Diese wurde mit der Genossenschaft, die der Verein als «basisorientiert, demokratisch, nachhaltig und besonders krisenfest» beschreibt, gefunden. Statt eines Grossinvestoren sollen den FC St. Pauli also viele Mini-Investorinnen wirtschaftlich voranbringen.
Wirtschaftsexperten sehen Chancen, dass das Modell funktionieren kann. «Warum sollte das nicht klappen?», fragte Stefan Ludwig von der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungs-Gesellschaft Deloitte im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. Das Modell der Genossenschaft sei für Profifussball-Klubs bereits geprüft worden und es gebe nicht viele Gründe, die grundsätzlich dagegen sprechen würden, so Ludwig. Niko Jakovou, ebenfalls bei Deloitte, hob ausserdem den Reiz für Vereine hervor. So können diese dann sagen, «das Stadion gehört den Fans oder den Genossen».
Wichtig ist für den FCSP auch, dass die Fans mitziehen. Gegenüber «11 Freunde» zeigte sich Gerd Bitzer, Mitglied des Fanklubs «Seggiolini St. Pauli», begeistert. Der Skepsis über den Verkauf des Stadions entgegnet er: «Wird es in der Genossenschaft nicht eher mehr zu unserem Stadion? Denn das Grossartige an dem Prinzip ist doch: Die Genossenschaft sind am Ende – wir!»
Bitzer glaubt aber auch, dass die Idee unter früheren Vereinsführungen schwieriger zu vermitteln gewesen wäre. «Das Vertrauen in das aktuelle Präsidium ist schon sehr gross», sagt er. Zuträglich dürfte dem auch gewesen sein, dass die Mitglieder bei der Preisfindung eingebunden wurden und man sich durch die Käufe mehrerer Anteile keine zusätzliche Stimme erstehen kann. Somit hat jede Genossin und jeder Genosse dasselbe Stimmrecht und kann unter anderem entscheiden, was mit den Gewinnen aus den Stadioneinnahmen geschieht.
Das Interesse an der Idee ist seit Verkündung im September riesig. Für die erste Informationsveranstaltung zur neuen Genossenschaft wurde der FC St. Pauli gemäss NDR mit Anmeldungen überschwemmt. Mit dem FC Schalke 04 gab ein weiterer deutscher Traditionsverein in dieser Woche bekannt, eine Genossenschaft gründen und dieser dann Anteile des Stadions übertragen zu wollen.
Für unser Schalke von morgen 🤝
— FC Schalke 04 (@s04) October 16, 2024
In einem intensiven Prozess hat die Vereinsführung strategische Überlegungen angestellt, wie der #S04 seine Zukunft selbstbestimmt und positiv gestalten kann.
Als Ergebnis steht die Fördergenossenschaft auf Schalke ➡️ https://t.co/MJQgqhd30o
Andere Klubs zeigten sich hingegen eher skeptisch, wie Präsident Oke Göttlich weiss. So hätte seine Idee bei Treffen mit den Bossen des deutschen Fussballs viel Kopfschütteln hervorgerufen. «Der Profifussball ist getrieben von einer grossen Angst vor der Mitbestimmung», so der 48-jährige frühere Musikmanager, der im Magazin «11 Freunde» anfügt: «Uli Hoeness wird mutmasslich schon deshalb kein Genosse, weil ihm allein das Wort Magenschmerzen macht.»
Der FC St. Pauli zieht hingegen Hoffnung aus der Genossenschaft, dank der die Trainingsmöglichkeiten ausgebaut und möglicherweise auch das Millerntor-Stadion erweitert werden könnten. Sportchef Andreas Bornemann zeigt sich optimistisch: «Ich bin überzeugt, dass es möglich ist, den FC St. Pauli längerfristig in der Bundesliga zu etablieren.»
Und der Verkauf der Stadion-Anteile an die Fans soll noch lange nicht das Ende der Fahnenstange sein. Ein ähnliches Vorgehen bei den Marken- und Merchandiserechten wurde ebenfalls bereits geprüft. «In spätestens drei, vier Jahren wollen wir das nächste kreative Genossenschaftsprojekt anstossen», sagt Geschäftsleiter Engelbracht.
Wenn dies klappt, ziehen dann neben Schalke vielleicht auch noch weitere Vereine beim «Gegenentwurf zur Macht der Grossinvestoren und zum Ausverkauf des Profifussballs», wie es die St. Paulianer bezeichnen, mit. Denn das Ziel des Klubs ist gemäss Engelbracht klar: «Wir wollen nicht der einzige Verein mit einer Genossenschaft bleiben und haben grosses Interesse daran, dass es Nachahmer gibt.»