34 Tore fielen in den ersten 12 Partien der EM 2024 in Deutschland. Eine hohe Quote. Noch spezieller ist aber ein anderer Fakt: Genau ein Dutzend dieser Tore wurde von ausserhalb des Strafraums erzielt. Dazu gehörten die Traumtore von Rumäniens Nicolae Stanciu beim 3:0 gegen die Ukraine und jene der beiden Türken Mert Müldür und Arda Güler beim 3:1 gegen Georgien wie auch das 2:0 von Michel Aebischer beim Schweizer 3:1 gegen Georgien.
Diese Häufung ist gemäss einer Analyse von Sky Sport extrem ungewöhnlich und entspricht alles andere als einem Trend: So fielen bei der EM 2016 in 51 Spielen lediglich 17 Tore durch einen Weitschuss von ausserhalb des Strafraums, bei der EM 2021 waren es bei gleicher Anzahl Partien deren 19.
Nach dem Jubiläumsturnier vor drei Jahren schrieb die UEFA dazu: «Die wenigen Weitschuss-Tore scheinen auf einen anhaltenden Trend hinzudeuten, den Ball in Bereiche zu spielen, in denen die Wahrscheinlichkeit eines Torerfolgs höher ist, als die wenig erfolgversprechende Option eines Distanzschusses zu nehmen.»
Tatsächlich fallen im Klubfussball tendenziell immer weniger Tore aus der Distanz. Auch die Anzahl Abschlüsse von ausserhalb des Strafraums hat in den letzten Jahren fast stetig abgenommen. Sky Sport führt das Beispiel Premier League an: In den frühen 2010er-Jahren wurden noch deutlich über 40 Prozent aller Torschüsse von jenseits der 16-Meter-Linie abgegeben. In der abgelaufenen Saison waren es noch knapp unter 33 Prozent.
Das hat auch mit den sogenannten Advanced Stats zu tun, die seit einigen Jahren in den internationalen Fussball Einzug genommen haben. Mit ihrer Hilfe konnte festgestellt werden, dass die zu erwartenden Tore steigen, wenn mehr Schüsse von innerhalb des Strafraums aufs Tor kommen.
Warum aber die aktuelle Häufung an der EM? Zum einen ist sicherlich die Stichprobengrösse noch zu klein. Bis zum Ende des Turniers wird die Torquote als Folge von Distanzschüssen sicherlich noch fallen.
Ein anderer Grund könnte sein, dass in den Nationalteams der Fokus auf Individualität noch ausgeprägter ist als im taktisch geprägten Klubfussball, wo vieles auf vorgeschriebenen Passfolgen und einstudierter Taktik basiert. An der Seitenlinie steht zudem oft kein Übertrainer wie Pep Guardiola, der seine Spieler schnell anschreit, wenn sie eine seiner Anweisungen ignorieren.
Ein positives Resultat ist in der kurzen Gruppenphase eines grossen Turniers auch wichtiger als in einer langen Meisterschaft. Und wenn alle Stricke reissen, greift man dann halt zum letzten Mittel: dem Weitschuss. Zudem spielen die Fussballer an der EM für ihr Land. Manch einer könnte sich deshalb eher zu einem Kabinettstückchen hinreissen lassen, schliesslich winken bei einem Erfolgserlebnis im richtigen Moment ewiger Ruhm und Ehre.
Das sind aber alles nur weiche Faktoren, keine stichhaltigen Erklärungen. Diese können die Analysten zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht liefern. Sollte der Boom der Weitschusstore aber anhalten, werden sie sich sicher noch tiefer mit der Materie beschäftigen.
Um das festzustellen brauchten Trainer advanced stats? Das glaubt ihr ja selber nicht...