Ein Sieg noch, am Sonntag gegen Werder Bremen. Oder zwei Niederlagen von Bayern und Stuttgart am Samstag. Dann ist es vollbracht. Dann darf sich Bayer Leverkusen deutscher Meister nennen. Auf der Meisterschale der Bundesliga taucht dann wieder einmal ein neuer Name auf, nach den vielen Jahren, in denen dort Bayern München eingetragen ist. Und Bayern München. Und Bayern München.
Elf Mal in Folge war das zuletzt so. Das ist ein Rekord, selbst für Bayern München, diese Hegemonialmacht des deutschen Fussballs. 21 Meisterschaften haben die Münchner in den letzten 30 Jahren insgesamt angesammelt. Jetzt steht mit Bayer Leverkusen wieder einmal ein Team kurz davor, sie zu besiegen. Beeindruckende 16 Punkte liegt es sechs Spiele vor Schluss voraus, verloren hat es bisher noch gar nicht.
Und in diesem Team, in seinem Herzen gar – als Taktgeber, Organisator, kurz: unverzichtbare Säule –, steht mit Granit Xhaka ein Schweizer. Der Nati-Captain ist so etwas wie der verlängerte Arm von Xabi Alonso, dem Trainer von Bayer Leverkusen, der in kurzer Zeit so viel erreicht hat. Xhaka führt jene Mannschaft an, die Historisches erreicht, weil sie es schafft, die Bayern-Hegemonie wieder einmal zu durchbrechen.
Der Basler ist der erste Schweizer Fussballer seit langem, dem das gelingt. Aber, und das ist bemerkenswert: Er ist bei weitem nicht der einzige. Wie gesagt: 21 der letzten 30 Titel gingen nach München. Neun Mal holte ihn ein anderer Klub. Und fünf Schweizer hatten daran ihren Anteil. Eine Erinnerungsreise.
Ein Schweizer, der sich deutscher Meister nennen darf: Bis ins Jahr 1995 gibt es das noch gar nicht. Dann kommt Stéphane Chapuisat. Und bricht den Bann.
Auch in den 90er-Jahren sind die Bayern schon das Team, das es in der Bundesliga zu schlagen gilt. Doch enge Titelrennen sind damals noch keine Seltenheit. Sondern an der Tagesordnung. So ist das auch in der Saison 1994/95. Und es ist damals ausgerechnet Bayern München, dem Chapuisats Dortmund «zum Dank verpflichtet» ist, wie der Waadtländer es heute formuliert.
Am letzten Spieltag besiegen die Bayern nämlich Werder Bremen, den Tabellenführer. Dortmund zieht noch am Konkurrenten aus Norddeutschland vorbei und wird Meister, zum ersten Mal nach 32 Jahren. Ein «grosser Traum» sei das gewesen, sagt Chapuisat. Er geht in Erfüllung, doch der Stürmer erlebt das alles nicht auf dem Platz mit. Er hat sich im Frühling das Kreuzband gerissen, ein blöder Unfall im Training.
12 Tore sind Chapuisat vor der Verletzung gelungen. In der Saison darauf kommt er in der Rückrunde zurück – und steuert noch acht Scorerpunkte zum zweiten Titel in Folge bei. Diesmal wird Bayern Zweiter. Und diesmal steht der Schweizer auf dem Platz, als Dortmund sich die Meisterschaft sichert. Ausgerechnet in München passiert es, beim Gastspiel gegen 1860. «Die Freudentränen der Fans werde ich nie vergessen», sagt Chapuisat.
Acht Jahre verbringt der Romand in Dortmund, 123 Tore erzielt er für den Klub, gewinnt neben den zwei Meistertiteln auch die Champions League. Nur fünf Ausländer haben in der Bundesliga-Geschichte mehr Tore erzielt als Chapuisat, der heute Chefscout bei den Berner Young Boys ist.
Er sagt, natürlich hätte er sich gewünscht, dass seine Dortmunder die lange Serie der Bayern beenden. Doch der 54-Jährige betont auch, dass man die Leverkusener Leistungen «nicht hoch genug einschätzen» könne. Und Granit Xhaka spiele schlicht eine grossartige Saison.
Ciriaco Sforza gerät bald einmal ins Schwärmen, wenn er zurückdenkt an die guten alten Zeiten. Kaiserslautern, dieser Traditionsverein, daheim auf dem Betzenberg. Und er, Sforza, mittendrin, die Nummer 10 auf dem Rücken. Hinter ihm Miroslav Kadlec, der Abwehrrecke. Vor ihm Torjäger Olaf Marschall. An der Seitenlinie: Ratinho, der Wirbelwind aus Brasilien.
Grossartig sei das alles gewesen, sagt Sforza. Bis heute ist er auf nichts so stolz wie die Saison 1997/98. Wobei: auf den Gewinn der Champions League und des Weltpokals mit Bayern München reiht er schon auch «dort oben» ein.
1997/98: Das ist die Saison, in welcher der 1. FC Kaiserslautern deutscher Meister wird, aus dem Nichts, weil er im Jahr zuvor noch in der zweiten Bundesliga gespielt hat. Jetzt ist der Klub in der obersten Spielklasse zurück. Und Trainer Otto Rehhagel holt einen Spieler auf den Betzenberg, mit dem ihm eine besondere Beziehung verbindet: Ciriaco Sforza, den Mittelfeld-Regisseur aus der Schweiz. Der hat schon einmal in Kaiserslautern gespielt, ist von dort zu Bayern München und Rehhagel gegangen und später zu Inter Mailand, wo er nicht glücklich geworden ist.
Nun gibt Sforza wieder im Mittelfeld der «Roten Teufel» den klugen Kopf. Und führt sein Team sensationell zum Meistertitel, als ersten Aufsteiger überhaupt. «Das wäre im Fussball von heute gar nicht mehr möglich», sagt Sforza und spielt auf die finanzielle Kluft an, die sich in den letzten knapp 30 Jahren zwischen den Klubs aufgetan hat.
Eine Frage noch, Ciriaco Sforza: Wer hat nun das Grössere vollbracht, Sforza mit Kaiserslautern – oder Xhaka mit Leverkusen? Der 54-Jährige antwortet, dass man die zwei Fussballwelten nicht vergleichen könne. «Grossartig» sei sowieso beides, vor allem in dieser Rolle, im Zentrum, wo man die Mitspieler führen, das Team zusammenhalten müsse. Das, sagt Sforza, verstehe nur so richtig, wer es selbst einmal gemacht habe.
Acht Jahre lang spielt Ludovic Magnin in Deutschland. Dabei krönt er sich gleich zweimal zum Deutschen Meister. 2004 ist er Teil des Kaders von Werder Bremen, das am Ende der Saison die Schale in die Luft stemmt. Doch in jener Saison kommt er wegen Verletzungen nur auf vier Einsätze. Später wird er sagen, dass er sich nicht als «richtiger Meister» fühle. «Ich hatte damals wegen meiner Verletzungen zu wenig Einsätze in dieser überragenden Mannschaft», sagt er gegenüber «Deichstube».
Grösseren Anteil hat Magnin drei Jahre später beim sensationellen Titelgewinn mit dem VfB Stuttgart. Die jüngste Mannschaft der Liga gilt vor der Saison maximal als Anwärter auf den Uefa-Cup, doch dank einem überragenden Saison-Endspurt macht Stuttgart das Undenkbare möglich. Ebenfalls einen Steigerungslauf legt in jener Saison Ludovic Magnin hin. Der heutige Lausanne-Trainer stürzt nach der WM 2006 in die Krise, sitzt nur noch auf der Ersatzbank. Im Winter will er weg, zu Betis Sevilla.
Wenige Monate später ist er ein Leader, der den VfB zum bisher letzten Meistertitel führt. Magnin wird von der Lokalpresse hochgejubelt. Die «Stuttgarter Zeitung» fragte: «Kann man gegen eine Mannschaft gewinnen, die einen Mann mehr hat?» Gemeint war Magnin, der für zwei renne. Mal wehrt er hinten mit einem reflexartigen Spagat auf der VfB-Torlinie einen Kopfball ab, mal flankt er den Ball butterweich auf den Kopf von Mario Gomez.
Zum Schluss siegt Stuttgart in den letzten acht Spielen in Folge – und krönt sich sensationell zum Deutschen Meister. Bayern wird nur Dritter, Schalke wird einmal mehr Vizemeister.
Nicht nur Magnin steht 2007 im Kader der Stuttgarter, es gibt in ihren Reihen auch noch einen zweiten Schweizer: Marco Streller, den Stürmer. Leicht hat der es damals nicht, weil die Konkurrenz im Sturm stark ist, mit Cacau, dem Deutsch-Brasilianer, mit Vereinslegende Mario Gomez; dazu kommen noch Jon Dahl Tomasson und Benjamin Lauth.
Streller ist damals 25 Jahre alt und die Nummer drei im Stuttgarter Sturm, 27 Mal darf er mitspielen in der Meistersaison und kommt auf immerhin fünf Tore. Es ist die beste Saison für ihn im Dress der Schwaben. Zuvor haben ihn nach seinem millionenschweren Wechsel aus Basel Verletzungen geplagt; die Halbserie, die dem Titelgewinn vorausgeht, verbringt er leihweise in Köln.
Als er dann den Titel mit Stuttgart gewonnen hat, beendet Streller sein Auslandsabenteuer, es zieht ihn zurück nach Hause, zum FC Basel, seinem Verein. Dort bleibt er bis zu seinem Rücktritt im Jahr 2015 – und wird dabei in acht Jahren sieben Mal Meister.
Am 23. Mai 2009 brechen in Wolfsburg alle Dämme. Diego Benaglio sprintet über den Platz und hüpft auf den Rücken von Edin Dzeko. Soeben sind die Wolfsburger zum ersten Mal Deutscher Meister geworden. Natürlich hat Dzeko wieder getroffen bei diesem 5:1 zum Saisonabschluss gegen Werder Bremen. 54 Mal hat er gemeinsam mit Sturmpartner Grafite eingenetzt. Nach der Hinrunde lag der VfL noch auf dem neunten Tabellenplatz, am Saisonende krönt er sich zum Deutschen Meister.
Die Wolfsburger überflügeln die Bayern in diesem Frühling nicht nur in der Tabelle, sondern vor allem auch im Direktduell in Wolfsburg. Besonders in Erinnerung bleibt dabei das letzte Tor zum 5:1. Grafite lässt zwei Verteidiger und Torhüter Michael Rensing aussteigen. Als er plötzlich mit dem Rücken zum Tor steht, spielt er den Ball mit der Hacke ins Münchner Tor.
Weniger auffällig spielte hinten jener Mann, der vernünftig, seriös und stets fehlerfrei seinen Job erledigte: Diego Benaglio. Genau diese Zuverlässigkeit schätzte sein Trainer Felix Magath. Er setzte auf Spieler, die arbeiten, das harsche Konditionstraining unter seiner Ägide nicht in Frage stellen. Auch nach dem Titelgewinn ist Benaglio keiner, der sich selber in den Vordergrund drängte. Stattdessen sagt er: «Ich glaube, der Hauptgrund für den Erfolg ist unser Kollektiv. Es gibt bei uns keine Stars, wir sind einfach eine tolle Gemeinschaft.»
In dieser Gemeinschaft hat auch Marwin Hitz einen Platz. Der heutige Torhüter des FC Basel ist damals nur die Nummer 3, kommt in der Meistersaison aber auf keine Spielzeit. (aargauerzeitung.ch)
Spass beiseite... eine mehr als verdiente Meisterschaft für Granit und das ganze Team.