Davide Callà ist beeindruckt. Er steht auf dem Dach des Marbella Football Center. Es ist Januar 2018. Callà ist nicht im Aufgebot des FC Basel für dessen Testkick gegen Tianjin Quanjian, stattdessen spielt auf dem Flügel ein sehr junger Spieler. Zum ersten Mal in der ersten Mannschaft. Callà glaubt, der Junge spiele in der U18, sicher ist er sich aber nicht.
Nach spätestens 31 Minuten ist aber nicht nur Callà, sondern sind sich alle Zuschauer sicher: dieser Junge ist etwas Besonderes. Denn wie dieser Junge den Ball im Tor verwandelt zum 1:0, das ist einfach nur traumhaft, technisch überragend. Es ist der Anfang einer Karriere, die in diesem Herbst so richtig Fahrt aufgenommen hat. Es ist der Start der Profi-Laufbahn von Noah Okafor.
Seit den Länderspielen im November kennt den 21-Jährigen mit der kleinen Zahnlücke jeder Schweizer Fussball-Fan. Er begeisterte gegen Italien mit seinem Lauf vor dem Tor Silvan Widmers, er verzauberte mit seinem Tor zum 1:0 gegen Bulgarien, und er zog in seinen Bann mit seiner Dynamik, seinem Speed, seiner Unbekümmertheit.
Drei Charakteristika, die Okafor seit je her begleiten. Und zwei Spiele, über die Okafor einen knappen Monat später im Video-Interview mit noch immer vorhandenem Unglauben, wovon er da Teil sein durfte, sagt:
«Speziell», «das Schönste überhaupt», «super» - Okafor wiederholt diese Worte immer wieder, wenn er einem so virtuell gegenübersitzend reflektiert. Der grosse Redner war er noch nie, und wenn man spürt und sieht, wie er da mit seinem schelmisch schüchternen Lächeln die richtigen Worte sucht, dann merkt man: Er ist eben auch immer noch unfassbar jung.
Dass der Baselbieter, der in Binningen geboren und im beschaulichen Arisdorf grossgeworden ist, in diesem Jahr so richtig auf der Fussballbühne angekommen ist, mag für gewisse folglich eine Überraschung sein. Dabei hätte man eigentlich schon viel früher damit rechnen müssen. Weil es für Noah Okafor eigentlich immer nur bergauf ging.
Und vor allem: Alles immer schnell ging. Angeblich habe er mit acht Monaten bereits laufen können, erzählt er kurz nach seinem Profi-Debüt beim FC Basel, welches er fünf Tage vor seinem 18. Geburtstag feiern darf. Mit acht beginnt er zu kicken, meldet sich selbst beim FC Arisdorf an – ein halbes Jahr später ist er bereits in der U9 des FCB.
Es folgt ein linearer Karriere-Verlauf. Das Aufgebot ins Trainingslager der ersten Mannschaft mit 17. Die regelmässigen Einsätze ab 18 – und dann die Flucht aus Basel mit 19.
Januar 2020 ist das. Okafor wechselt zu Red Bull Salzburg, zum ersten Mal aus der Heimat weg, Stunden entfernt von der Familie. Zwar wohnte Okafor bereits zu seiner Jugendzeit beim FC Basel auf dem Nachwuchscampus, seine Familie aber hat er jeden Tag besucht. «Ich habe eine enorme Bindung zu meinen Eltern und Geschwistern.» In Salzburg ist er erstmals ganz alleine, sagt:
Während Österreich und der Rest der Welt sich im Lockdown befinden, versucht sich Okafor einzugewöhnen. Im neuen Umfeld, dem neuen Fussball. Die RB-Vereine sind bekannt für ihre spezielle Spielweise und die dadurch längere Adaptionszeit. «Man muss richtig fit sein, viel laufen und sprinten könnten», nennt Okafor die primären Unterschiede.
Er muss Einzeltraining absolvieren, intensive Einheiten, um an Spritzigkeit und Speed zu arbeiten. «Das merkt man meinem Spielstil jetzt auch an», sagt er, nicht ohne ein bisschen Stolz.
Es sind Zeiten des Lernens, in denen Okafor jedoch wenig spielt, aus dem kollektiven Fussballgedächtnis ein bisschen verschwindet. Okafor:
Dieser letzte Satz, in ihm schwingt eine gewisse Enttäuschung und ein gewisser Druck mit. Enttäuschung, weil Okafor einer ist, der über sich selbst sagt: «Ich war schon immer ein bisschen ungeduldig.» Druck, weil der junge Schweizer der Rekordeinkauf der Salzburger ist, rund 11 Millionen ist er ihnen wert. Zusammen ergeben diese zwei Faktoren eine Situation, die Okafor, dessen zweiter Vorname Arinze «der Gesegnete» bedeutet, zu schaffen macht:
Aber er, der in der gesamten Laufbahn zuvor nur marginale Rückschläge hinnehmen musste, muss lernen: «Im Fussball geht nicht immer alles wie man will.»
Zweifel oder Verzweiflung kommt bei ihm jedoch nie auf. Denn so unbekümmert er ist, so selbstsicher ist er auch immer schon gewesen. «Ich wusste immer, was ich kann und wo meine Qualitäten sind. Es war einfach eine Frage der Zeit, das alles umsetzen zu können. Auch im Kopf, dass ich da bereit bin und es auf den Platz bringen kann.»
Dass das jetzt klappt, er bei Salzburg regelmässig spielt, 23 Partien bereits absolviert und in diesen elf Mal getroffen und weitere fünf Mal assistiert hat, dem liegen einige Faktoren zu Grunde. Red Bull Salzburg-Sportdirektor Christoph Freund sagt:
Eine Aussage, «die ich unterschreiben würde», wie Okafor selbst sagt. Weil er im Kopf nun bereit sei. Weil er jetzt weiss, «dass man im Leben nicht alles geschenkt bekommt. Das habe ich mit der Zeit kapiert und gut umsetzen können.»
Geholfen bei diesem «kapieren», habe ihm vor allem der neue Trainer: Matthias Jaissle. Im Sommer hat er von Jesse Marsch übernommen. Okafor:
Jaissle gebe ihm das für ihn so wichtige Vertrauen. «Dann kann man sich auch auf dem Platz ausschütten und Leistung bringen.
Eineinhalb Jahre hat er nach dem Wechsel von Basel nach Salzburg dafür gebraucht. Und einen Coach, der ihm sagt: «Mach! Mach einfach dein Ding.» Heute fühle er sich richtig wohl, endlich vollends angekommen. «Jetzt bin ich bereit und man sieht es auch. Es geht vorwärts, vorwärts, bergauf.»
So weit vorwärts, dass Freund ihm den Wechsel ins Ausland zutrauen würde. So weit vorwärts, dass er als erster Schweizer schaffte, was einem Xherdan Shaqiri oder einem Breel Embolo bisher noch nie gelang: Zwei Treffer in einem Champions-League-Spiel zu erzielen. Und so sehr bergauf, dass er der Shootingstar der Nationalmannschaft ist. «Ich glaube, jetzt bin ich belohnt worden», sagt Okafor, lächelnd, schier platzend vor Stolz.
Aber Okafor sagt auch, dass es das noch nicht gewesen ist. «Wenn ich so weiter mache, kann ich nochmal eine Schippe drauflegen. Wenn alles rundherum passt, auf dem Platz das Training, neben dem Platz der Kopf, die Ernährung, der Schlaf.»
Er müsse und könne noch viel lernen, bescheiden bleiben. Vielleicht auch geduldig werden. Ob das jemals eintreffen werde? «Ich hoffe es, aber bis jetzt hat es noch nicht geklappt!», lacht er herzhaft in die Kamera. Entsprechend ungeduldig blickt er voraus:
Und wenn er so weiter macht, dann kann sich auch die Schweiz auf ihn freuen. Auf weitere Traumtore wie jenes, das er damals in seinem ersten Spiel mit der ersten Mannschaft des FC Basel erzielt hat – und mit dem alles begann.