In etwas mehr als einem Jahr, am 21. November 2022, wird im Al-Bayt-Stadion in Al-Chaur die Fussball-WM in Katar eröffnet. Eine WM, die seit der Vergabe im Jahr 2010 hinterfragt wird. Wegen der sommerlichen Hitze auf der arabischen Halbinsel wurde in der Zwischenzeit beschlossen, mit den Spielen in die Adventszeit auszuweichen.
Doch die schärfste Kritik wird nicht wegen des für eine Weltmeisterschaft bislang ungewohnten Datums geäussert. Sondern wegen vielen Toten auf den Baustellen der neuen Stadien und anderer Bauten. Der «Guardian» veröffentlichte im Februar 2021 Recherchen, wonach in Katar seit der WM-Vergabe mehr als 6500 Arbeiter gestorben sind. Migranten aus armen Ländern wie Indien, Bangladesch oder Nepal, die unter harten Bedingungen schuften, um sich und ihren Familien ein Einkommen zu sichern.
FIFA-Präsident Gianni Infantino hat am Mittwoch das Lusail-Stadion besucht, wo am 18. Dezember 2022 der neue Weltmeister gekrönt werden wird. Dabei schwärmte er in den höchsten Tönen vom bevorstehenden Turnier. «Für alle, die den Fussball lieben, wird es sein wie für ein Kind in einem Spielzeugladen», sagte Infantino auf der Website des Fussballweltverbands. «Es wird grossartig. Wir haben acht Stadien auf dem neusten Stand der Technik, einige der schönsten Stadien der Welt, und alle in einem Umkreis von 50 Kilometern.»
Die Vorbereitungen seien bereits weit fortgeschritten, lobte Infantino. «Ich habe auf der ganzen Welt noch nie ein Land gesehen, das so weit im Voraus schon so bereit war.»
Zu den toten Bauarbeitern äusserte sich Infantino in dieser Pressemitteilung nicht. Zuletzt war vom FIFA-Präsidenten zu vernehmen, er habe in Katar bezüglich der Menschenrechtslage Fortschritte wahrgenommen. Dem widersprach die Organisation Amnesty International. Sie kam bei ihren jüngsten Untersuchungen zum Schluss, dass die besagten Fortschritte stagnierten und die Ausbeutung in massivem Ausmass weitergehe. Für die Schweizer Jungsozialisten ein Anlass, den Schweizerischen Fussballverband zu einem Boykott der WM aufzufordern, für die sich das Nationalteam am Montag qualifiziert hatte.
Infantino äusserte bei seinem Besuch in Katar die Hoffnung, dass das Turnier dabei helfen könne, Vorurteile abzubauen. «Wir leben in einer globalisierten Welt, in der es viel leichter geworden ist, an andere Orte zu reisen. Aber wir sind immer noch voller Vorurteile.» Daher begrüsse er die Tatsache, dass erstmals eine Fussball-Weltmeisterschaft in einem arabischen Land stattfinde.
Dem Walliser ist diese Welt nicht fremd: Seine Ehefrau stammt aus dem Libanon. Infantino liess weiter verlauten, er sei sich sicher, dass die WM der Welt die Augen öffnen werde, was die arabische Welt ausmache. «Diejenigen, die in diesen Teil der Welt kommen, werden Menschen sehen und treffen, die gastfreundlich und herzlich sind.»
Es gehe dabei nicht um Katar allein, sondern um die gesamte Region, um den gesamten Nahen Osten. «Das ist eine einmalige Gelegenheit für die Welt, sich gegenseitig besser kennen zu lernen. Und ich bin sicher, wenn wir uns besser kennen, verstehen wir uns auch ein bisschen besser und können alle bessere Mitmenschen werden.»
Wie viele Fussballfans nach Katar reisen werden, ist offen. Ein grosser Schweizer Anbieter von Sportreisen etwa verzichtet darauf, WM-Reisepakete zu schnüren. «Die Menschenrechtsverletzungen, die dort vonstattengehen, die Zahl der Menschen, die für den Bau der Stadien ihr Leben gelassen haben – wir haben einfach kein gutes Gefühl bei der Sache», sagte der Geschäftsführer im «Blick».
Denjenigen, die anreisen, verspricht Gianni Infantino eine grosse Party. «Wir stellen mehrere Events auf die Beine, darunter ein unglaubliches Fan-Fest, das grösste jemals organisierte über zehn Kilometer an der Strandpromenade», kündigte er an. Man achte zudem darauf, dass die Fans nicht lange reisen müssten, um die Spiele zu sehen. Wegen der zu geringen Hotel-Kapazitäten gab es zuletzt jedoch Berichte, wonach Anhänger in Dubai oder Abu Dhabi untergebracht werden und mit dem Flugzeug an die Spiele in Katar reisen könnten.
Man strebe an, keine «weissen Elefanten» zu produzieren, also Bauten, für die es nach dem Grossanlass keine Verwendung mehr gibt, sagte eine Sprecherin des Organisationskomitees der Nachrichtenagentur Reuters. «Wir wollen nicht viele Hotels bauen, die nach der WM nicht mehr benötigt werden», sagte sie.
Dass acht topmoderne Fussballstadien zu viele sind für ein so kleines Land wie es die Monarchie mit ihren rund 2,8 Millionen Einwohnern ist, haben sie in Katar verstanden. So wird eine Arena nach dem Turnier in ein Hotel umgebaut, ein anderes besteht aus Containern, die später leicht zurückgebaut werden können. Auch bei anderen Stadien ist geplant, die Kapazität nach der WM zu verringern.