Dietmar Hamann kritisiert. Dietmar Hamann provoziert. Und Dietmar Hamann scheut nicht vor Aussagen zurück, über welche sich Spieler, Trainer und Fans allesamt echauffieren. Das letzte Opfer des deutschen Sky-Experten ist Yann Sommer. Der Schweizer Goalie von Bayern München sei bei der 0:3-Niederlage in der Champions League gegen Manchester City «heillos überfordert» gewesen. «Er hat heute und nicht nur heute die Mannschaft massgeblich verunsichert!» Ausserdem fügte Hamann an, dass er als Bayern-Goalie nicht geeignet sei: «Ich glaube nicht, dass er eine Option für die nächste Saison ist.»
Es sind solche klaren Meinungen, welche bei vielen für Unverständnis oder gar Wut sorgen. Hamann wird regelmässig kritisiert, in den sozialen Medien beleidigt und vor allem wird seine Expertise immer wieder infrage gestellt. Eine gewisse Ahnung, von dem, was auf dem Fussballfeld geschieht, ist dem 49-Jährigen jedoch nicht abzusprechen.
Schliesslich spielte Hamann insgesamt 16 Jahre lang in der Bundesliga und in der Premier League. Er absolvierte 374 Spiele in den beiden Ligen, einen Grossteil davon für die Topklubs Liverpool und Bayern München. Dabei feierte Hamann grosse Erfolge, wurde zweimal Deutscher Meister, gewann in beiden Ländern die Cupwettbewerbe sowie mit beiden Klubs den UEFA-Cup (heute Europa League). Auch im Nationalteam war er jahrelang gesetzt und erreichte an der WM 2002 den Final. Dabei verpasste «Didi» Hamann bis auf ein Spiel keine Minute. Den grössten Erfolg errang der defensive Mittelfeldspieler aber in der Saison 2004/05, als er mit den «Reds» die Champions League gewann.
Im Final von Istanbul wurde er dort zur Halbzeit beim Stand von 0:3 gegen die AC Milan eingewechselt. Der Rest ist den meisten Fussballfans bekannt. Liverpool schaffte die Aufholjagd, das 2:3 von Vladimir Smicer bereitete Hamann vor. Gemeinsam mit Xabi Alonso gab er den Takt vor, englische Medien bezeichneten ihn als «Metronom». Im Penaltyschiessen verwandelte der Deutsche seinen Penalty dann souverän. Vor allem wegen dieses Titels besitzt Hamann in Liverpool noch immer einen gewissen Legendenstatus.
Doch noch während seiner Karriere entglitt ihm die Kontrolle über sein Leben neben dem Platz. In seiner Autobiografie «The Didi Man» enthüllte Hamann 2012, ein Jahr nach seinem Rücktritt, dass er lange mit Spielsucht zu kämpfen hatte. Diese ging so weit, dass er wegen eines einzigen Cricket-Spiels 288'400 Pfund verlor. Nach heutigem Wechselkurs entspricht dies über 320'000 Franken, dürfte damals aber noch deutlich mehr gewesen sein. Die Spielsucht führte am Ende zur Scheidung, seine damalige Gattin zog mit den beiden Töchtern zurück nach Deutschland.
In der Folge sass Hamann häufig alleine zu Hause, trank Unmengen von Alkohol und häufte Wettschulden von mehreren Hunderttausend Pfund an. «Ich sass in einem leeren Haus und versuchte, meine seelischen Schmerzen zu betäuben. Du nimmst dann ein paar Drinks zu dir, und dann noch ein paar, doch nichts verändert sich», schrieb Hamann in seinem Buch. Doch er kam zu einem Punkt, an dem er merkte: «Didi, es müssen sich viele Dinge ändern, du musst in deinem Leben aufräumen.»
Und das tat er dann auch. Bei der Veröffentlichung seines Buchs schrieb er, dass er seine Probleme gelöst und auch zu seinen Töchtern wieder eine gute Beziehung habe. Bereits zuvor hatte er während der WM 2010 beim irischen Fernsehsender RTE als Experte fungiert. Nachdem er sich kurz als Trainer probiert hatte, übernahm er diese Funktion dann auch zur EM 2012 und zur WM 2014. Seit einigen Jahren arbeitet Hamann für Sky, wo er sich vor allem zur Bundesliga und zur Premier League äussert.
Damit eckt er regelmässig an. Wie eben mit Aussagen zu Yann Sommer. Oder zuletzt mit seinen «drei Meinungen» zur Entlassung von Julian Nagelsmann bei den Bayern, wie die FAZ schrieb. Bei diesem Thema habe sich Hamann mehrmals widersprochen, wie die Frankfurter Zeitung aufzeigt. Zunächst habe sich Hamann nämlich überrascht gezeigt, dass Nagelsmann nicht noch die «Chance bekommt, gegen City in den Halbfinal einzuziehen». Wenig später hiess es: «Man hat dem Trainer lang genug die Chancen gegeben.»
Doch es gibt nicht nur negative Stimmen zum Experten Hamann. «Er ist seit Jahren der beste deutsche TV-Experte», heisst es in der «Zeit». Die meisten würden ihren Sport oft schönreden, Hamann sei die grosse Ausnahme. «Er nimmt keine Rücksicht auf Namen und macht das Produkt auch mal mies.»
Dass er so von Zeit zu Zeit mit Vertretern seiner beiden früheren Klubs aneinandergerät, nimmt Hamann in Kauf. Womöglich provoziert er diese auch absichtlich, um im Gespräch zu bleiben. So wie viele TV-Experten in den USA, deren Erfolg gerade darin liegt, zu polarisieren. Falls dies Hamanns Intention ist, gelingt ihm das mit seinen – je nach Sichtweise – mutigen oder gehaltlosen Aussagen immer wieder.
So regte sich beispielsweise Jürgen Klopp bei einer Pressekonferenz im Oktober darüber auf, dass eine Frage eines Journalisten auf einer Äusserung Hamanns basierte. «Oh, grossartig. Er ist eine tolle Quelle», sagte der Liverpool-Coach mit sarkastischem Unterton. Nur weil Hamann sieben Jahre bei Liverpool gespielt habe, gebe ihm das nicht das Recht, alles zu sagen, «erst recht nicht, wenn man keine Ahnung hat». Hamann hatte zuvor die Leistung seines Ex-Klubs in dieser Saison kritisiert und behauptet, den Spielern fehle die Frische.
Auch mit einigen Bayern-Verantwortlichen wie Uli Hoeness, Karl-Heinz Rummenigge oder Hasan Salihamidzic ist Hamann bereits aneinandergeraten. An der Frage, ob Hamann wirklich ein Ahnungsloser ist, wie es Klopp findet, oder seine Aussagen zwar nicht immer stimmen, aber oftmals einen wahren Kern haben, scheiden sich die Geister. Im Fall von Liverpool kann auch Jürgen Klopp ein gutes halbes Jahr später zumindest nicht behaupten, dass Hamann völlig falsch lag.
Und auch bei den Aussagen zu Yann Sommer darf man trotz Schweizer Brille nicht sofort jeglichen Wahrheitsgehalt verneinen. In der Tat sorgte Sommer für zwei brenzlige Situationen. Einmal hat er Glück, dass Haaland bei einem Klärungsversuch von Sommer nur die Zehenspitzen an den Ball bringt und diesen nicht ins Netz befördern kann. Und kurz nach der Halbzeit kommt es zu einem Missverständnis mit Verteidiger Dayot Upamecano, der den Ball nicht zu seinem Goalie zurückspielen kann, weil dieser aus dem Strafraum stürmt. In der Folge spielt Sommer den Ball genau in die Füsse von Haaland, der zu einer hervorragenden Chance kommt.
So scheint es durchaus möglich, dass Sommer auch seine Mitspieler teilweise verunsicherte. Doch unterschlägt Hamann dabei auch einige Grosstaten vom 34-jährigen Schweizer, der eine noch höhere Niederlage in Manchester verhinderte und wohl kaum einer der Hauptschuldigen am 0:3 im Viertelfinal-Hinspiel war. Dass er mit seinen Aussagen nicht ganz richtig liegt, wird Hamann aber kaum stören. In einem Interview mit dem «Blick» sagte er über die – nicht seltene – Kritik an ihm einmal: «Das lässt mich kalt.»