Als wäre es Liebe – so haben Xhaka und Yakin zueinander gefunden
Spiel, Jubel, Interviewmarathon. Als alles vorbei ist und Murat Yakin Zeit hat, kurz durchzuatmen, bevor der Bus nach Mitternacht ins Hotel fährt, sagt er: «Fantastisch, was er leistet, wie er die Mannschaft stets antreibt, immer konstruktiv, wie er auf dem Platz organisiert, sich verhält, welchen enormen Siegeswillen er aufbringt.»
Was wie eine Liebesklärung tönt, ist sein Blick auf ihn: Granit Xhaka, Captain der Schweizer Nati.
Jetzt kann man sagen: Natürlich ist alles eitel Sonnenschein, nach einem 4:1 gegen Schweden, das gleichbedeutend ist mit der fast ganz sicheren Qualifikation für die WM 2026. Nur wenn die Schweiz am Dienstag in Pristina mit sechs Toren Differenz verliert, muss sie den Umweg über die Barrage nehmen.
Letztmals ist der Nati ein 0:6-Unfall 1948 gegen England passiert. Es ist absolut unwahrscheinlich, dass sich so etwas gegen Kosovo wiederholt. Bei diesen Aussichten kann man wie im Fall von Yakin schon mal ins Meer der Schwärmerei abtauchen.
Keine Party ohne Xhaka
Aber da steckt mehr dahinter in der Beziehung zwischen Yakin und Xhaka. Harte Arbeit, viel Einfühlungsvermögen und herausragende Leaderqualitäten. Xhaka, wie viele andere bedeutende Fussballspieler auch, ist im Umgang eine Herausforderung. Dazu kommt sein sportlicher Wert. Schon seit etlichen Jahren gilt in der Nati die Gleichung: Ohne Xhaka keine Party.
Die Schweiz gewinnt in dieser WM-Qualifikation beide Spiele gegen Schweden mit insgesamt 6:1 Toren. Also eine klare Sache. Aber analysiert man die beiden Teams in Bezug auf die individuelle Qualität der einzelnen Spieler, ist Schweden nicht schlechter als die Schweiz. Vielleicht ist eher das Gegenteil der Fall. Vergleicht man den Marktwert der Teams, liegt Schweden mit 515 Millionen Euro deutlich vor der Schweiz (240).
Die Schweiz ist also nicht derart souverän durch die Qualifikation gerauscht, weil sie die besseren Einzelspieler hat, sondern weil sie das beste Team ist. Weil sie widerstandsfähiger, homogener, cleverer und besser organisiert ist. Yakin sagt: «Die Harmonie im Team ist fantastisch, unsere Defensivarbeit auch. Die Mannschaft will unbedingt an die WM. Und gegen Schweden haben wir wieder einmal gezeigt, dass wir in schwierigen Phasen zulegen können.»
Also nicht Budenzauber macht diese Nati derzeit so stark, sondern das funktionierende Innenleben, die Verständigung auf gemeinsame Werte. Womit wir zwangsläufig bei der Beziehung zwischen Yakin und Xhaka landen. Die beiden, aber auch ein Manuel Akanji, ein Breel Embolo, ein Remo Freuler und auch ein Gregor Kobel prägen den Geist dieser Nati. Wobei der Trainer und sein Captain noch ein kleines bisschen mehr Gewicht haben als die anderen.
Yakin ist auf den Goodwill des Captains angewiesen
Heisst: Stimmt es zwischen Yakin und Xhaka nicht, droht mehr als nur eine atmosphärische Störung zwischen zwei Alphatieren. So etwas könnte sich schnell einmal zu einem Flächenbrand ausweiten. Der Nati-Trainer ist also ein Stück weit auf den Goodwill seines Captains angewiesen.
Dabei ist der Start nicht einfach. Yakin qualifiziert sich ohne Xhaka für die WM 2022. Und als der Leader nach überstandener Verletzung erstmals unter Yakin in einem Test gegen Kosovo aufläuft, ist er nach seiner Auswechslung ziemlich verhaltensauffällig. Im negativen Sinn.
Eine knifflige Aufgabe für jeden Trainer. Reagiere ich öffentlich darauf, um meine Autorität zu untermauern? Oder stelle ich mein Ego zum Wohl des Teams hinten an? Yakin entscheidet sich für den zweiten Weg. Wobei ihm seine Gelassenheit, sein Selbstbewusstsein, aber auch sein Gespür für zwischenmenschliche Beziehungen und Strömungen, sehr hilfreich sind.
Dass Yakin nicht die Konfrontation sucht, stattdessen den intensiven Dialog mit Xhaka pflegt, diesen mehrmals in London besucht, hilft enorm beim Aufbau einer starken Beziehung. Im Nachhinein stellt sich Yakins Verhalten als matchentscheidend heraus. Weil diese Beziehung wiederholt auf die Probe gestellt wird.
Granit Xhaka, packen Sie bis zum Viertelfinal
Im Herbst 2023 ist es, als diverse Medien der Öffentlichkeit suggerieren: Yakin oder Xhaka. Gemeinsam geht es nicht mehr. Xhaka hatte die Trainingsintensität kritisiert, gleichzeitig waren seine Leistungen nicht berauschend und die Resultate auch ziemlich enttäuschend.
Doch das Bild vom Zerwürfnis war verzerrt. Die Beziehung zwischen den beiden zu stabil, als dass emotionale Äusserungen des Captains zu irreparablen Schäden führen könnte.
Davon profitiert die Nati noch immer. Heute sogar mehr denn je, weshalb wir die vielleicht beste Nati der Geschichte sehen. Und deshalb ist man im Moment der Euphorie geneigt zu sagen: Granit Xhaka, packen Sie dieses Mal für die WM vielleicht nicht bis zum Final, aber sicher bis zum Viertelfinal.
