Ja. Als Yakin im Sommer 2021 übernahm, da musste er in der WM-Qualifikation teilweise unter widrigen Umständen bestehen. Immer wieder gab es Absenzen, Captain Xhaka fehlte beispielsweise den ganzen Herbst. In den Spielen gegen Italien lag der Druck nie auf Seiten der Nati. Yakin konnte unbekümmert und unbeschwert antreten – er erledigte den Job herausragend.
Jetzt an der WM ist das anders. Erstmals unter Yakin hat die Nati auch etwas zu verlieren. WM 2014, EM 2016, WM 2018 und EM 2021 – stets überstand die Schweiz die Vorrunde. Egal, ob der Trainer Hitzfeld oder Petkovic hiess. Nun wird Yakin auch an seinen Vorgängern gemessen. Und natürlich auch aufgrund der weichen Faktoren. Bedeutet: Ist das Team fähig, nach dem offensiv lauen Auftritt gegen Brasilien jetzt den Schalter umzulegen?
Yakin selbst ist sich der Ausgangslage bewusst. Doch er begegnet dem Endspiel gegen Serbien ausschliesslich positiv. «Für solche Momente lebt jeder im Fussball. Solche Highlights gibt es nicht oft. Darum kommt für mich die Freude vor dem Druck. Wir können unser Land glücklich und stolz machen. Meine Person ist dabei nicht so wichtig.»
Die Nachricht aus dem Schweizer Lager kommt am frühen Morgen. Torhüter Yann Sommer und Verteidiger Nico Elvedi können das Training nicht bestreiten. Grund: Sie leiden unter einer Erkältung. Ist es die nächste Hiobsbotschaft nachdem zuletzt gegen Brasilien schon Xherdan Shaqiri und Noah Okafor verletzt fehlten? Am Nachmittag tritt Nationaltrainer Murat Yakin vor die Medien. Sein Gesicht ist ernst. Doch seine Worte lassen hoffen. «Shaqiri und Okafor haben seit zwei Tagen gut trainiert, sie sind gegen Serbien spielbereit. Was Sommer und Elvedi betrifft, auch sie werden wieder fit sein.»
Alles gut darum? Vielleicht. Ideal ist es so oder so nicht, wenn vier wichtige Akteure angeschlagen sind. Immerhin ist niemand gesperrt. Manuel Akanji und Elvedi würden bei einer weiteren gelben Karte indes im Achtelfinal fehlen.
Die Vergangenheit lässt sich nicht einfach auslöschen. Doch entscheidend ist der Umgang damit. Dazu lässt sich feststellen: Sowohl die Schweizer als auch die Serben geben an den Medienkonferenzen ein gutes Bild ab. Es gibt sie, die Fragen nach dem Doppeladler und 2018 – aber sie kommen von Journalisten aus England, Schweden oder Portugal.
Yakin beispielsweise sagt: «Das Thema wurde oft diskutiert. Wir freuen uns, dass es um Fussball geht. Der Respekt voreinander ist hoch. Alles andere blenden wir aus.» Und er betont: «Wir sind erfahren und reif.» Serbiens Stürmer Aleksandar Mitrovic sagt: «Die Vergangenheit beeinflusst gar nichts. Wir schauen nur auf uns und versuchen unser Ziel, den Sieg, zu erreichen.» Als Mitrovic danach gefragt wird, was er davon halte, dass Russland in der Ukraine unschuldige Menschen töte, sagt Serbiens Medienchef bestimmt, aber unaufgeregt: «Falls Sie eine Frage zum Fussball haben, dürfen Sie sie gerne stellen.»
Es mag sein, dass die serbische Verteidigung an dieser WM teilweise einen vogelwilden Eindruck hinterliess. 3:1 gegen Kamerun führen und dann innerhalb von drei Minuten zweimal ausgekontert werden – das muss man erst einmal hinkriegen.
Aber Achtung: Die serbische Offensive ist herausragend. Die Stürmer Aleksandar Mitrovic und Dusan Vlahovic sind Spitzenklasse. Sie vereinen Wucht und Torinstinkt. Dazu führt Captain Dusan Tadic magistral Regie. Einmal in Fahrt können sich die Serben in einen Rausch spielen. Auch die Aussenläufer Filip Kostiv und Andrija Zivkovic bringen viel Zug nach vorne.
Entscheidend wird vielleicht dies: Können die Serben ihre Emotionen kanalisieren? Wenn ja, dann sind sie gefährlich. Wenn nicht, stürmen sie ins Verderben.
Sommer steht im Tor. Widmer, Akanji, Elvedi und Rodriguez verteidigen. Xhaka, Freuler und Sow im Mittelfeld. Vorne Shaqiri, Vargas und Embolo. Es wäre dieselbe Elf wie gegen Kamerun. (aargauerzeitung.ch)