Die Champions League ist die Krone des Vereinsfussball, grösser geht es nicht mehr. Zuweilen kommt es vor, dass der Träger dieser Krone sich in die Schweiz verirrt. Weil es gerade wieder einmal ein Schweizer Klub in die Champions League geschafft hat. Und sich dann auch noch die Losfee grosszügig zeigt.
Heuer sind die Dinge wieder einmal so zusammengekommen, und darum läuft am Mittwochabend Manchester City ins Berner Wankdorf ein. Der bisher letzte Besuch eines Champions-League-Titelträgers in der Schweiz geht auf das Jahr 2014 zurück. An einem Novemberabend spielte Real Madrid in Basel und gewann 1:0. Neun Jahre liegen zwischen den zwei Begegnungen, und man kann an ihnen ganz vortrefflich erzählen, wie sich die Fussballwelt entwickelt hat.
Bern statt Basel, das ist dabei die eine, die Schweizer Geschichte. Die andere: Manchester statt Madrid, und nicht etwa United, sondern eben City.
Dieses City stand in Manchester, dieser Stadt des Fussballs, viele Jahre lang im Schatten von United. Es ist noch nicht lange her, dass der Klub in der Drittklassigkeit herumdümpelte – noch 1998 war er dort unterwegs -, und es ist erst 15 Jahre her, dass City ein englischer Mittelfeldklub war, bestenfalls, und dazu noch einer, den das Chaos stets zuverlässig umtoste.
Jetzt kommt der Klub als Triple-Sieger nach Bern, er hat zuletzt die englische Meisterschaft gewonnen, den FA Cup, und eben: die Champions League. City darf sich gerade mit Fug und Recht als bester Klub der Welt bezeichnen, aber wichtiger ist etwas anderes. Der Klub steht wie kein anderer dafür, wohin sich der moderne Fussball gerade entwickelt. Oder, wie es Simon Chadwick, der sich an der Skema Business School in Paris mit Sport, Wirtschaft und Politik befasst, formuliert: für das «dritte Zeitalter» des Fussballs.
Als Manchester City im Juni in Istanbul die Champions League gewann, sass Mansour bin Zayed Al Nahyan auf der Tribüne. Der Scheich aus den Vereinigten Arabischen Emiraten hatte sich einen Schal in blau und weiss um den Hals gebunden und seinen Bruder, Scheich Mohamed bin Zayed Al Nahyan, den Präsidenten der Emirate, mitgebracht.
Es waren Bilder, die um die Welt gingen: Während unten auf dem Rasen Pep Guardiola, der katalanische Trainergott, sein Starensemble zum Triumph anleitete, strahlten oben in der Loge jene Männer, die das alles mit ihren Milliarden möglich gemacht hatten.
Scheich Mansour hatte Manchester City im Jahr 2008 gekauft, und natürlich ging es am Ende immer um die Champions League, den grössten aller Preise. Auf dem Weg dorthin haben die Scheichs aus den Emiraten Manchester City verwandelt. Alles glitzert und glänzt nun an diesem Klub, der längst zu einem Netzwerk gewachsen ist, das sich City Football Group nennt und Ableger in vielen Ländern hat, von den USA über Europa bis nach China.
Wenn Simon Chadwick über die Geschichte des europäischen Fussballs spricht, dann teilt er sie in drei Kapitel. Der Fussball 1.0 ist europäisch, lokal verwurzelt. Der Fussball 2.0 wird ab dem letzten Viertel des 20. Jahrhunderts kapitalistischer, es gibt jetzt amerikanische Einflüsse, Sponsoring, Fernsehverträge. Und dann beginnt mit dem 21. Jahrhundert das dritte Zeitalter, Fussball 3.0. Es gehe nun, sagt Chadwick, um «Macht, um Politik, um Geld, um staatliche Interessen». Fussballklubs sind ein Vehikel geworden, um geopolitische Ziele zu verfolgen und die Wirtschaft zu diversifizieren.
Scheich Mansour, der zur Herrscherfamilie in den Vereinigten Arabischen Emiraten gehört, kreiert mit Manchester City «eine Vorlage», wie Chadwick es formuliert, der längst andere Golfstaaten nacheifern. Paris Saint-Germain gehört seit 2011 Katar, Newcastle United seit 2021 Saudi-Arabien. Allen drei Ländern ist gemein, dass sie von Öl und Gas abhängen und das ändern wollen; allen drei Ländern ist gemein, dass sie den Fussball nutzen, um ihr Image zu verbessern und sich Macht und Einfluss zu verschaffen.
Dass die Scheichs aus den Emiraten als erste den ganz grossen Preis gewonnen haben, ist kein Zufall. Seit 2008 haben sie über 1,5 Milliarden Franken für neue Spieler ausgegeben, netto, ein paar davon auch für Manuel Akanji, den Nati-Verteidiger.
Doch mit Geld alleine ist es bekanntlich nicht getan, es lassen grüssen, neben anderen: Zuletzt Chelsea, schon länger Stadtrivale Manchester United und Paris Saint-Germain. City macht es etwas Entscheidendes besser: Es nutzt seine Millionen, um auch neben dem Platz die besten Leute zu holen. Und sie dann arbeiten zu lassen.
Kopf des Klubs ist bereits seit elf Jahren CEO Ferran Soriano, der zuvor wie andere wichtige Führungsleute bei City – allen voran Trainer Guardiola und Sportchef Txiki Begiristain – beim FC Barcelona grosse Erfolge gefeiert hatte.
Manchester City läuft morgen als Gigant ins Wankdorf ein, doch schon länger begleitet den Klub die Frage, ob er sich auf dem Weg nach oben stets an die Regeln gehalten hat. Mehrmals wurde gegen ihn ermittelt, namentlich ging es dabei um Finanzdoping, etwa über aufgeblähte Sponsorenverträge.
2020 verhängte die UEFA gar eine zweijährige Champions-League-Sperre, die später vom Sportgerichtshof CAS aufgehoben wurde – was allerdings nicht bedeutet, dass der Klub sich nichts zu Schulde kommen liess. Vielmehr kam der CAS zum Schluss, dass die Beweise zu dünn und die Vergehen teilweise verjährt seien.
Eine Busse über zehn Millionen gab es dennoch. City konnte sie verschmerzen. Doch seit Anfang Jahr droht neues Ungemach, dieses Mal von der Premier League: Satte 115 Vergehen werden dem Klub vorgeworfen, es geht unter anderem erneut um Finanzdoping.
Wie es in der Causa weitergeht, ist offen. Seit Februar ermittelt eine unabhängige Kommission. Im schlimmsten Fall droht gar ein Ausschluss aus der Premier League. Doch City ist berühmt-berüchtigt dafür, sich die besten Anwälte zu leisten. (aargauerzeitung.ch)