Schaut man auf die Tabelle, sieht die englische Fussball-Welt eigentlich ganz in Ordnung aus. Nach einem Sieg über Serbien und einem Remis gegen Dänemark führen die «Three Lions» ihre Gruppe C an, der Achtelfinal-Einzug ist in trockenen Tüchern. Mit einem Sieg über den krassen Aussenseiter Slowenien haben die Engländer den erwarteten Gruppensieg im Sack.
Doch im stolzen Mutterland des Fussballs sind die Resultate längst nicht mehr alles. Fussball-England ist verärgert: nicht nur über den Punktverlust gegen die Dänen, sondern vor allem über die bisherigen Leistungen des Teams von Gareth Southgate. So spielen die Engländer trotz des nominell wohl besten Kaders des gesamten Turniers einen Fussball, den die Fans nicht von den Sitzen reisst.
Die Defensive ist zwar stabil, die hochkarätige Offensive aber überraschend harmlos. In den bisherigen zwei Spielen gelangen den Engländern nur zwei Tore. Auch ein Blick auf das Erspielen von Chancen überrascht: Mit 1,44 Expected Goals stellte England das zweitharmloseste Team der EM nach zwei Spieltagen, nur die Schotten waren noch etwas harmloser.
Im Vorfeld auf das Slowenien-Spiel sieht sich das englische Team so harter Kritik ausgesetzt. Besonders hart gehen ausgerechnet ehemalige Nationalspieler mit den «Three Lions» ins Gericht. So fand etwa Gary Lineker, Ex-Goalgetter und heute BBC-Experte, deutliche Worte: «Scheisse», nannte er die Leistung gegen die Dänen, ehe er zur Kritik gegen Trainer Southgate ausholte. Dass man gegen Dänemark nicht hoch gepresst habe, sei «unerklärlich». Am fehlenden Einsatz liege dies aber nicht, man sei schlicht «taktisch etwas verloren», so der Experte. Und weiter:
Lineker sagte, Southgate sei eine «verdammt gute Person» und erinnerte daran, dass er grossen Anteil am Aufschwung des Nationalteams in den letzten Jahren habe. Zuletzt habe er sich zuletzt aber mit unglücklichen Aussagen in Bedrängnis gebracht. So etwa, als er sagte, man habe keinen richtigen Ersatz für Kalvin Philipps gefunden. «Ich dachte: Ach, komm jetzt», so Lineker. «Das ist beleidigend für die Spieler im Kader. Und ausserdem falsch.»
Linekers Worte sorgten für derart grossen Aufruhr, dass sie den Weg zur Mannschaft in Deutschland fanden. So sah sich Captain Harry Kane zu einer Reaktion gezwungen – und setzte an der Pressekonferenz vor dem Spiel gegen Slowenien zum Gegenschlag an.
«Es wäre besser gewesen, den Jungs Selbstvertrauen zu geben», sagte der Bayern-Star. England habe schon lange kein grosses Turnier mehr gewinnen können, auch zur Zeit der Spieler, die heute Kritik üben. «Sie wissen, wie hart es ist. Ich würde nie respektlos gegenüber einem ehemaligen Spieler sein», sagt Kane. «Ich würde sagen, dass sie sich einfach daran erinnern sollten, wie es war, das Trikot zu tragen, und dass ihre Aussagen gehört werden.»
Kane zeigte, dass er grundsätzlich mit der Kritik nicht einverstanden ist:
This is how you respond to abuse from a peer.
— Jonny Geller (@JonnyGeller) June 23, 2024
First class #HarryKane pic.twitter.com/lV3o05vetq
Ruhe brachte Kanes Konter allerdings nicht. Lineker und Ex-Stürmer Alan Shearer zeigten nach den Aussagen des Captains keine Reue. «Was hätten wir denn sagen müssen?», fragte Shearer. «Dass sie richtig gut waren, Alan», antwortete Lineker sarkastisch. Und Shearer stellte klar: «Gegen Dänemark waren wir schrecklich, deshalb müssen wir das auch sagen. Und wenn England mal brilliert, werden wir sagen, dass sie brilliert haben.»
Die Chance dazu, in der Gruppenphase doch noch zu brillieren, bietet sich den Engländern am Dienstagabend gegen Slowenien. Danach wartet die K.o.-Phase – und damit bald auf dem Papier stärkere Gegner als in den bisherigen Spielen. Gewinnt England wie erwartet seine Gruppe, wartet im Achtelfinal zunächst ein Gruppendritter. Danach käme es zu einem Duell gegen Titelverteidiger Italien – oder die Schweiz. (dab)