Es ist der Tag vor dem grossen Champions-League-Spiel. Manchester City zu Gast in Bern. Wunderstürmer Erling Haaland. Startrainer Pep Guardiola. Nati-Verteidiger Manuel Akanji. Sie alle geben sich die Ehre.
Und dann geht es plötzlich um einen Kebab.
Die Reporterin von einem Lokalradio fragt YB-Verteidiger Loris Benito: «Haaland hat einmal gesagt, er möge Kebabs. Bringen Sie ihm morgen also einen Kebab aufs Feld mit, um ihn abzulenken?» Benito lächelt die Frage souverän weg. Grosse Spiele treiben manchmal komische Blüten.
Dass sich einiges um Haaland dreht, ist hingegen verständlich. 23 Jahre jung ist der Norweger erst. Und doch hat er in der Fussball-Welt schon ziemlich viele Spuren hinterlassen. Seit etwas mehr als einem Jahr stürmt Haaland nun für City. Er hat mit dem Verein gleich in der ersten Saison das Triple gewonnen. 61 Tore in 66 Einsätzen sagt die Statistik. Das alles ist schlicht herausragend. Die Prognose von Benito kann darum nicht überraschen: «Haaland wird bald einmal Weltfussballer.»
In Manchester ist Haaland zum Weltstar gereift. Er spielt bereits in einer Liga mit einigen Ikonen des Sports. Diesen Dienstag erst ist eine neue Kampagne gestartet, wo Haaland zusammen mit Basketball-Superstar LeBron James auftritt, «The King and the Viking» nennen sich die beiden. «So ist das eben, wenn man erfolgreich ist, dann wird man begehrt», sagt Pep Guardiola in Bern. «Aber glauben Sie mir, Erling ist noch immer derselbe Mensch wie vor einem Jahr, a lovely guy!»
Der ehemalige Nati-Verteidiger Stéphane Henchoz hat lange Jahre bei Liverpool gespielt. Als Trainer und TV-Experte hat er Haalands Weg genaustens verfolgt. «Physisch stark, schnell, gross» – das sind die Attribute, die ihm zu Haaland zuerst einfallen. Dann präzisiert er: «Das Wichtigste in der heutigen Zeit ist die Physis. Was die Füsse und der Kopf machen, kommt erst danach.» Wobei ihm etwas von Haaland immer wieder imponiert: «Er strahlt eine gesunde Aggressivität aus auf dem Feld. Er ist böse auf dem Feld. Genauso muss das sein.»
Wie also lässt sich ein Haaland stoppen? «Schauen Sie sich das Hinspiel im Champions-League-Halbfinal gegen Real Madrid an. Antonio Rüdiger hat es geschafft, genauso aggressiv zu und aktiv zu Werke zu gehen – das ist die Anleitung für jeden Verteidiger.» Gelingen tut das selbstredend nicht immer.
Benito wird sich wie immer Videos von allen möglichen Gegenspielern anschauen. Eines stellt er klar: «Es wäre ein Fehler, sich alleine auf Haaland zu konzentrieren.» Viel zu breit ist die Offensive des Champions-League-Siegers. Ob Haaland auch wirklich spielt? So ganz sicher kann sich da niemand sein. Schliesslich hat für City die Reise zu YB weniger Priorität im Vergleich mit dem anstehenden Manchester-Derby am nächsten Wochenende. In den beiden bisher absolvierten Gruppenspiele dieser Champions-League-Saison hat Haaland noch nicht getroffen.
In der Schweiz spielt Haaland zum ersten Mal. Schweizer Zuschauer konnten Haaland noch nie live zuschauen. Es wäre eine Premiere heute Abend ab 21 Uhr im ausverkauften Wankdorf. Einen Bezug zur Schweiz hat Haaland indes schon seit letztem Juni. Sein Vater Alf-Inge, der ebenfalls Profi-Fussballer war, verlegte im vergangenen Mai seinen Wohnsitz nach Andermatt in die Schweiz. Es war eine Reaktion auf die hohen Steuern in Norwegen.
Dass Manchester City bereits im Jahr 1 mit Haaland den langersehnten ersten Champions-League-Titel der Vereinsgeschichte gewann, ist kaum Zufall. Auch wenn Haaland selbst im Final keine tragende Rolle spielte, hat er dem Spiel von City und Mastermind Pep Guardiola noch einmal eine neue Dimension verliehen. Henchoz sagt: «Bei Dortmund sprintete er hauptsächlich in die freien Räume und wurde so lanciert. Nun ist er gezwungen, auch häufiger mit dem Rücken zum Tor zu agieren – und er tut das gut. Darum ist er noch einmal kompletter geworden», sagt Henchoz. Wer jedenfalls dachte, Pep Guardiola und Haaland, das könne doch nicht gut gehen, wurde schnell eines Besseren belehrt.
Mittlerweile ist es Abend geworden in Bern. 18.15 Uhr ist es, als Pep Guardiola die Bühne im Wankdorf betritt. 15 Minuten spricht er. Die englischen Journalisten interessieren sich vorab für den Kunstrasen («es ist, wie es ist») und Jack Grealish, der nach einer Verletzung nicht mehr in die Gänge kommt («er muss sich seinen Platz verdienen»). Und dann, als Guardiola zu YB befragt wird, setzt er zu einer Lobeshymne an, dass manch einer den Eindruck bekommen könnte, YB-City sei der Champions-League-Final («viele grosse Spieler, physisch stark, dynamische Angriffe vor allem über links, beherrschen defensiv verschiedene Systeme»).
Wenn YB-Trainer Raphael Wicky über Mastermind Guardiola spricht, dann möchte er eines herausstreichen: «Man sollte nicht den Fehler machen, Guardiola und Manchester City auf die herausragende Offensive zu reduzieren. Wie stark die Mannschaft in der Verteidigung ist, wie alle Stars auch nach hinten arbeiten, das ist beeindruckend – und hauptsächlich sein Verdienst.»
Worum geht es für YB an diesem Mittwoch? Kann der Schweizer Meister nur gewinnen oder hat er auch etwas zu verlieren? «Wir sollten die Chancen sehen, nicht die Gefahren», sagt Wicky. «Wir haben uns dieses Spiel verdient gegen die wahrscheinlich beste Mannschaft der Welt. Aber natürlich erwarte ich trotzdem, dass wir mutig sind.»
Und wie steht es mit Chancen auf den Sieg? Vermutlich nicht allzu gross. Aber einen Satz muss Loris Benito doch noch loswerden: «Jede Niederlage eines Grossen startet mit dem Glauben des Kleinen an den Sieg.» Im Wankdorf ist jedenfalls alles angerichtet für eine Party. Mit Guardiola. Vielleicht mit Haaland. Aber garantiert ohne Kebab. (aargauerzeitung.ch)