Wer in diesen Tagen aus der Deutschschweiz durch den Gotthard reist, um dort einer Pressekonferenz des FC Lugano beizuwohnen, dem werden dort Kopfhörer gereicht – Simultanübersetzung für die Gäste aus dem Norden. Die Tessiner wollen gehört und verstanden werden, sie sind die aufstrebende Kraft im Schweizer Fussball.
Die Pläne, die der Klub an diesem Tag präsentiert, unterstreichen das nochmals. Martin Blaser heisst der Mann, der diese Pläne vorstellt, er hat im Schweizer Sport schon so einiges vermarktet und verkauft. Seit August 2021 ist es der FC Lugano. Und der soll 2026 in ein neues, hochmodernes Stadion ziehen, klein, aber äusserst fein, «ein Boutique-Stadion», sagt Blaser, der Marketingprofi; den Begriff hat er sich aus der Hotellerie geliehen.
Dass ein neues Stadion das in die Jahre gekommene Cornaredo ersetzen soll, ist schon länger bekannt. Das Stimmvolk hat im November 2021 ein 374-Millionen-Projekt gutgeheissen, zu dem ein Fussballstadion für 10'000 Zuschauer gehört, eine Mehrzweckhalle, Wohnungen, Büros.
Boutique sollte das alles nicht werden, eher etwas à la Thun – die dortige Stockhorn-Arena diente als Vorbild. Aber Thun reicht Lugano nicht mehr. 65 Verbesserungen will Blaser anbringen, erarbeitet von namhaften Experten. Die beginnen im Bauch des Stadions, bei den Garderoben etwa, und enden im Hospitality-Bereich, wo von Räumlichkeiten über Catering bis zu den Sitzen alles höchsten Ansprüchen genügen soll.
Wer ein normales Stadion bestellt hat und dann die Luxus-Variante will, der bekommt auch eine höhere Rechnung. In diesem Fall heisst das: plus 12,7 Millionen für das Stadion – bei ursprünglichen Baukosten von 100 Millionen – und weitere 3,7 Millionen für die digitale Transformation des Klubs. Es soll eine neue Website geben und Apps, Schlagwort: interaktives Stadion.
LIVE: Presentazione Progetto FC Lugano 2029 https://t.co/KGiflqWjdm
— FC Lugano (@FCLugano1908) May 10, 2023
Aber eben, macht 16,4 Millionen Franken zusätzlich, die irgendjemand bezahlen muss. Das übernimmt Joe Mansueto, der US-Milliardär, dem der Klub gehört. «Ich möchte nicht übertreiben», sagt Blaser, «aber das ist ausserordentlich». Er meint das Investment und seine Bedeutung, für Lugano und den Schweizer Fussball. Und wagt die Prognose, dass etwas Ähnliches nicht mehr passieren werde.
Das ist ein mutiger Blick in die Kristallkugel. Aber das «Progetto FC Lugano 2029» – unter diesem Titel laufen die Millioneninvestitionen – ist ein weiterer Nachweis dafür, wie ernst es Mansueto mit Lugano ist.
Als der Amerikaner, der in der Finanzindustrie reich geworden ist und auch den amerikanischen MLS-Klub Chicago Fire besitzt, den FC Lugano übernahm, hatte der einen schwierigen Sommer hinter sich. Seine Existenz stand auf dem Spiel. Doch dann kam Mansueto. Sein Sportdirektor in Chicago, Georg Heitz, der früher in Basel tätig gewesen war, hatte ihm den Klub schmackhaft gemacht.
Jetzt, nicht einmal zwei Jahre später, hat der Klub den Cup gewonnen und steht wieder im Final; in der Meisterschaft mischt er im Rennen um Platz zwei mit. Er hat namhafte Fussballer wie Nationalspieler Renato Steffen verpflichtet. Möglich ist das dank dem Geld aus den USA. In der Saison 2021/22 hat Lugano 28 Millionen Franken eingenommen, davon sind fast 21 Millionen als sonstige betriebliche Erträge verbucht. Sie kommen grösstenteils von Mansueto.
Da und dort wird Lugano auch wegen dieser Ausgaben als neuer Gegenspieler des Dominators YB gehandelt. CEO Blaser will davon nichts wissen. Man wolle sich innerhalb der natürlichen Grenzen bewegen. Und die sind im Tessin eng, das zeigt der Zuschauerschnitt. Er beträgt enttäuschende 3373 pro Heimspiel, trotz aller Erfolge.
Es ist ein Thema, das Blaser nicht mag. Er verweist auf die 350'000 Einwohner im Kanton, die nahen Serie-A-Klubs und sagt, längerfristig wolle man dank dem neuen Stadion 6000 bis 7000 Zuschauer anziehen, für Sponsoren attraktiver werden, Namensrechte und Logen verkaufen. Fünf bis sechs Millionen Franken zusätzliche Einnahmen soll das neue Stadion dem Klub, der als Mieter einzieht, bringen – und ihn weniger abhängig von neuen US-Millionen machen.