Tausende Menschen strömten auf den Domplatz. Gekleidet in Rot und Schwarz. Die AC Milan hatte gerade den ersten Meistertitel seit 2011 gewonnen. Ihre Fans jubelten, sangen und lagen sich in den Armen. Bengalos brannten.
Ein Jahr zuvor waren an selber Stelle ähnliche Bilder zu sehen. Im Mai 2021 feierten die Fans des Stadtrivalen Inter den Gewinn des «Scudetto». Auch sie mussten elf Jahre auf diesen Moment warten. Die Dominanz von Juventus war nach neun Titeln in Serie gebrochen.
In dieser Hinsicht unterscheidet sich die Serie A von den restlichen Topligen Europas. Nur in Italien gab es in den letzten drei Jahren drei verschiedene Meister. Und auch in dieser Saison ist kein klarer Favorit auszumachen. Selbst wenn ein viertes Team den Titel holen würde, würde es nur bedingt überraschen. Die italienische Liga ist sozusagen die spannendste Liga Europas.
Unterstützt wird diese These von den Quoten der Buchmacher. Weder in der Premier League noch in der Primera Division sind die Quoten so ausgeglichen wie in Italien. In Frankreich und Deutschland schon gar nicht.
Trotzdem geht Inter Mailand leicht favorisiert in die neue Saison. Dies liegt vor allem daran, dass das Sturmduo aus dem Meisterjahr mit der Rückkehr von Romelu Lukaku wieder komplett ist. Der Belgier war letzten Sommer zu Chelsea gewechselt und ist nun leihweise wieder bei Inter. Der 24-jährige Lautaro Martinez, die andere Hälfte des Traumsturms, etablierte sich in der letzten Saison weiter als einer der besten Angreifer der Welt.
Das Sturmduo soll Trainer Simone Inzaghi bei seinem Ziel helfen, «das nationale Triple zu holen, das wir letzte Saison nur um zwei Punkte verpasst haben». Treffen Lukaku und Martinez wieder so gut wie in der Meistersaison (gemeinsam 41 Treffer), wird es die Konkurrenz schwer haben. Aber: Der Verlust von Ivan Perisic, der entscheidenden Anteil am Erfolg der letzten beiden Jahre hatte, und der mögliche Abgang von Innenverteidiger Milan Skriniar bedeuten eine Schwächung. Nur stellt sich die Frage: Wer soll dies ausnutzen?
Als heissester Kandidat gilt Juventus, das nach zwei vierten Plätzen in Folge nach Erfolg lechzt. Doch das Team befindet sich im Umbruch. Der langjährige Abwehrchef Giorgio Chiellini wechselte nach Los Angeles, Paulo Dybala unterschrieb bei der AS Roma und Matthijs de Ligt steht neu bei Bayern München unter Vertrag.
Gerade defensiv wiegen die Verluste schwer. Hier soll Gleison Bremer vom FC Turin Abhilfe schaffen. Von Captain Leonardo Bonucci gab es bereits Lob für den Brasilianer: «Er hat grossartige Qualitäten und wichtige Werte.» Der ganz grosse Coup auf dem Transfermarkt gelang der «alten Dame» aber mit der Rückholaktion von Paul Pogba. Der französische Mittelfeldspieler, der 2016 für 105 Millionen Euro zu Manchester United gewechselt war, kehrt nun ablösefrei nach Italien zurück.
𝗨𝗙𝗙𝗜𝗖𝗜𝗔𝗟𝗘 🤩@paulpogba è tornato 🔙⚪️⚫️#POGBACK
— JuventusFC (@juventusfc) July 11, 2022
Er soll die titelverwöhnten Turiner zurück zum Erfolg führen. Trainer Massimiliano Allegri bezeichnete ihn und den ehemaligen PSG-Flügel Angel Di Maria als «aussergewöhnlich». Mit diesen Spielern «ist der Meistertitel Pflicht». Dabei helfen sollen auch die Wintertransfers Dusan Vlahovic (Fiorentina, 81,6 Mio. Euro Ablöse) und Nationalspieler Denis Zakaria (Mönchengladbach, 8,6 Mio. Euro).
Den Titel gibt auch die AC Milan als Ziel aus. Gegenüber der «Gazzetta dello Sport» sagte Trainer Stefano Pioli: «Wir sind stärker als vor einem Jahr. Es war ein grossartiger Sommer und wir wollen den Titel verteidigen.» Tatsächlich konnten die «Rossoneri» ihren Kader grösstenteils zusammenhalten. Von den Leistungsträgern hat einzig Franck Kessié, der ablösefrei zu Barcelona wechselte, den Verein verlassen.
Dafür konnte Milan mit dem Belgier Charles de Ketelaere (Brügge, 32 Mio. Euro) ein Talent holen, an dem mehrere Topklubs interessiert waren. Der 21-jährige Mittelfeldspieler agiert offensiver als Kessié und soll unter anderem mit seiner Spielintelligenz helfen. Stürmer Divock Origi, Landsmann von de Ketelaere und nun ebenfalls bei Milan unter Vertrag, bezeichnete ihn gegenüber Pioli als «Mischung aus Kaka und Kai Havertz». Hält de Ketelaere dieses Versprechen, könnte die AC Milan das Rennen um den Titel zu einem Dreikampf machen. Die Hoffnungen beim Titelverteidiger sind auf jeden Fall gross.
Die Euphorie bei der AS Roma war bereits nach dem Gewinn der Conference League – dem ersten internationalen Titel seit dem Messe-Cup 1961 – riesig. Trainer José Mourinho verewigte den Erfolg gar auf seiner Haut. Nach diesem Transfersommer ist die Euphorie aber noch einmal grösser geworden. Vor allem die Verpflichtung von Paulo Dybala, einem 28-jährigen Angreifer, brachte die Fans in der Hauptstadt in Ekstase.
In Rome we welcome people differently... 🔥
— AS Roma English (@ASRomaEN) July 26, 2022
💎 @PauDybala_JR x #ASRoma 🟨🟥 pic.twitter.com/dMMy6ydO51
Gemeinsam mit Stürmer Tammy Abraham – mit 17 Toren bester Torschütze des Teams – soll der Argentinier die mittelmässige Offensive der letzten Saison besser machen. Ausserdem soll Dybala die Lücke schliessen, die der zu Inter Mailand abgewanderte Henrikh Mkhitaryan hinterlässt. Mit Mittelfeldspieler Georginio Wijnaldum (leihweise von PSG) und Rechtsverteidiger Zeki Celik (Lille, 7 Mio. Euro) verstärkte sich das Team zusätzlich. Die Chancen auf den ersten Meistertitel seit 2000/01 stehen so gut wie lange nicht mehr. Und vielleicht ziert den Arm des portugiesischen Trainers dann auch bald ein weiterer Pokal.
Jose Mourinho got a tattoo to celebrate winning the Champions League, Europa League and Europa Conference League 🎨
— GOAL (@goal) July 17, 2022
📸 IG/josemourinho pic.twitter.com/uy6Z1J9RQy
Nach Jahren, in denen Napoli stets oben mitspielte und einige Male nur knapp am Titel vorbeischrammte, steht in Süditalien eine schwierige Saison bevor. Gleich drei absolute Erfolgsgaranten verliessen den Verein. Darunter die Vereinslegenden Lorenzo Insigne (Toronto, ablösefrei) und Dries Mertens (Galatasaray, ablösefrei). Dazu kommt der Abgang von Kalidou Koulibaly (Chelsea, 38 Mio. Euro). Mit Fabian Ruiz könnte ein weiterer folgen.
Dies sorgte für Unmut bei den Fans, die trotz der lange erfolgreichen letzten Saison – Napoli verabschiedete sich erst im April aus dem Titelrennen – unzufrieden mit Coach Luciano Spalletti sind. Noch wütender sind sie aber auf Besitzer Aurelio De Laurentiis, der für die Abgänge von Insigne und vor allem Mertens verantwortlich gemacht wird. Die Stimmung ist aufgeheizt. Dennoch hat Napoli ein talentiertes Kader mit Offensivkräften wie Victor Osimhen oder Hirving Lozano. Nur weiss auch Spalletti: «Erneut in die besten Vier zu kommen, wird sehr schwer.»
Neben Juventus-Profi Zakaria sind sechs weitere Schweizer in der Serie A engagiert. Die besten Chancen darauf, sich für einen europäischen Wettbewerb zu qualifizieren, haben davon Remo Freuler und der albanisch-schweizerische Doppelbürger Berat Djimsiti. Beide spielen bei Atalanta und gehören in Bergamo zu den Stammkräften. Wobei Freuler kurz vor einem Wechsel in die Premier League stehen soll.
Ricardo Rodriguez, der sich beim FC Turin in der letzten Saison wieder einen Stammplatz erkämpft hat, sowie Michel Aebischer mit dem FC Bologna, werden wohl erneut eher im Tabellenmittelfeld zu finden sein. Anders als Rodriguez kam der ehemalige YB-Profi Aebischer nach seinem Wechsel im Winter nur zu Teilzeiteinsätzen.
Bei Empoli hofft Nicolas Haas, nach seinem Kreuzbandriss im Dezember 2021 wieder in die Stammformation zurückzukehren. Bei der Cupniederlage gegen Spal kam der 26-jährige Mittelfeldspieler bereits wieder über 99 Minuten zum Einsatz.
Interessant wird auch, wie viel Einsatzzeit Charles Pickel bei Aufsteiger Cremonese erhalten wird. Der 25-jährige Mittelfeldspieler wechselte im Sommer von Famalicao in Portugal in die Serie A.
Benvenuto Charles #Pickel! ✍🏻🔘🔴
— U.S. Cremonese (@USCremonese) July 22, 2022
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