Petar Aleksandrov hat sich schon geschmeidiger bewegt als an diesem Dienstagmorgen. «Eine Zerrung», sagt Aaraus Assistenztrainer und muss dabei ein bisschen schmunzeln. Allein, weil der Verletzungsgrund für die Schmerzen mehr als nur entbehrt.
Es ist die 91. Minute im Spiel gegen Lausanne-Ouchy. Kevin Spadanuda will den Ball von der Strafraumgrenze mit seinem rechten Fuss ins weite, hohe Eck zaubern. Gäste-Verteidiger Hajrulahu lenkt den Ball unhaltbar für Torhüter Steffen ab. 2:1 für Aarau. Ekstase im Brügglifeld. Und Aleksandrov, unterdessen 59-jährig, sprintet wie zu seinen besten Stürmerzeiten aufs Feld, um mit den Spielern zu feiern. Und dabei ist es passiert.
Auch Spadanuda muss über die Szene lachen. Wobei ihm dieser fröhliche Ausdruck wie ins Gesicht gemeisselt scheint. Immer herzlich, immer gut drauf, und vor allem drückt er stets diese Dankbarkeit aus für das, was er bisher erreichen und erleben durfte.
Bei aller Begabung ist es in seinem Fall keine Selbstverständlichkeit, wenn einem als Teenager der Arzt bescheinigt, der Rücken würde keinen Spitzensport mehr zulassen. Und wenn man es später doch noch in der 4. Liga versucht mit Fussball, ist die Bühne der Profis etwa so unerreichbar wie die Oscar-Verleihung für ein Schultheater.
Geschlafen hat er nicht gut, weil er nach Abendspielen nie gut schläft. Meist erst gegen 3 Uhr morgens wegdämmert, weil der Körper noch voller Adrenalin ist. Das Adrenalin scheint auch am Morgen noch nicht abgebaut zu sein.
Ohne Punkt und Komma erzählt er: «Siegtor in der Nachspielzeit. Und dann sind Tochter und Freundin, die komplette Familie und ganz viele Freunde im Stadion. Für diesen Moment gegen Lausanne-Ouchy, den schönsten in meiner Karriere, habe ich geschuftet. Für diesen Moment habe ich mich Monate im Kraftraum gequält, auf Ausgang und Alkohol verzichtet, die Ernährung umgestellt, alles meinem Traum Profifussballer untergeordnet.»
Was bei anderen Profis etwas pathetisch rüber kommt, wirkt bei Spadanuda echt. Allein, weil sein Weg vom Super-Talent zum Sportinvaliden über den Feierabendkicker und bis zum Challenge-League-Top-Torschützen so beschwerlich war. Aber vielleicht auch, weil er sich vom grellen Licht des Profigeschäfts bislang nicht blenden liess. Spadanuda ist, wie er ist. Nahbar, demütig, bescheiden, authentisch.
Während wir noch einmal auf die Partie gegen Lausanne-Ouchy zurückblicken, räumt er selbstkritisch ein, dass er die Partie schon zur Pause hätte entscheiden müssen. Zwei grosse Möglichkeiten vergibt er. Eine davon mit dem Prädikat «Hundertprozentige». Das ist ungewohnt für den Topskorer der Aarauer. Auf den Rängen im Brügglifeld macht sich Unruhe breit.
Aber auch das ist Spadanuda. «Hadern? Weshalb auch. Uns war klar, dass wir dieses Spiel nur mit Kampf und Willen gewinnen können. Und uns war klar, dass wir auch nach der Pause zu unseren Chancen kommen werden.» Und so kommt es auch. Erst trifft Spadanuda zum 1:0. Und in der Nachspielzeit bringt er das Brügglifeld mit seinem 2:1 zum explodieren, jedenfalls nimmt er das so wahr. «Es waren 4500 Menschen im Stadion. Aber es hat sich angefühlt, als wären es 10'000.»
Spadanuda spricht von einem «magischen, dem schönsten Moment» in seinen drei Jahren in Aarau. Auch, weil in dieser Saison einfach alles passt, die «Truppe eine riesige Qualität» hat. «Die grösste Qualität hat, seit ich hier bin», präzisiert er.
Doch wie definiert er die Qualität? «Die Team-Chemie ist phänomenal. Wir sind wie eine Familie. Jeder versteht sich mit jedem. Jeder gönnt dem anderen den Erfolg. Jeder zieht mit. Auch die Spieler, die auf der Bank sitzen. Die Ersatzspieler sind vielleicht enttäuscht, aber keiner beschwert sich. Jeder hängt sich voll rein. Schauen Sie nur, mit welchem Elan Milot Avdyli, ein absolutes Top-Talent, oder ein Mickaël Almeida jeweils in die Partie kommen. In dieser Saison ist spürbar, dass wirklich jeder im Verein den Aufstieg will. Seit ich hier bin, waren der Hunger und die Gier nie grösser.»
Natürlich, räumt Spadanuda ein, gründe der Erfolg auch in der Strategie. Statt auf Auslaufmodelle setzt man unter der aktuellen Führung um Präsident Philipp Bonorand und Sportchef Sandro Burki vornehmlich auf junge, ambitionierte Spieler. Die Zeit der abgehalfterten Altstars ist definitiv passé. Denn selbst die wenigen Spieler wie Shkelzen Gashi oder Jérôme Thiesson, die auf das Ende der Karriere zusteuern, stellen ihre persönlichen Interessen hinten an.
Als weiteren Erfolgsfaktor nennt Spadanuda Trainer Stephan Keller, weil dieser das konstruktive Offensivspiel präferiert. Und weil er einer ist, «der den bedingungslosen Erfolgswillen hat, immer weiterkommen will. Das lässt er uns auch täglich spüren und das ist gut so», sagt Spadanuda.
Ein Erfolgsfaktor ist natürlich auch Spadanuda selbst. Aber das würde der 25-Jährige nie so sagen. Gewiss ist ihm bewusst, dass er eine herausragende Saison spielt. Allein die 18 Treffer bedeuten einen phänomenalen Wert. Und wie in solchen Fällen üblich, wird dann eifrig über die Zukunft des Emporkömmlings spekuliert.
Spadanudas Vertrag in Aarau läuft zwar noch bis 2024. Überspitzt formuliert hat ein abgelaufenes Joghurt eine längere Halbwertszeit als eine vertragliche Vereinbarung im Fussball. Wertlos ist Spadanudas Vertrag gleichwohl nicht. Denn sollte er nach dieser Saison wechseln, kassiert der FC Aarau wohl eine Ablösesumme von mindestens 500'000 Franken.
Zu viel für einen 25-Jährigen, meinen einige. Doch ebenso entscheidend wie das Baujahr ist der Kilometerstand. Und Spadanuda hat erst drei Profijahre auf dem Tacho. Gut möglich, dass er noch zehn, elf gute Jahre vor sich hat, während andere, die schon mit 18 Jahren ins Profigeschäft einsteigen, mit 33 ausgebrannt und geschunden sind.
«Ich weiss, dass viel über meine Zukunft geredet und geschrieben wird», sagt Spadanuda. «Aber ich will jetzt nicht darüber nachdenken. Ich will mit dem FC Aarau aufsteigen. Danach bleibt mir noch genug Zeit, mich mit der Zukunft zu beschäftigen.»
Drückt da etwa schon eine leichte Wehmut durch? Fürchtet er sich ein Stück weit auch vor dem Moment, in dem seine Mannschaft – egal ob in Aarau oder anderswo – nicht mehr die gleiche sein wird? «Was ich in dieser Saison hier erlebe, ist phänomenal und vielleicht einzigartig in meiner Karriere», sagt Spadanuda.
«Und mir ist auch klar, dass im Fussball nie bleibt, was war. Dass man in diesem Geschäft ständig mit Veränderungen konfrontiert ist. Wenn es denn so weit kommt, kann ich immer noch heulen. Aber jetzt geniesse ich die Momente, die wir zusammen als Gruppe erleben.»
Einiges runder als der verletzte Assistenztrainer Petar Aleksandrov läuft Torhüter Simon Enzler. Am Freitag von Yverdon-Stürmer Eleouet ausgeknockt und mit einer Gehirnerschütterung für eine Nacht hospitalisiert, kehrte er bereits am Dienstag wieder ins Training zurück. Wobei er es bei einer leichten Laufeinheit beliess. Der Optimismus beim FC Aarau ist gross, dass Enzler am Samstag im Spitzenkampf in Schaffhausen vollumfänglich einsatzfähig sein wird.