Als der Abend vorbei ist, bleibt YB nur der Frust. Statt einer rauschenden Party müssen Erklärungen her für einen ziemlich rätselhaften Auftritt. 1:4 verliert der Bald-Meister bei GC. «Wir müssen uns bewusst sein, dass wir noch nicht Meister sind», sagt Trainer Raphael Wicky. «Ich bin überzeugt, wir werden es – aber noch ist es nicht so weit.» Christian Fassnacht sagt: «Das tut weh, sorry für alle Fans, die den Weg nach Zürich auf sich genommen haben.» Um dann aber noch anzufügen: «Wir werden einen versöhnlichen Abschluss haben.»
Es war, als wollte auch Petrus den Berner Young Boys noch mitteilen, was er von ihrer Leistung hielt. Als das Spiel zu Ende war und sich die YB-Akteure aufmachten, sich bei den mitgereisten Fans zu bedanken, goss es über dem Himmel des Letzigrunds wie aus Kübeln.
Die erste Chance auf den Meistertitel ist verspielt. Nun droht fürs Erste sogar das Horror-Szenario: Meister werden auf dem Sofa. Wenn sowohl Servette (am Mittwoch gegen den FCZ), Lugano (am Mittwoch in St. Gallen) als auch Luzern (am Donnerstag gegen Winterthur) den Sieg verpassen, gewinnt YB den Titel, ohne selbst zu spielen. Was die Spieler davon halten? «Darauf haben wir nun gar keinen Bock», sagt Christian Fassnacht. Jetzt bleibt YB nichts anderes übrig als zu warten. Und zu hoffen, dass man den Titel dann am kommenden Sonntag zu Hause gegen den FC Luzern einfahren kann.
Gut 4000 Berner Fans sind am Dienstag nach Zürich gereist. Die Verlockung war gross. Erstmals seit Corona sind wieder Fans zur Meisterfeier zugelassen. Ein Erlebnis, auf das die Berner seit nun vier Jahren warten. Ausreichend Pyros und Feuerwerk hatten sie jedenfalls im Gepäck. Allein die YB-Spieler verpassten es, auf dem Rasen ähnlich zündend aufzutreten.
Wer jedenfalls dachte, YB würde, aufgestachelt von der Meister-Chance, einen ähnlich dominanten Auftritt hinlegen wie zuletzt immer, wenn es wirklich zählte, wurde ziemlich enttäuscht. Der Start war noch einigermassen engagiert. Danach übernahmen immer mehr die Grasshoppers die Kontrolle der Partie.
Und in den Mittelpunkt spielte sich einer, der bis anhin in der ganzen Saison auf genau 123 Einsatzminuten kam: Shkelqim Demhasaj. Der 27-Jährige ist ein typischer Stürmer der Marke «zu gut für die Challenge League – aber zu schwach für die Super League». Egal, ob beim FC Luzern oder bei GC, so richtig konnte er sich in der höchsten Liga nie durchsetzen. Ob sich das nun, nach dem gestrigen Abend noch ändert? Demhasaj jedenfalls sorgte dafür, dass die YB-Meisterparty verschoben werden musste.
Zunächst traf er nach 23 Minuten zum 1:0. Danach, als YB die Partie ausgeglichen hatte und man das Gefühl hätte bekommen können, nun seien die Berner doch noch in der Partie angekommen, bediente Demhasaj seinen Kollegen Petar Pusic - 2:1 für GC.
Mit ein bisschen mehr Präzision im Abschluss hätte Demhasaj durchaus noch ein oder zwei Tore mehr erzielen können. Den Sonderapplaus bei seiner Auswechslung nach gut einer Stunde verdiente er sich natürlich trotzdem.
Nach der Pause dauerte es gerade einmal vier Minuten, ehe GC erneut jubelte. Nicht zum ersten Mal an diesem Abend verlor der hochgelobte Kastriot Imeri einen Ball. Hayao Kawabe lancierte den Gegenangriff und was dann folgte, passte bestens zu diesem YB-Auftritt: Bolla scheitert alleine vor YB-Torhüter Racioppi zwar, aber Lustenberger lenkt den bereits abgewehrten Ball ins eigene Tor – 3:1.
An der Seitenlinie schüttelte YB-Trainer Raphael Wicky nur noch den Kopf. Für einige Minuten liess sich YB vorführen wie noch nie in der gesamten Saison. Es schien fast, als würde die Aussicht auf den Meistertitel die meisten Spieler etwas lähmen.
Schon nach 65 Minuten war das Auswechselkontingent von Wicky aufgebraucht. Geändert hat sich auch mit den Neuen nicht mehr viel. Im Gegenteil. Pusic sorgt per Penalty mit seinem zweiten Treffer des Abends für den 4:1-Endstand.
Fazit: Ausgerechnet am Abend der ersten Meister-Chance zeigt YB die schlechteste Leistung der Saison. Der Trost: Allzu lange wird sie nicht in Erinnerung bleiben, denn der Meistertitel wird doch noch folgen.
GC hingegen gelingt die beste Darbietung seit langer Zeit (dem 4:1-Sieg im Derby im Oktober 2022). Es hat nun fünf seiner letzten sieben Partien gewonnen - und darf darum von einem Europacup-Platz träumen. (aargauerzeitung.ch)