Seit Mitte September ist die dramatische Entwicklung in den Schweizer Profiligen in aller Munde: Junge Einheimische erhalten in der Super und Challenge League immer weniger Einsatzzeit. Das wird, dreht die Kurve nicht wieder nach oben, in einigen Jahren negativ auf die A-Nationalmannschaft abfärben. Sprich: Die regelmässige Teilnahme an Europa- und Weltmeisterschaften ist in Gefahr.
Besser geworden ist seit dem Alarmschlagen durch den Schweizerischen Fussballverband vor zwei Monaten nichts. Die Spielminuten für U21-Schweizer stagnieren auf bedenklich tiefem Niveau – im Schnitt gut 1000 Minuten pro Spieltag. Das sind nicht einmal zehn Prozent der maximal möglichen Spielzeit.
Vor allem der Blick in die Challenge League erstaunt. Weil dort seit diesem Jahr die Förderung von jungen Schweizern viel Geld einbringen kann – und das bei Klubs, von denen die Mehrheit jeden Franken umdrehen muss. Wer bis zum Saisonende 6000 Minuten lang U21-Schweizer spielen lässt, erhält 50'000 Franken. Die Summe wird beim Erreichen von 8000 Minuten verdoppelt. Was dann von der Million Franken im Topf übrig bleibt, teilen sich alle Teams mit mehr als 8000 Minuten auf.
Doch scheinbar ist die Aussicht auf mehrere Hunderttausend Franken Zustupf ans Budget nicht lukrativ genug. Gemäss den aktuellen Zahlen werden Ende Saison nur drei von zehn Teams (Schaffhausen, Wil, Nyon) die 6000er-Marke erreichen. Wohlgemerkt: Das sind 166 Minuten pro Match, dafür müssen nicht einmal zwei U21-Schweizer von An- bis Schlusspfiff durchspielen.
Die Nachfrage bei den Verantwortlichen mehrerer Challenge-League-Klubs ergibt zwei Erkenntnisse. Einerseits müsse aus der aktuellen U21- eine U23-Trophy gemacht werden. Denn wer das U21-Alter überschreitet, sei trotzdem noch jung und fähig, via Super League den Sprung in eine ausländische Topliga zu schaffen – und von dort auch in die Schweizer A-Nati. Und: Die aktuelle Praxis widerspreche dem vom SFV geäusserten Wunsch, den Spätzündern unter den Talenten länger als bisher die Tür in die Profiteams offenzuhalten.
Aufschrecken müsste bei Liga und Verband die Aussage mehrerer Funktionäre, dass sie je nach Saisonverlauf mehr junge Schweizer einsetzen und sich den Zustupf aus dem Nachwuchsfonds sichern. Heisst: Erst wenn der Aufstiegszug realistischerweise abgefahren und der Klassenerhalt gesichert ist, kommt es – aus finanziellen Interessen – zur Nachwuchsförderung. In Kehraus-Partien ohne Resultatdruck. Realisten sagen dem «Leistungsprinzip», Pessimisten sehen darin ganz wenig Kredit für den einheimischen Nachwuchs, wenn nicht einmal Subventionen ihn attraktiv machen.
In der Super League wird Stand jetzt nur ein Klub (Luzern) die 6000 Spielminuten junger Schweizer erreichen. Wegen der Verknüpfung der Super League an den weltweiten Transfermarkt sind die international besetzten Kader naturgemäss. Aber gute Gründe, Schweizer Schaffen mehr zu fördern, gäbe es durchaus: Auf ebendiesem Transfermarkt sind Schweizer Jungprofis äusserst gefragt, hinter den Topnationen stellt nur Kroatien mehr Söldner als die Schweiz.
Dass abgesehen vom FC Luzern die Schweizer Klubs, obwohl sie Millionenbeiträge in ihre Nachwuchsabteilungen pumpen, den Eigengewächsen kaum eine Plattform bieten, ist von aussen per se nur schwer nachvollziehbar. Und wohl dem geringen Gewicht der Nachwuchsverantwortlichen in den Entscheidungsgremien der Klubs geschuldet.
Kurz: Es gibt genug Gründe, schnell und viel zu ändern. Eine Gruppe aus Verbands- und Ligavertretern, ergänzt durch solche aus den Amateurligen, hat sich seit einigen Wochen der Lösung der Nachwuchskrise angenommen. Die Zeit drängt: Im kommenden Frühling sollen konkrete Vorschläge auf dem Tisch liegen, um sie auf die Saison 2026/27 hin einführen zu können. Früher sind Reglements- und Modusanpassungen, die von Verbands- und Ligaversammlungen abgesegnet werden müssen, nicht möglich.
Vom SFV Patrick Bruggmann, Marc Hottiger, Jean-Claude Donzé und Pierluigi Tami, von Klub- und Ligaseite David Degen, Sandro Burki und Silvano Lombardo – sie diskutieren und erarbeiten im ständigen Austausch mit ihren Ursprungsgremien mögliche Veränderungen. Der Fokus liegt, soviel scheint mittlerweile klar, auf der Challenge League. Diese zu vergrössern, ohne sie dabei niveaumässig nicht zu verwässern, ist die Herausforderung. Die Aufstockung auf 20 Teams mit Verteilung auf zwei Regionalgruppen, wie es Nati-Direktor Pierluigi Tami im Oktober vorschlug, ist dabei keine Option.
Wahrscheinlicher ist die Veränderung der Geldflüsse – nach dem Motto: Nur wer Swissness fördert, profitiert von Verbandsgeldern. Patrick Bruggmann, Direktor Entwicklung beim SFV, sagt: «Mehr Geld wird in Zukunft wohl kaum vorhanden sein, also müssten wir es anders verteilen.» Bislang mussten die Klubs die erforderliche Qualifikation des Personals und Infrastruktur nachweisen, um Gelder zu erhalten. Künftig soll finanziell unterstützt werden, wer dem Schweizer Nachwuchs Spielminuten auf Profiniveau ermöglicht.
Bruggmann geht noch einen Schritt weiter und bringt ein Bussen-System ins Spiel: «Natürlich ist jedem Klub freigestellt, wie er sein Kader zusammenstellt. Aber vor allem die Challenge League, aber auch die Super League müssen ihrer Idee als Ausbildungsplattformen gerecht werden. Wer trotzdem lieber auf ausländische Spieler setzt, könnte seinen Beitrag für die Förderung des Schweizer Nachwuchses in finanzieller Form leisten.» Das könnte dann in Praxis so aussehen: GC, dessen amerikanischen Besitzern die Zukunft der Schweizer A-Nati egal sein dürfte, zahlt dem FC Luzern einen Beitrag an die dortige Talentschmiede.
Mehr Spielminuten für junge Schweizer ermöglichen – das ist das Hauptanliegen auf Verbandsseite. Das ist ein Eingriff ins aktuelle Schaffen der Klubs. Entsprechend abwehrend deren Haltung, zumindest wünschen sie sich, dass der Verband die Nachwuchskrise auch aus einer anderen Perspektive angeht. Nach der Frage: Ist es vielleicht eine Frage der Qualität der Schweizer Talente, dass ihre Einsatzzeit schwindet?
SFV-Mann Bruggmann versteht die Bedenken der Klubs. Und verweist darauf, dass auch verbandsintern die Ausbildungsstrategien hinterfragt werden. Eine zentrale Erkenntnis sei: Die Begleitung der Talente beim Übergang vom Junioren- in den Profibereich muss besser werden, ein individueller Entwicklungsplan Voraussetzung dafür. In diesem Bereich will der Verband die Klubs künftig unterstützen.
Zentral sei, so Bruggmann, dass die Nachwuchsförderung aus idealistischen, nicht aus monetären Gründen passiere. Das Vorbild sind die spanischen Topklubs Athletic Bilbao und Real Sociedad San Sebastian, die seit Jahrzehnten konsequent auf einheimisches, im Fall von Bilbao gar nur regionales Schaffen setzen. Mit Erfolg: Bilbao ist noch nie aus der Primera Division abgestiegen und Dauergast im Europacup.
Beim SFV hat man sich auch schon überlegt, die Sportchefs der Schweizer Profiklubs zur gemeinsamen Stippvisite bei den beiden Klubs zu bewegen. Und vor Ort zu erfahren, was es braucht für mehr Swissness in den Schweizer Klubs: Mut und Durchhaltewillen, eine neue Strategie langfristig durchzuziehen. (aargauerzeitung.ch)