Ist er ein Dopingsünder? Ist er ein Süchtiger? Oder ist er ein unschuldiges Opfer einer Verkettung höchst unglücklicher Umstände? Der Schweizer Handball-Nationaltorhüter Nikola Portner bleibt nach dem Befund der Droge Crystal Meth in seinem Urin bis zum Abschluss des Verfahrens provisorisch gesperrt. Und allein das kann Monate dauern - mit dem Risiko eines Weiterzugs ans CAS.
Theoretisch könnte der 30-Jährige einen Antrag zur Aufhebung der provisorischen Sperre stellen. Das ist bis Montag nicht passiert. Die Hürden sind ohnehin hoch. Portner müsste den Befund der Konzentration von mindestens 60 Nanogramm pro Milliliter in seinem Urin plausibel erklären.
Bei Dopingverfahren gilt im Gegensatz zum Strafgesetz nach dem Grundsatz, dass jeder Sportler selbst für seinen Körper verantwortlich ist, die umgekehrte Beweislast. Portner muss seine Unschuld beweisen, denn seine Schuld ist mit der Abgabe der positiven Probe argumentativ schon mal deutlich untermauert.
Portner muss sich vorkommen wie ein Kartenspieler mit einem ganz schlechten Blatt. Denn die Karten spielen ihm in mancherlei Hinsicht nicht in die Hände. Zum einen ist Crystal Meth schlicht die falsche Droge für ein mildes Urteil. Weil auch die Welt-Antidoping-Agentur (Wada) der Suchtproblematik mehr Gewicht geben und mit Fokus auf Cannabis nicht aus Süchtigen reihenweise Dopingtäter produzieren wollte, kreierte sie 2021 eine spezielle Liste der Betäubungsmittel.
Während das normale Strafmass bei einem Dopingvergehen eine vierjährige Sperre ist, sind es bei Cannabis, Kokain, Heroin und Ecstasy nur drei Monate. Begibt sich der betroffene Sportler freiwillig in einen Drogenentzug, reduziert sich die Strafe gar auf einen Monat.
Crystal Meth steht nicht auf dieser Drogenliste. Die allermeisten Doping-Fachleute finden dies einen Witz, kaum jemand kann es erklären. Gut möglich, dass politische Befindlichkeiten und das enorm hohe Suchtpotenzial eine Rolle spielen. Zynisch ausgedrückt wäre im Fall von Nikola Portner Ecstasy also viel besser als Crystal Meth gewesen.
Seltsam mutet aus Schweizer Optik auch die Vorgehensweise im Dopingfall Portner an. Während in der Schweiz für alle Verfahren Swiss Sport Integrity die Untersuchungsbehörde und die Disziplinarkammer das erstinstanzliche Gericht sind, gibt es in Deutschland neben der Nationalen Antidoping-Agentur (Nada) eine Handvoll Sportarten, die das Resultatmanagement selbst übernehmen - von den olympischen Sportarten sind das nur Fussball, Handball und Eishockey.
Angefangen bei der Tatsache, dass diese Sportarten selbst entscheiden, wie häufig bei ihnen getestet wird, fehlt aufgrund der Erfahrung oft auch die Expertise, um im äusserst komplexen Dopingrecht ein kompetentes Verfahren zu führen und ein beständiges Urteil zu fällen. Noch ist im Fall Portner das Untersuchungsgremium nicht benannt.
Zu guter Letzt bleibt bei diesen Verbandsverfahren stets auch ein Fragezeichen punkto Unabhängigkeit. Die Loslösung von Dopingfällen aus der Kompetenz der Sportverbände war der entscheidende Treiber bei der Gründung von unabhängigen Antidoping-Organisationen.
Ob die Angst vor einem Gefälligkeitsurteil im Fall von Nikola Portner begründet ist, kann angesichts von fehlenden Erfahrungswerten nicht beurteilt werden. Aber die Nada hat bei einer aus ihrer Sicht nicht stimmigen Sanktion die Möglichkeit, den Fall Portner vor den internationalen Sportgerichtshof in Lausanne weiterzuziehen. Dass sie vom Rekursrecht durchaus Gebrauch macht, zeigt ausgerechnet der einzige Handball-Dopingfall der vergangenen 20 Jahre in Deutschland.
2014 wurde der deutsche Nationalspieler Michael Kraus trotz drei verpasster unangekündigten Dopingtests von der Handball-Justiz freigesprochen. Das Argument, dass die Hausklingel defekt war, überzeugte die Richter offensichtlich. Die Nada akzeptierte dieses Urteil nicht und zog es weiter. Mit der Konsequenz, dass Kraus für drei Monate gesperrt wurde. Milde gestimmte erstinstanzliche Richter würden den Dopingfall Nikola Portner unter Umständen also eher verlängern als entschärfen.
Dopingfälle sind nicht nur im deutschen Handball sehr selten. Auch die Substanz Crystal Meth wird gemäss aktuellen Wada-Statistiken nur minimal zur sportlichen Leistungssteigerung angewandt. Im Jahr 2022 gab es weltweit gerade mal drei Fälle, im Jahr 2021 waren es deren sechs.
Ein aktueller Fall betrifft Deutschland. Beim Basketballer Jason George wurde im Mai 2023 die Stimulanzien Ecstasy und Crystal Meth in einer Wettkampfprobe nachgewiesen. Die Ermittlungen zum Fall laufen elf Monate später noch. Auch das ein Hinweis, wie lange es dauern kann, bis juristische Klarheit herrscht.
George spielte übrigens bis zu seiner Sperre Basketball in Chemnitz. Gemäss Analyse des Abwassers die Stadt mit dem höchsten Konsum von Chrystal Meth in ganz Deutschland. Magdeburg, wo Nikola Portner engagiert ist, ist in dieser Rangliste die Nummer 4 des Landes.
Vor allem der illegale Import von jährlich rund 5 Millionen Tonnen über die tschechisch-deutsche Grenze hat in den vergangenen Jahren dafür gesorgt, dass im Osten Deutschlands ein grosses Problem mit der stark abhängig machenden Droge entstanden ist. Wobei Crystal Meth im Gegensatz zu den USA gemäss neuen Berichten in den neuen Bundesländern längst nicht nur in der Drogenszene konsumiert wird, sondern immer mehr auch versteckt im Alltag von Normalbürgern.
Die Droge ist sportjuristisch grundsätzlich nur im Wettkampf verboten. Ein Spieler könnte also mit Ausnahme des Spieltags Crystal Meth konsumieren, ohne mit einer sportlichen Sperre rechnen zu müssen. Allerdings bekommt er es, weil der Konsum von harten Drogen verboten ist, mit der Strafjustiz zu tun.
Im Fall von Nikola Portner gleich doppelt: wegen des deutschen Anti-Doping-Gesetzes und des Betäubungsmittelstrafrechts ermitteln die staatlichen Organe wie Polizei und Staatsanwaltschaft unabhängig vom Dopingverfahren. Die Nada hat gegen Nikola Portner bei den zuständigen Ermittlungsstellen Strafanzeige erstattet.
Um zu verhindern, dass ein zeitlich zurückliegender Konsum von Crystal Meth als positive Wettkampfprobe gewertet wird, gibt es bei dieser Substanz ein von der wissenschaftlichen Kommission der Wada festgelegtes «Minimum Reporting Level» in der Höhe einer Konzentration von 50 ng/ml im Urin. Die Festlegung dieser Werte aufgrund von Prävalenz-Werten ist gerade bei nur im Wettkampf verbotenen Substanzen eine Wissenschaft für sich und auch unter Fachleuten oft umstritten.
Die Antidoping-Labore in Deutschland wenden eine zusätzliche Toleranz von 20 Prozent an, es werden konkret also nur Fälle über 60 ng/ml als positive Probe gemeldet. Alles darunter findet keinen Eingang in die Statistik. Ein nicht genannt sein wollender Mitarbeiter eines internationalen Antidoping-Labors sagt, dass auch im Sport gelegentliche Konsumenten von Gesellschaftsdrogen unter diesem Radar verbreitet sind.
Kann Nikola Portner nicht beweisen, dass er Crystal Meth weder am Spieltag noch zur Leistungssteigerung konsumiert hat, dann beträgt die Sperre vier Jahre. Kann der Schweizer nachweisen, dass der Konsum unabsichtlich passierte, dann reduziert sich das Strafmass auf zwei Jahre. Weitere durch den Antidoping-Code vorgesehenen Möglichkeiten, die zeitliche Sperre zu erhöhen oder zu senken, hängen massgeblich von der Bewertung des Einzelfalls ab.
Zuerst muss Nikola Portner nun die Öffnung der B-Probe beantragen. In den allermeisten Fällen bestätigt diese das Resultat der A-Probe. Gegenüber den Ermittlern wird der Schweizer Nationalgoalie eine Erklärung liefern müssen, wie er sich die positive Probe erklärt. Diese Stellungnahme wird anschliessend von Fachleuten auf ihre Glaubwürdigkeit beurteilt. Ein Experte schliesst eine Verunreinigung von Nahrungsergänzungsmittel schon einmal nahezu aus. (aargauerzeitung.ch)