Tennislegende Boris Becker war Ende April von einem Gericht in London zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt worden, weil er Teile seines Vermögens in seinem Insolvenzverfahren nicht ordnungsgemäss angegeben hatte. Er ist am Donnerstag – nach 231 Tagen hinter Gittern – freigekommen. Auf «Sat.1» berichte er über seine Zeit hinter Gittern.
Tennis-Star Boris Becker hat sich nach seiner Haftentlassung öffentlich zu seiner Schuld bekannt. «Natürlich war ich schuldig», sagte der 55-Jährige in einem am Dienstagabend ausgestrahlten Interview beim Sender Sat.1. Er habe in 4 Punkten – von 29, die ihm ursprünglich vorgeworfen worden waren - vor Gericht in London verloren.
«Und gerade beim vierten Punkt – als ich Gelder von meinem Firmenkonto genommen habe – hat mich die Jury in London schuldig gesehen.» Hinzu seien drei weitere Punkte gekommen – etwa, dass er sein Haus in Leimen, in dem seine Mutter lebt, geheimgehalten habe.
Auf seine äusserliche Veränderung angesprochen, erzählt Becker: «Ich hab natürlich sehr viel Gewicht verloren. Ich bin mit 97 Kilo ins Gefängnis gekommen und hatte dann mal knapp 90 Kilo.»
Becker fügte hinzu: «Ich hab zum ersten Mal in meinem Leben Hunger gefühlt, also bin hungrig ins Bett gegangen. Ich dachte, dass ich mit 54 Jahren schon alles erlebt habe, aber das war neu.» Im Gefängnis habe er keinen Alkohol getrunken, nicht geraucht und wochen- oder vielleicht auch monatelang sehr wenig gegessen. «Also meiner Gesundheit tat der Gefängnisaufenthalt sicherlich gut.» Mittlerweile seien aber wieder ein paar Kilo dazu gekommen.
Der ehemalige Tennis-Start zeigte sich auch selbstkritisch: «Vielleicht habe ich nicht genügend Reue gezeigt im Zeugenstand». Seine Anwälte hätten alles versucht, sein «Leben zu retten». Er sei beraten worden, was er auszusagen habe und was nicht, erzählte der 55-Jährige. «Es hätte besser laufen können – aber es hätte auch viel schlechter laufen können.»
Mit Tränen in den Augen hat Ex-Häftling Boris Becker vom Vorabend seiner Verurteilung berichtet. Er habe seiner Partnerin Lilian De Carvalho Monteiro offen gesagt: «Meine Liebe, Du musst nicht auf mich warten. Du bist eine junge Frau, du stehst auf eigenen Füssen in der Welt, du bist finanziell unabhängig, ich weiss nicht wie lange ich ins Gefängnis muss», sagte Becker (55) im Sat.1-Interview, das am Dienstagabend ausgestrahlt wurde.
«Dann hat sie mich umarmt und gesagt: ‹Red nicht so einen Scheiss, wir schaffen das zusammen!›», berichtete Becker weiter, sichtlich um Fassung bemüht. Dann seien sie am nächsten Morgen ins Taxi gestiegen, «sind zum Gericht gefahren und waren bereit für alles.»
Nach eigenen Worten hat Becker zwei lebensgefährliche Situationen erlebt: Im Londoner Gefängnis Wandsworth, in dem Becker die ersten Wochen nach seiner Verurteilung verbrachte, habe ihn ein Mithäftling erpressen wollen. Der «wollte aber an meine Kohle», sagte der 55-Jährige in einem am Dienstagabend ausgestrahlten Exklusiv-Interview mit Sat.1. Andere Mitgefangene hätten ihn vor dem Mann beschützt, der wegen mehrfachen Mordes bereits 25 Jahre hinter Gittern gesessen habe.
Auch im Gefängnis Huntercombe westlich der britischen Hauptstadt, wo Becker den Grossteil seiner rund siebeneinhalb Monate langen Haft verbrachte, habe ihn ein Mitinsasse bedroht. «Ich habe so gezittert», schilderte Becker den Moment. «Der wollte mir an die Wäsche und hat mir auch verbal erklärt, was er mit mir machen will.» Er sei aber so gut vernetzt gewesen, dass zahlreiche andere Gefangene ihm zu Hilfe geeilt seien. Am nächsten Tag habe sich dann der Mann vor ihm auf den Boden geworfen und entschuldigt. Becker habe ihn hochgezogen und umarmt, erzählte der einstige Ausnahmesportler unter Tränen.
Boris Becker hat davon berichtet, wie er zu seinem Gefängnisjob als Lehrer für Englisch und Mathe kam. «Das Problem, das man am Anfang hat, ist, dass man keinen Job hat.» Später irgendwann könne man in der Küche arbeiten, das Gefängnis saubermachen, diverse Kurse antreten – «doch normalerweise dauert es Wochen, bis man ein Job-Angebot bekommt», berichtete Becker.
Dank der Hilfe anderer Häftlinge habe er aber bereits nach zehn Tagen ein Angebot bekommen: «Ob ich denn Englisch und Mathe unterrichten könnte? In einem englischen Gefängnis wird ein Deutscher gefragt, ob er Englisch unterrichten kann, und Mathe! Das habe ich natürlich gerne angenommen.»Von da an habe er jeweils morgens und nachmittags zwei Stunden gegeben, pro Kurs jeweils 25 bis 30 Gefangene. «So wurde mein Leben dann etwas leichter, weil ich aus der Zelle kam.»
Ex-Tennisstar Boris Becker hat sich wegen seiner Haft geschämt. «Natürlich war ich beschämt, war es mir mehr als peinlich, dass ich verurteilt wurde», sagte Becker in einem am Dienstagabend ausgestrahlten Interview mit Sat.1. Halt habe ihm seine Familie gegeben. «Aber mein Verhältnis mit meinen vier Kindern war immer sehr offen, sehr direkt, sehr liebevoll», sagte Becker. Sie hätten seine Stärken und Schwächen kennengelernt. «Da gab es keine Berührungsängste.»
Mit Ex-Frau Barbara hat Becker die Söhne Noah (28) und Elias (23). Anna Ermakova (22) stammt aus einer Affäre mit Angela Ermakova. Mit Noch-Gattin Lilly hat er den Sohn Amadeus (12).
Es sei schwer gewesen, seine Familienangehörigen im Gefängnis zu empfangen, sagte Becker. «Du willst auch keinen sehen, du willst es auch deiner Familie nicht zumuten.» Das Gefängnis sei ein «gefährliches Loch». Man müsse zudem auch erst einmal mit sich selbst klar kommen, die eigene Balance finden.
Der Sender verbreitete vorab erste Zitate. «Ich habe eine harte Lektion gelernt. Eine sehr teure. Eine sehr schmerzhafte. Aber das Ganze hat mich etwas Wichtiges und Gutes gelehrt. Und manche Dinge passieren aus gutem Grund.»
Die Erfahrungen hinter Gittern sind an dem einstigen Weltstar auch äusserlich nicht spurlos vorbeigegangen. Erste Fotos zeigen Becker jetzt deutlich schlanker. Er hat etwas dunklere Haare. Die Zeit im Gefängnis hat in seinem Gesicht Sorgenfalten hinterlassen.
SAT.1: "Im Gefängnis bist Du niemand. Du bist eine Nummer. Meine war A2923EV." Boris Becker spricht im SAT.1-Interview über seine Haft. Heute. 20:15 Uhr. https://t.co/hWButzrKGK #Unterföhring pic.twitter.com/YJ4xThGeNG
— presseportal.de (@na_presseportal) December 20, 2022
Über seine Zeit in der Haft sagte der Sportler: «Im Gefängnis bist Du niemand. Du bist nur eine Nummer. Meine war A2923EV. Ich wurde nicht Boris genannt. Ich war eine Nummer. Und es interessiert sie einen Scheissdreck, wer Du bist.» Becker war Ende April von einem Gericht in London zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden, weil er Teile seines Vermögens in seinem Insolvenzverfahren nicht ordnungsgemäss angegeben hatte. Er war am Donnerstag schliesslich freigekommen.
Über die letzten Stunden vor seiner Freilassung und Abschiebung nach Deutschland sagte der Tennisspieler: «Ich sass ab sechs Uhr in der Früh auf meiner Bettkante und hoffte, dass die Zellentür aufgeht. Sie kamen um halb acht, schlossen auf und fragten: Bist du fertig? Ich sagte: »Los geht's!« Ich hatte auch schon alles gepackt.»
Moderator Steven Gätjen, der Becker zur Vorbereitung bereits getroffen hat, sagte über ihn: «Ich glaube, dass er wirklich willens ist, aufzuräumen und viele Dinge klarzustellen.» Wie Gätjen schilderte, ist ihm persönlich vor allem Beckers Beschreibung der ersten Tage im Gefängnis Wandsworth in Erinnerung geblieben. «Dort sitzen ja nicht nur Menschen ein, die finanzielle Straftaten begangen haben, sondern auch Sexualstraftäter, Mörder und Menschen, die grosse Raubüberfälle begangen haben. Boris Becker erzählte mir, dass er grosse Angst davor hatte, in einer Sammelzelle zu landen.»
Noch kurz vor seiner Inhaftierung im April hatte sich Becker im Interview mit Apple TV+ emotional gezeigt. «Ich habe meinen Tiefpunkt erreicht. Ich werde sehen, was ich damit anfange», sagte er damals unter Tränen. Wenige Tage später musste er ins Gefängnis.
Begonnen hatte Beckers Misere in London damit, dass er 2017 von einem Gericht für insolvent erklärt wurde. Eigentlich können solche Verfahren in Grossbritannien recht schnell beendet werden. Doch bei Becker zog es sich in die Länge. Es folgten demütigende Episoden: Unter anderem wurden ein Teil seiner Trophäen und andere persönliche Erinnerungsstücke öffentlich versteigert.
Going deep, inside out and beyond. Upcoming two-part documentary on legendary tennis player Boris Becker. Produced and directed by Oscar-winning filmmakers Alex Gibney and John Battsek #BorisBecker #Becker #AlexGibney #JohnBattsek #AppleTV #AppleTVPlus pic.twitter.com/nO1NmjdWdv
— filmser (@filmser) December 15, 2022
Doch es kam noch schlimmer: Sein Insolvenzverwalter warf Becker vor, Vermögensbestandteile in Millionenhöhe verschleiert zu haben. Die Tennis-Legende musste vor Gericht. In dem Prozess im Frühjahr plädierte Becker in allen Punkten auf unschuldig. Sein Anwalt stellte ihn als einen Mann dar, der oft mit dem Leben als Star ausserhalb des Tennisplatzes überfordert war, Entscheidungen oft anderen überliess und sich kaum um die Konsequenzen seines eigenen Handelns kümmerte. Doch die Geschworenen nahmen ihm das nur zum Teil ab und befanden Becker in mehreren Anklagepunkten für schuldig. (nih/sda/dpa)