
Die vergangene Saison startete Bencic in Australien erfolgreich: Mit Roger Federer gewann sie den Hopman Cup.Bild: AP
Interview
Als Weltnummer 7 tritt Belinda Bencic als Mitfavoritin zu den Australian Open an. Vor dem ersten Grand-Slam-Turnier des Jahres in Melbourne spricht die 22-jährige Ostschweizerin über die Brände, Streikandrohungen, Flugscham und ihre Rolle als Spielerin, Arbeitgeberin ihres Vaters und ihres Freundes.
19.01.2020, 15:3819.01.2020, 16:45
Simon Häring, melbourne / CH Media
Belinda Bencic, für jeden Doppelfehler, den Sie in Australien schlagen, spenden Sie 200 Dollar für die Opfer der Buschbrände. 2019 sind ihnen 322 Doppelfehler unterlaufen, die viertmeisten bei den Frauen. Das könnte teuer werden für Sie.
Belinda Bencic: Es läuft ziemlich gut (lacht). Es soll ja so viel wie möglich werden. Dann habe ich bei Doppelfehlern nicht nur Grund, mich zu ärgern, sondern auch, um mich zu freuen. Und wenn ich wenig Doppelfehler machen sollte, kann ich ja immer noch auch für die Asse etwas dazugeben. Ernsthaft: Es geht mir darum, auf die Situation aufmerksam zu machen, damit die Menschen sehen, was hier in Australien passiert. Es ist mir ein Anliegen, dass alle sich dessen bewusst sind und sich jeder Einzelne die Frage stellt, was er für die Erhaltung der Umwelt beitragen kann.
Start am Dienstag
Für Belinda Bencic beginnen die Australian Open am Dienstag. Die Nummer 6 des Turniers trifft auf die Slowakin Anna Karolina Schmiedlowa (WTA 202).
Weshalb kam bei Ihnen der Gedanke auf, für die Opfer zu spenden?
Es ist mir extrem nahe gegangen, als ich diese Bilder gesehen habe. Wir kommen hier hin, sind einen ganzen Monat in Australien, fühlen uns pudelwohl. Was hier passiert, ist eine Katastrophe, vor allem das Ausmass. Das sollte uns allen zu denken geben. Dass es brennt, ist ja nicht neu, aber in diesem Mass, das hat mir enorm leid getan. Es ist schön, dass Nick Kyrgios uns Tennis-Spieler dazu aufgefordert hat, Solidarität zu zeigen. Es brennt seit drei Monaten und viele haben das lange nicht einmal bemerkt.
Als Tennis-Spielerin fliegen Sie oft, ihr ökologischer Fussabdruck ist nicht der beste. Haben Sie manchmal ein schlechtes Gewissen?
Einerseits ja. Andererseits kann ich gewisse Dinge kaum umgehen. Nach Australien kann ich schlecht mit dem Schiff reisen. Ich denke, es geht darum, die kleinen Dinge zu beachten, die man beeinflussen kann. Man muss nicht gleich vom einen Extrem ins andere fallen.
Was haben Sie sich persönlich vorgenommen?
Bei den Turnieren gibt es viel zu viele Plastikflaschen. Es gibt Spieler, die nehmen einen Schluck und werfen diese dann weg. Das geht nicht. In den Hotels muss man auch nicht jeden Tag neue Handtücher haben, das hat man Zuhause ja auch nicht. Oder die Abfalltrennung, in der Schweiz ist das ja ohnehin Routine, aber in anderen Ländern ist das anders. Das klingt alles sehr banal, ich weiss. Aber es sind die kleinen Dinge, die einen grossen Unterschied ausmachen können.
Als Tennisprofi kennt Bencic den Flughafen Zürich fast so gut wie Familienhund Snowy.
Kompensieren Sie bei Ihren Flügen den CO2-Ausstoss?
Nein, das habe ich bisher nicht gemacht. Ich empfinde das auch ein wenig als Beruhigung des schlechten Gewissens, denn man fliegt ja trotzdem. Und wenn man nicht fliegt, fährt man oft mit dem Auto. Die beste Lösung aber wäre es, wenn man so wenig fliegt wie möglich. Das ist ein Dilemma, das sich nur schwer auflösen lässt.
Einige Spieler wie Kevin Anderson und Dominic Thiem versuchen, Umweltschutzthemen aufzugreifen, um zum Beispiel den Gebrauch von Plastik zu reduzieren. Gibt es unter den Spielerinnen mittlerweile ein grösseres Bewusstsein?
Auf jeden Fall. Manchmal geht man auf den Tennis-Platz und daneben liegen Plastikflaschen, das ist ärgert mich. Ich habe aber schon den Eindruck, dass sich viele mehr Gedanken dazu machen als noch vor einigen Jahren. Das gilt aber nicht nur für uns Tennis-Spieler, sondern für jeden einzelnen. Was mir wichtig ist: Man soll niemanden verurteilen, weil er weniger macht als der andere. Ich wünsche mir einfach, dass das Bewusstsein für solche Themen grösser ist.
Erst das Vergnügen, dann die Arbeit: Bencic an einer Party in Melbourne.
In Melbourne machte die schlechte Luftqualität zu reden. Finden Sie, man hätte nicht spielen sollen?
Weil ich noch nicht hier war, als die Qualifikation lief, kann ich das leider schlecht beurteilen. Aber anhand dessen, was ich gesehen und gehört habe, finde ich, man hätte nicht spielen sollen. Ich denke dabei in erster Linie an die Ballkinder, die Helfer, die vielen Zuschauer und nicht nur an die Spieler. Die Gesundheit aller sollte vorgehen. Immer.
Es gibt auch Spieler, die zum Streik aufgerufen haben. Denken Sie, das würde eine Mehrheit finden?
Ich denke schon, dass das gehen würde. In der Qualifikation kennen sich die Spieler weniger, im Hauptfeld ist das anders. Viele haben sich zusammengetan. Der Spielerrat wird sich beraten und dann mit dem Turnier diskutieren, wenn die Situation Massnahmen erfordert. Und wenn die besten Spieler sagen, es gehe nicht, dann kann sich das Turnier auch nicht erlauben, uns zum Spielen zu zwingen.
Sie haben schon einige Male in China gespielt, wo die Luft auch nicht immer gut ist. Wie reagiert ihr Körper auf die Feinstaubpartikel? Und gibt es eine Möglichkeit, sich darauf vorzubereiten?
Wie gross der Unterschied ist, merke ich vor allem dann, wenn ich zuhause in der Schweiz bin, wo die Luft so rein ist. In China ist die Luft tatsächlich oft schlecht, vor allem in Peking. Für viele ist das nicht einfach, auch ich merke es beim Atmen, aber es ist nicht so, dass ich deswegen nicht Tennis spielen könnte. Aber ich gehe zum Beispiel nicht im Freien rennen, sondern bleibe im Hotel.
Haben Sie sich überlegt, sich im Spielerrat einzubringen?
Nein, das kommt für mich zu früh. Es gibt viele Spielerinnen, die grössere Meinungsführer sind als ich, die besser Englisch sprechen, mit den Funktionären und Vorständen einen guten Umgang haben und mehr Dampf machen können. Ich gebe aber gerne meine Meinung zu Themen, welche die Spielerinnen betreffen. Ich helfe gerne mit, aber lasse anderen lieber den Vortritt, im Sinne aller Spielerinnen.
Auch wenn Sie erst 22 sind, als Tennis-Spielerin sind sie Arbeitgeberin. Zahlen Sie ihrem Vater und ihrem Freund, der auch ihr Fitnesstrainer ist, eigentlich einen Lohn?
(Lacht). Schwierige Frage. Aber logisch, bezahle ich Martin einen Lohn. Er ist ja schliesslich mein Konditionstrainer, und nicht nur mein Freund. Und mit meinen Eltern habe ich eine separate Regelung. Mir ist bewusst, dass das eigentlich eine spezielle Situation ist, aber für mich und im Tennis ist das eher die Regel als die Ausnahme.
Wie haben Sie ihre Winterpause verbracht?
Gleich nach der Saison habe ich gar nichts gemacht, weil ich ja noch die Verletzung am Fuss hatte, die ich auskurieren musste. Erst um den 15. Dezember habe ich wieder mit dem Racket trainiert. Die Zeit dazwischen habe ich in der Schweiz verbracht und viel mit Freunden unternommen. Danach war ich für eine Woche in der Slowakei bei meinem Freund, habe dort das Konditionstraining gemacht. Danach waren wir zur Regeneration auf dem Bürgenstock.
Einen Teil der Saisonvorbereitung absolvierte Bencic mit ihrem Freund (links) auf Eis.
Sie waren auch wieder bei Melanie Molitor, der Mutter von Martina Hingis. Wie war das für Sie?
Einfach sensationell. Die Intensität der Trainings bei Melanie und mit Martina ist schon eine andere. Es war schön, weil ich die beiden zuvor schon länger nicht mehr gesehen hatte.
In den letzten drei Jahren spielten Sie beim Hopman Cup, den es nun nicht mehr gibt, mit Roger Federer. Haben Sie ihn vermisst?
Das ist schon traurig. Jetzt konnte ich nicht mit Rogers Hilfe ein Turnier zum Saisonstart gewinnen (lacht). Nein, Spass bei Seite: Es war schade, und wir haben ja alle gedacht, Roger würde den ATP-Cup spielen, der mir persönlich sehr gefallen hat. Ich hoffe, sie machen das in Zukunft zu einem gemischten Turnier, damit wir Frauen auch mitmachen können. Mit Roger hatte ich losen Kontakt. Worüber ich mich gefreut habe: An den Sports Awards im Dezember habe ich seine Eltern Lynette und Robert getroffen und meine Mutter Dana hat die beiden dort kennengelernt. Das war ein tolles Erlebnis für mich.
In Adelaide ging's vom Stadion direkt ins Meer.
Sie haben schon zwei Turniere bestritten, in Shenzhen und in Adelaide. Sie gewannen dabei zwei Spiele. Wie ist ihr Fazit?
Es war ein wackeliger Start in die neue Saison, aber ich bin ja keine Schnellstarterin und brauche immer etwas Zeit, um mich wieder an den Rhythmus zu gewöhnen. Vor allem nach den fast zwei Monaten Pause. Aber ich fühle mich von Training zu Training und von Match zu Match besser. Auch körperlich geht es mir sehr gut. Die Situation ist vergleichbar mit jener vor den US Open im letzten Jahr.
Dort erreichten Sie die Halbfinals. Als Nummer 6 sind Sie nun so hoch gesetzt wie noch nie zuvor bei einem Grand-Slam-Turnier. Was ändert sich dadurch für Sie?
Für mich macht das absolut keinen Unterschied. Mich kennen alle, ich kenne alle, ich bin ja doch schon einige Jahre dabei. Es hat niemand ein Freilos und jede muss sieben mal siegen, um das Turnier zu gewinnen. Ich weiss, wie offen die Ausgangslage bei uns derzeit ist.
Von Adelaide ging's ostwärts nach Melbourne.
Welche Vorsätze haben Sie für das neue Jahr gefasst?
Das habe ich ein paar Mal ausprobiert, aber es kam nie gut raus. Zum Beispiel, dass ich ordentlicher werde, oder vor dem Morgenessen joggen gehe. Vorsätze, die jeder hat, aber dann doch nicht umsetzt. Ich bin da nicht anders (lacht). Ich wünsche mir Gesundheit. Dass ich einen Schritt nach vorne mache, konstanter und ruhiger werde. Und natürlich will ich in den ersten zehn der Weltrangliste bleiben. Gelingt das, wäre das schön. Wenn nicht, geht die Welt auch nicht unter.
Verraten Sie uns zum Schluss noch, was Sie sich für die Australian Open für ein Ziel gesteckt haben?
Netter Versuch. Sie kennen mich. Ich sage, was ich immer sage: Ich schaue von Match zu Match und sage nicht, dass ich die Halbfinals erreichen muss und setze mich damit unter Druck. Ich halte meine Ziele immer klein. Ich möchte nichts an die grosse Glocke hängen. Und dann schauen wir, was am Ende dabei herauskommt.