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Interview

Skifahrer Manuel Feller im Interview

25.01.2022, Planai, Schladming, AUT, FIS Weltcup Ski Alpin, Slalom, Herren, 2. Lauf, im Bild Manuel Feller AUT // Manuel Feller of Austria during the 2nd run of mens Slalom of FIS Ski Alpine World Cup ...
Manuel Feller – der etwas andere Skifahrer.Bild: www.imago-images.de
Interview

Der bunte Hund des Skizirkus: «Es gibt Leute, die glauben, sie wüssten alles besser»

Als Kind ging Manuel Feller nachts allein in den Wald. Heute setzt er sich lieber in der Pampa an einen See. Auch auf den Skipisten ist der Österreicher vernünftig geworden. Und im Slalom zum Favoriten.
22.12.2023, 14:1522.12.2023, 14:15
martin probst / ch media
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Den ersten Slalom des Winters hat Manuel Feller trotz einer Störaktion von Klimaaktivisten gewonnen. Rückblickend sagt der 31-Jährige: «Ich finde es wichtig, dass es Menschen gibt, die sich engagieren. Allerdings bin ich der Meinung, dass sie mit solchen Aktionen die Falschen treffen.» Am Freitag gehört der Österreicher im Nachtslalom von Madonna di Campiglio erneut zu den Favoriten.

Sie waren der bunte Hund im Skiweltcup, einer, der den Kritikern per Musikvideo die Meinung geigte oder den Schnauz grün färbte. Und einer, der sich auf der Piste immer nahe am Wahnsinn bewegte. All das sieht man bei Ihnen nicht mehr. Sie sind ruhiger geworden. Was ist passiert?
Manuel Feller: Ich würde alles zu dem Zeitpunkt, als ich es tat, noch einmal genau gleich machen. Ich bereue nichts. Mittlerweile bin ich aber vor allem dankbar, dass ich machen darf, was ich sehr gerne tue. Aber das heisst nicht, dass ich gewisse Leute keine Vollidioten mehr finde. Ich sage es einfach nicht mehr so deutlich und provokant wie damals.

Was sind das für Vollidioten?
Es gibt Leute, die glauben, sie wüssten alles besser. Aber ich habe gelernt, dass es nicht die Aufgabe eines Skifans ist, zu wissen, wie es mir geht. Trotzdem fehlt vielen der Respekt. Und ich spreche da gar nicht nur gegenüber mir selbst, sondern allgemein. Es geht mir darum, wie Leute über andere Menschen urteilen und mit ihnen umgehen. Da kann man auch andere Wörter wählen oder einen anderen Ton anschlagen.

Sprechen Sie da vor allem von Reaktionen in den sozialen Medien? Sie wurden teils recht harsch angegangen, wenn die Resultate nicht gut waren.
Im echten Leben hat noch keiner zu mir etwas richtig Blödes gesagt. Ich kann mich an keine einzige Situation erinnern, in der mich einer als Trottel bezeichnete oder sagte, dieses und jenes an mir sei scheisse. Aber wenn einer vor seinem Computer oder Handy sitzt, fühlt er sich plötzlich stärker und dann fallen sehr schnell gewisse Hemmungen.

Können Sie das ignorieren?
Ich versuche, mich in die andere Person hineinzuversetzen. Und wenn einer solche Sachen schreibt, beziehungsweise sich extra die Zeit dafür nimmt, kann in dessen Leben irgendwas nicht ganz richtig laufen.

Sie reagierten mit Musik auf Kritik. Wie wichtig ist die Musik heute noch für Sie?
Privat beschäftige ich mich schon damit. Vielleicht veröffentliche ich mal wieder etwas. Aber ich mache das nicht, um Aufmerksamkeit zu generieren. Ganz im Gegenteil: je weniger Aufmerksamkeit, desto besser. Aber gewisse Leute haben Freude daran. Und wenn es nur zehn Leute sind, denen ich ein Grinsen ins Gesicht zaubern kann, dann habe ich schon etwas erreicht. In erster Linie ist die Musik für mich aber etwas, um Dinge, die mir in meinem Leben passieren, zu verarbeiten.

Feller rechnet mit seinen Kritikern ab.Video: YouTube/michael malli

Sie sagen, Sie suchen die Aufmerksamkeit nicht. Ihre Videos gingen aber viral.
Angefangen hat es mit dem bekannten Video, das Sie angesprochen haben. Da ist es aber eher darum gegangen – wie soll ich sagen: Es war eine sehr schwierige Zeit für mich, weil ich damals meinen zweiten Bandscheibenvorfall hatte. Und danach war es nicht möglich, die Kritiker mit etwas Besserem als einem Top-10-Ergebnis zu kontern. Gewisse Leute haben ihren Respekt verloren und ich wollte reagieren.

Die Musik diente als Ventil?
In gewisser Hinsicht war es das. Ich habe gewusst, okay, mein Maximum ist momentan ein Top-10-Ergebnis. Das reichte vielen nicht. Deswegen muss man mich aber nicht beleidigen. Als Christian Mayer (ehemaliger österreichischer Skiprofi; Anm. d. Redaktion) öffentlich sagte, ihm kommen die Tränen, wenn er sieht, wie schlecht ich fahre, wollte ich das nicht akzeptieren. Also verpackte ich meine Meinung in Reime.

Können Sie erklären, warum Sie ruhiger geworden sind? Liegt es am Alter, oder daran, dass Sie Vater geworden sind oder doch an den vier Bandscheibenvorfällen?
Meinen ersten Bandscheibenvorfall hatte ich mit 19. Von dem her hätte eine Veränderung schon früher passieren müssen (lacht). Man bekommt Routine mit dem Alter. Ich bin mittlerweile auf jedem Hang zwischen acht- und zehnmal gefahren. Ich weiss, dass es gewisse Passagen gibt, in denen man nicht sein letztes Hemd riskieren muss. Und abseits von der Piste habe ich nicht mehr so viel Zeit, um die Sau rauszulassen. Aber wenn die Möglichkeit besteht, bin ich immer noch der Alte.

Sie sind Vater eines vierjährigen Sohns und einer zweijähren Tochter. Bekommen die Kinder schon mit, was Sie tun?
Wenn ich weg bin, bekomme ich von meiner Frau immer Videos zugeschickt, wie die Kinder vor dem Fernseher stehen. Und wenn ich nach Hause komme, erzählt mir der Ältere, dass er mich gesehen hat und auch Skifahren möchte. Und wenn ich gewonnen habe, sagt er, dass er auch so einen Pokal möchte. Das sind schon sehr, sehr schöne Erlebnisse.

Drei Wochen lang war Feller von seiner Familie getrennt, als er in Chile trainierte.

Setzen Ihnen die vielen Reisen ohne die Familie zu?
Wenn ich fünf Tage weg bin und dann wieder ein, zwei Tage mit der Familie habe, ist das weniger ein Problem. Aber als ich dieses Jahr drei Wochen in Chile war, habe ich mich schon sehr schwergetan. Weil irgendwann – nach der zweiten Woche oder so – sind die Kinder schon fast beleidigt, dass ich weg bin, und wollen gar nicht mehr telefonieren.

Sind das die Schattenseiten des Lebens als Skiprofi?
Auf jeden Fall. Aber was man gleichzeitig sagen muss: Ich habe als Skifahrer auch ein grosses Privileg. Nehmen wir den Sommer: Ein normaler Arbeiter geht um 8 Uhr aus dem Haus und kommt abends um sieben nach Hause. Ich gehe zwar auch um 8 Uhr aus dem Haus, bin dann aber am Mittag drei Stunden daheim und auch abends oft früher da.

Haben Sie sich schon überlegt, die Familie auf lange Reisen mitzunehmen?
Das wäre theoretisch eine Möglichkeit, aber ich bin kein Fan davon, Kinder zwölf Stunden in ein Flugzeug zu setzen. Sie kommen an die Rennen, die in der Nähe sind, in Schladming oder Kitzbühel. Da sind meine Eltern auch dabei und können ein bisschen schauen. Aber ich würde meine Kinder nicht quer um die Welt schicken, nur damit ich ein paar Stunden mit ihnen verbringen kann. Das möchte ich ihnen nicht antun.

Ihre Liebe zu Reggae und Dancehall führte Sie schon mehrmals nach Jamaika. Fühlen Sie sich in dieser Kultur besser verstanden, oder was fasziniert Sie?
Ich war fünfmal drüben. Das erste Mal klassisch als Tourist. Doch dann habe ich immer mehr Leute kennen gelernt. Ich war mittendrin. Das lehrte mich Demut. Die meisten Leute, die in der Karibik Urlaub machen, sehen nur die Sonne und das Meer. Ich habe ganz andere Seiten gesehen.

Auch Dinge, die Sie schockiert haben?
Ja, ich habe eine Massenpanik an einem Konzert erlebt. Oder Blaulicht bei einem Nachbarn, der danach nicht mehr unter uns war. Das war schon prägend. Doch alles in allem hat mich Jamaika sehr positiv beeinflusst.

Erlebten Sie auch, wie privilegiert wir in Europa sind?
Definitiv. Die Menschen da drüben wissen nicht, ob sie am nächsten Tag wieder aufstehen. Bei uns leben viele einfach so in den Tag hinein und schätzen gar nicht, was wir alles haben. Ich kenne viele Leute in Jamaika, die essen nur jeden dritten Tag. Wenn man ein Dach über dem Kopf hat, und jeden Tag Wasser und etwas zum Essen, ist man reicher als 90 Prozent der Menschen. Dessen sind sich viele bei uns gar nicht bewusst.

Sie können stundenlang stillsitzen?
Nein. Ich habe so ein, wie soll ich das sagen, Alarmsystem. Die Schnur geht durch einen Piepser, der anschlägt, wenn ein Fisch gebissen hat. Ich bin aber grundsätzlich keiner, der sich irgendwo an einen Teich setzt und zwanzig Fische an einem Tag fängt. Ich bin überhaupt kein Fan von Gewässern, wo die Fische nur so im Kreis schwimmen. Die Fische, die ich fange, sehen nur einmal in ihrem ganzen Leben einen Haken.

Sie lassen die Fische aber wieder frei.
Die Karpfen schon. Ich esse zwar Fisch, also Forellen, Hecht, Sander oder Barsch. Aber ich fische hauptsächlich Karpfen. Und das sind Fische, die teilweise gleich alt sind wie ich. Die dürfen dann wieder in ihr Element zurück. Solch alte und grosse Fische sind sehr wichtig für den Bestand, also für die Fortpflanzung. Viele, die solche Fische töten, vergessen, dass es zwanzig Jahre dauert, bis der nächste Fisch so gross geworden ist.

Es heisst, Sie haben als Kind nachts im Wald Tiere fotografiert. Stimmt das?
Ja, ich habe sogar eine eigene Futterkrippe gebaut. Da war ich sieben oder acht Jahre alt. Zu Weihnachten wünschte ich mir immer einen Futtersack, damit ich die Rehe füttern und fotografieren konnte. Ich bin auch gern mit auf die Jagd. Aber eher zum Füttern als zum Jagen, weil der Unterschied zum Fischen ist, dass man das Reh nicht wieder laufen lassen kann, wenn man es erlegt hat. Darum habe ich die Kamera eingepackt. Ich habe bei Vollmond Fleischreste auf eine Lichtung verteilt, mich auf einen Baum gesetzt und gewartet, ob ein Dachs vorbeikommt.

Sie verliessen sehr früh Ihr Elternhaus für die Ski-Hauptschule. Wie war das?
Schlimm. Sehr schlimm. Ich bin mit zehn Jahren ins Internat gegangen und war sechs Tage pro Woche weg und nur einen Tag daheim. Ich habe eigentlich mit zehn mein Berufsleben gestartet. Meine Eltern haben gesagt, wenn du das machen willst, musst du es richtig machen. Ich habe das zwar verstanden und es so gemacht. Aber ich habe das erste Dreivierteljahr jeden Tag geweint. So stark war mein Heimweh.

Und danach wurde es besser?
Mit der Zeit gewöhnt man sich an alles. Ich werde oft gefragt, ob ich es noch einmal machen würde. Und ich habe keine Antwort darauf. Vermutlich war ich zu jung. Das hat ein kleines Trauma hinterlassen. Aber ich weiss ebenso, dass wenn ich es nicht gemacht hätte, es mein Untergang hätte sein können, weil ich für jeden Blödsinn zu haben war.

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4 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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LiveTicker3000
22.12.2023 15:16registriert Dezember 2022
Einer der wenigen denen man gerne zuhört im TV.
Einer der wenigen der seine Meinung vertritt, egal was andere sagen.
Einfach en geile Siech!
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Ben_solo
22.12.2023 15:52registriert Januar 2021
Ich geb‘s zu….Ich liiiebe den Typen!!! Unvergesslich die Story mit der Märchenwiese!! 🤣👍🏼🤣👍🏼
372
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4
    Nach 10 Minuten als Trainer wird Leroy Rosenior schon wieder gefeuert
    17. Mai 2007: Als Schweizer Fussballfan ist man sich ja bezüglich Trainerentlassungen einiges gewohnt. Doch was sich beim englischen Fünftligisten Torquay United ereignete, das gab es selbst beim FC Sion noch nie. Dass nämlich ein Trainer unmittelbar nach der Einstellung bereits wieder entlassen wird.

    Leroy Rosenior ist in den 80er-Jahren ein passabler Stürmer, der sein Geld in der Heimatstadt London verdient. Fulham, die Queens Park Rangers und West Ham sind seine Arbeitgeber. Ein grosser Star ist er nie. Deshalb muss er, als er Trainer wird, auch durch die Provinz tingeln. Gloucester, Merthyr Tydfil, Torquay, Brentford – es sind keine Adressen mit Weltruhm, an denen Rosenior eine Mannschaft anvertraut wird.

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