Dem populärsten Sport der Welt könnten einschneidende Änderungen bevorstehen. Je nachdem, wem man glaubt.
Nachdem der Europäische Gerichtshof in einem Prozess gegen den europäischen Fussballverband UEFA geurteilt hat, feiern die Initianten einer europäischen Super League dies als grossen Erfolg. Umgehend stellen sie ihre Pläne vor.
Die UEFA teilt mit, sie nehme das Urteil zur Kenntnis. Der Verband schreibt, er sei davon überzeugt, sich im Rahmen aller relevanten europäischen Gesetze zu bewegen.
Eine neue Super League steht also nicht unmittelbar vor der Tür. Aber zweifelsohne werden die Initianten um Real Madrid und den FC Barcelona versuchen, die Besitzer anderer Grossklubs ins Boot zu holen.
Die Debatte über eine neue Superliga wird Fragen aufwerfen. Etwa jene, wem der Fussball denn eigentlich gehört. Den Klubs? Doch wer sind überhaupt «die Klubs»? Sind es ihre Besitzer?
Oder gehört der Fussball den Verbänden, weil sie ihn organisieren? Den Spielern, weil sie ihn ausüben? Den Fans? Schliesslich wird für sie gespielt und Fussball ohne Zuschauer ist unerträglich, wie wir während der Corona-Pandemie feststellen mussten.
Und falls der Fussball den Fans gehört, stellt sich die Frage: Welchen Fans? Jenen in der Kurve, die für die Stimmung sorgen? Oder jenen auf der Haupttribüne, die gerade in der Schweiz oft auch als Sponsoren das Überleben sichern? Oder gehört der Fussball nicht nur diesen paar zehntausend Menschen im Stadion, sondern den Abermillionen vor dem Fernseher, der grossen Masse?
Über Jahrzehnte schien mehr oder weniger alles klar: Nationale Verbände organisierten eine Meisterschaft und einen Cup, die UEFA organisierte europäische Klubwettbewerbe.
Aus dem ehemaligen Meistercup wurde eine Champions League, deren Gesicht sich in den drei Jahrzehnten ihres Bestehens regelmässig änderte.
Auch deshalb, weil die UEFA auf Drohungen von Topklubs reagierte, die mal leise und mal lauter darüber nachdachten, eine eigene Liga zu gründen. Die UEFA reagierte aber auch deshalb, weil sie selbst die Chance sah, mit mehr Spielen höhere Einnahmen zu generieren.
Nun wollen die Klubs nicht einen noch grösseren Anteil vom Kuchen, sondern die ganze Bäckerei. So wie es die Sportligen in den USA vormachen, die den einzelnen Teams gehören.
Vielleicht ist das eine Zukunft für den Fussball: dass er amerikanisiert wird. Mit einem Salary Cap und mit einem Draft. Es wäre eine radikale Abkehr vom Fussball, wie wir ihn kennen.
Die Topklubs, die schon jetzt über allen anderen schweben, würden eine eigene Kaste bilden. Die neue wäre die ultimative Liga, die beste der Welt. Und der logische Schritt wird sein, dass sie bald auch weltumspannend ist. Mit Mannschaften aus klassischen Fussballländern wie Argentinien und Brasilien, aber auch aus aufstrebenden Märkten wie Saudi-Arabien oder Indien.
Auch in der Schweiz sieht man bereits heute Kinder mit einem Trikot von Al-Nassr herumlaufen, dem Klub von Cristiano Ronaldo. Hält der saudische Boom an, wird es in zehn Jahren vielleicht schon normal sein, dass diese Klubs zu den grossen gehören.
Schweizer, die den 30. Geburtstag noch vor sich haben, fragen sich bestimmt, weshalb GC denn eigentlich ein grosser Klub sein soll. In Deutschland halten Junge Wolfsburg für einen «Traditionsklub», der schon immer Bundesligist war. Und der Widerstand gegen «Retortenklubs» wie RB Leipzig oder Hoffenheim schwindet – nicht in den Fankurven, aber bei der breiten Masse.
Es ist paradox: Während gleichzeitig beklagt wird, wie furchtbar der moderne Fussball sei, steigen die Zuschauerzahlen. Nicht der einzige Widerspruch. EM- und WM-Turniere sind unbestritten die grossen Highlights, selbst wenn deren Ausrichter im heftigen Gegenwind stehen.
Wohl nur wenige Institutionen haben einen derart schlechten Ruf wie die UEFA und die FIFA. Dass deren Macht womöglich beschnitten wird, kommt vielerorts gut an. Dabei müssen herbeigesehnte Wechsel nicht nur positive Folgen haben, wie manch einer feststellte, als Sepp Blatter als FIFA-Präsident von Gianni Infantino abgelöst wurde.
Die Frage, die man sich stellen sollte, lautet: Wenn wir auf einem weissen Blatt Papier skizzieren müssten, wie wir den Fussball strukturieren würden – was skizzieren wir?
Wie soll der Fussball der Zukunft organisiert sein? Von den bestehenden Verbänden? Sollen die Klubs selber die Macht übernehmen? Soll es eine alles dominierende Liga geben wie im Eishockey die NHL und daneben nationale Meisterschaften? Würden diese unter der Absenz von Topteams leiden oder, im Gegenteil, wieder spannender werden? Oder soll einfach alles so bleiben, wie es «schon immer» war (obwohl sich der Fussball ständig änderte).
Viele Fragen – die Kommentarspalte steht dir offen für eigene Vorschläge und Visionen. Danke, dass du sachlich bleibst und konstruktiv diskutierst.