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Nati-Star Crnogorcevic: «Ich musste als Kind heimlich Fussball spielen»

Switzerland's forward Ana-Maria Crnogorcevic gestures during a training session of the Team Switzerland at the Town Academy Training Ground, at the UEFA Women's Euro England 2022, in Hudders ...
Ana-Maria Crnogorcevic will an der Europameisterschaft jubeln.Bild: keystone
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Rekordspielerin Crnogorcevic: «Ich musste als Kind heimlich Fussball spielen»

Mit dem EM-Auftaktspiel gegen Portugal wird Ana-Maria Crnogorcevic alleinige Rekordnationalspielerin für die Schweiz. Die Anfänge waren aber schwer, erzählt sie im Interview.
09.07.2022, 16:0509.07.2022, 17:06
Interview: Raphael Gutzwiller, Leeds / ch media
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Im Schweizer EM-Startspiel gegen Portugal spielen Sie zum 136. Mal für die Schweiz. Das ist Rekord. Was bedeutet er Ihnen?
Ana-Maria Crnogorcevic: Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal so viele Spiele bestreiten würde für die Nati. So richtig bewusst ist es mir jedenfalls noch nicht. Aber wenn ich irgendwann zurückschaue, kann ich stolz sein. Dann werde ich feststellen, dass es nicht 50 oder 100 Menschen gibt mit einer solchen Marke.

Dabei war Ihr Vater dagegen, als Sie als Kind mit dem Fussball beginnen wollten.
Obwohl ich eigentlich immer mit ihm Fussball gespielt habe. Als ich in den Verein wollte, sagte er aber: «Es gibt nicht einmal einen Mädchenverein. Du darfst sicher nicht Fussball spielen.» Damit war das Thema zunächst erledigt. Ich ging fortan ins Karate und spielte Tennis. Aber der Drang zum Fussball blieb. Ich stürmte bei meiner Mutter so lange, bis sie mich anmeldete - heimlich. In den ersten drei Wochen konnten wir es vor meinem Vater verstecken, dann hat er es gemerkt. Er war nicht erfreut, der Ärger hat sich aber schnell gelegt.

Ist er heute trotzdem stolz auf Ihre Karriere?
Natürlich! Er ist sehr stolz.

Zweifache Gewinnerin der Champions League
Ana-Maria Crnogorcevic (31) ist die Rekordfrau des Schweizer Fussballs. Gegen Portugal bestreitet sie ihr 136. Länderspiel. Dabei hat sie 67 Tore erzielt. Crnogorcevic führte Rot-Schwarz Thun jung zum Schweizer Cupsieg. Mit 18 wechselte sie zu Hamburg, später nach Frankfurt, wo sie 2015 die Champions League gewann. 2018 ging sie für zwei Jahre in die USA zu Portland. Seither spielt Crnogorcevic bei Barcelona, holte 2021 den Titel der Königsklasse und stand im Mai im Final.

Im Frauen-Nationalteam gibt es im Vergleich zu den Männern weniger Spielerinnen mit Migrationshintergrund. Hängt das mit dem Klischee zusammen, dass Frauen in Machokulturen nicht Fussball spielen dürfen?
Ich glaube nicht, dass es auf die Herkunft ankommt. Es ist aber eine Erziehungsfrage. Wenn man den Jungs sagt, sie dürfen nicht weinen oder den Mädchen, sie dürfen sich nicht dreckig machen, dann kommt es so raus. Dabei darf man als Junge weinen und ein Mädchen darf mit zerrissenen Jeans nach Hause kommen, weil es draussen witzig war beim Spielen. Ich hoffe, dass solche Geschichten wie bei mir irgendwann der Vergangenheit angehören.

Könnte diese EM dazu beitragen, dass es normal wird, dass Mädchen kicken?

Könnte diese EM dazu beitragen, dass es normal wird, dass Mädchen kicken?
Das denke ich. Als Kind habe ich nicht gewusst, dass es überhaupt ein Nationalteam gibt. Die Spiele wurden nicht im TV übertragen, es gab keine sozialen Medien. Ich finde es super, dass sich dies inzwischen geändert hat. Besonders gefreut hat mich eine Situation kürzlich an einem Männerspiel des FC Barcelona. Dort habe ich einige Jungs in Trikots gesehen. Normalerweise steht auf dem Rücken der Name eines Fussballers, doch auf ihren Shirts stand «Alexia». Es ist der Name der nun leider verletzten Weltfussballerin Alexia Putellas. Es ist ein wunderbares Zeichen, wenn Jungs sagen: «Ich will so sein wie Alexia, wenn ich gross bin.»

epa09918808 Wolfsburg's Dominique Janssen (L) in action against Barcelona's Ana-Maria Crnogorcevic (R) during the UEFA Women's Champions League semi final, second leg soccer match betwe ...
Crnogorcevic spielt für den FC Barcelona.Bild: keystone

Im Fussball ist Gleichberechtigung weit weg.
Die fehlende Gleichberechtigung ist nicht nur im Sport ein Thema. Sie fehlt in vielen Bereichen. Wenn der Job derselbe ist, soll es keine Unterschiede zwischen Mann und Frau geben. Im Fussball ist der Unterschied natürlich riesig. Dabei spreche ich aber nicht vom Geld. Für mich ist Geld das letzte Thema, worüber man diskutieren sollte. Es wird nie so sein, dass eine Frau so viele Millionen verdient wie Cristiano Ronaldo. Was ich mir aber erhoffe, ist, dass wir über ähnliche Voraussetzungen verfügen. Wir möchten ähnliche Trainingsplätze, Reisemöglichkeiten und Unterkünfte.

Fussballer leben im Luxus, Fussballerinnen nicht. Würden Sie gerne auch Millionen verdienen?
Es würde natürlich keine «Nein» sagen. Aber darum geht es nicht. Es wäre schon wunderbar, wenn es in die Richtung geht, dass wir Frauen mit einer Fussball-Karriere aussorgen könnten. Dabei geht es nicht um Luxus, sondern darum, dass es mit einem sparsamen Lebensstil möglich sein könnte, danach davon zu leben.

Sind Sie da in der Nähe?

Sind Sie da in der Nähe?
Nein, nicht einmal annähernd. Wer das mit den jetzigen Löhnen schaffen will, müsste mit 20 Weltklasse sein und dann mindestens 15 Jahre auf diesem Niveau spielen – und dabei auch noch sparsam leben. Klar könnten zum Lohn beim Klub noch Werbeverträge dazukommen. Aber auch das ist sehr schwierig, weil viele Firmen immer noch lieber mit einem Fussballer werben als mit einer Fussballerin.

Jene Fussballerinnen mit guten Werbeverträgen werden häufig auf ihr Äusseres reduziert. Wie sehr stört Sie das?
Ich denke, jede Fussballerin kann selbst entscheiden, welchen Weg sie gehen möchte. Einige finden, dass die sozialen Medien wichtig sind und sie sich dort präsentieren möchten. Da ist jede freigestellt, wie sie das machen möchte. Wer meinen Instagram-Account sieht, denkt sicher nicht, dass ich eine Influencerin sei. Ich bin Fussballerin. Das soll man auch dort sehen.

Einen anderen Weg hat die eigentliche Schweizer Nationalspielerin Alisha Lehmann gewählt, die auf die EM verzichtete. Auch GC-Spielerin Ana Markovic verfügt über sehr viele Follower.
Das kann jede für sich entscheiden. Für Marken ist es sehr spannend, wenn jemand eine grosse Reichweite hat. Ich persönlich finde das schade. Wenn eine Firma eine Sportlerin unterstützen möchte, dann sollte die sportliche Leistung der Grund sein und der Wille am Support. Das Aussehen der Spielerin sollte höchstens eine Nebenrolle spielen.

Alisha Lehmann 2.0? – GC-Spielerin verdient mit Instagram mehr Geld

Video: watson/Aya Baalbaki

Als Sie mit 18 in Hamburg spielten, titelte die Boulevardzeitung «Bild»: «Die Schönste ist eine Schweizerin». In einer Body-Paint-Aktion haben Sie sich damals mit der HSV-Raute auf dem Bauch präsentiert. Würden Sie das wieder machen?
Es gab kein Voting oder etwas Ähnliches. Jemand hat das einfach so getitelt. Und das Fotoshooting war auch nicht für die «Bild». Eine solche Body-Paint-Aktion würde ich grundsätzlich wieder machen. Kürzlich liess ich für die «Schweizer Illustrierte» Bikini-Bilder am Strand in Barcelona machen. Das habe ich mir aber schon sehr lange überlegt.

Wie sehr stört es Sie, dass die Frauen leistungsmässig oft am Männerfussball gemessen werden?
Da sieht man, wie viele Leute sich nie mit Frauenfussball auseinandergesetzt haben. Es ist anatomisch logisch, dass wir nicht so schnell sind, nicht so viel Kraft haben und nicht so hoch springen können wie Männer. Dadurch sieht das Spiel anders aus. Bei anderen Sportarten ist das aber auch so: Beim Frauentennis ist der Aufschlag nie so hart wie beim Männertennis. Das heisst aber nicht, dass Frauentennis per se schlecht wäre. Genau so ist aber das Klischee beim Frauenfussball. Darüber darf man sich aber nicht nerven.

Die EM bricht Rekorde, in Barcelona spielten sie vor 90'000 Zuschauern. Wieso strömen die Massen plötzlich an Frauenspiele?
Ich denke, es geht darum, den Spielen die richtige Plattform zu geben. Wir hätten nicht vor 91'000 Fans gespielt, wenn wir nicht im Camp Nou hätten spielen dürfen. Für den Classico im Champions-League-Viertelfinal gegen Real Madrid wurde nicht einmal gross geworben. Innerhalb von vier Tagen waren aber alle Tickets weg. Das zeigt, dass Interesse da war.

Für die EM wurden mehr als doppelt so viele Tickets verkauft wie 2017. Was erhoffen Sie sich vom Turnier?
Ich erhoffe mir, dass viele Menschen mit dem Fussball der Frauen in Kontakt kommen. Es wäre schön, wenn wir viele Mädchen erreichen, die sagen: «Wow, das ist ein geiles Turnier.» Ich hoffe auch, dass sich viele Menschen begeistern lassen, die den Frauenfussball sonst nicht so kennen.

Die Schweiz startet gegen Portugal, dann geht es gegen die Favoriten Schweden und die Niederlande. Die Schweizer Testspiele waren aber schlecht. Was spricht dennoch für die Schweiz?
An der EM ist es immer schwierig, weit zu kommen. Das Niveau ist deutlich höher als an einer WM. Für mich ist es entscheidend, dass wir gut in das Turnier starten. Das Spiel gegen Portugal ist immens wichtig. In Partien gegen Schweden und die Niederlande sind wir klarer Aussenseiter. Schweden stand im Olympiafinal, die Niederlande sind Titelverteidiger und spielten im WM-Final. Gegen diese Teams haben wir nichts zu verlieren. Das Viertelfinal zu erreichen, ist sehr schwierig. Ganz unmöglich ist es aber nicht. (aargauerzeitung.ch)

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Die Stadien der Frauen-EM 2022 in England
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quelle: keystone / robert ghement
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