Dieser beissende Geruch! So beginnt meine erste Erinnerung an Wrestling – eine olfaktorische Zeitreise in die 80er-Jahre. In der Wohnung unserer Nachbarn lag stets ein schwerer Zwiebel- und Knoblauch-Duft in der Luft, der für uns Kinder damals völlig ungewohnt war.
Hatten wir Buben die kleine Küche, diese Eiger-Nordwand, durchstiegen, waren wir im Himmel angelangt. Denn die Familie besass eine Satelliten-Antenne und einen Videorekorder. So kam sie – und mit ihnen auch wir – in den Genuss von Wrestling. Selbst wenn unsere Mutter mit der Gewalt im TV ihre liebe Mühe hatte.
Wir staunten über den dicken Yokozuna und schauten ehrfürchtig dem riesigen André the Giant zu. Wir verachteten den «Million Dollar Man» Ted DiBiase und riefen laut «U! S! A!» mit, wenn Hacksaw Jim Duggan mit einer Holzlatte und der US-Flagge den Ring bestieg. Und zumindest mir gefror das Blut in den Adern, wenn Jake «The Snake» Roberts nach einem gewonnenen Kampf seine Schlange aus dem Sack holte und sie über den besiegten Gegner kriechen liess.
Dass beim Wrestling alles nur gespielt ist, wie manche das behaupteten, kümmerte uns als Unter- und Mittelstüfler nicht. Wir sahen schliesslich mit den eigenen Augen, dass alles echt war.
Und der König von jeder Videokassette, die Hassan und Levent in den Rekorder schoben, war ein eingeölter Muskelprotz mit weissblondem Resthaar und Hufeisenschnauz, der seine Kraft vor einem Kampf demonstrierte, indem er sein gelbes Shirt zerriss. Sein Name: Hulk Hogan.
Er war Mister America, der Hollywood Hogan, die Hulk Machine. Ihm konnte keiner das Wasser reichen. Für die World Wrestling Federation (WWF) wurde er das grosse Zugpferd. In den USA füllte der Kämpfer die grössten Stadien.
Höhepunkt war 1987 WrestleMania III im Pontiac Silverdome, wo später Georges Bregy sein berühmtes Freistosstor an der Fussball-WM 1994 schoss. Hulk Hogan stand mit André the Giant im Ring. In einem epischen Kampf musste Hogan erst einstecken. Er wankte, doch er fiel nicht.
Vielmehr pumpte sich Hogan auf, schien von irgendwoher neue Kraft zu erhalten. Ein untrügliches Zeichen, dass eine Wende bevorstand: Hogan riss die Augen weit auf. Und tatsächlich schaffte er das Unmögliche: Er wuchtete den Giant, diesen Berg von Mensch, in die Höhe und warf ihn mit einem Slam zu Boden.
93'000 Fans im Stadion sprangen begeistert von ihrem Sitz auf – und in einer Stube viele tausend Kilometer entfernt fieberten (Wochen oder Monate später) vier Jungs mit und glaubten, Zeugen eines Wunders zu sein.
Selbst mit dem heutigen Wissen, dass Wrestling-Kämpfe einstudiert sind und ihr Ausgang schon vor Beginn feststeht (irgendwann sahen wir ein, dass an dieser Behauptung etwas dran war), lässt sich sagen: Dieser Kampf war beste Unterhaltung. So wie es das Wrestling damals überhaupt war.
Der Kalte Krieg zwischen Ost und West, zwischen Kapitalismus und Sozialismus, war für Knirpse wie uns nichts weiter als ein Begriff, den man aufschnappte, wenn im Radio die Nachrichten liefen. In den USA, dem Synonym für den Westen, war das natürlich anders und das dortige Publikum war die Zielgruppe, die die WWF-Bosse erreichen wollte.
Das schafften sie, indem sie Charaktere so gnadenlos überzeichneten, dass es aus heutiger Sicht geradezu lächerlich wirkt. «The Iron Sheik», der einen iranischen Scheich darstellte, war ebenso Buhmann wie Nikolai Volkoff, der als böser Sowjetrusse angekündigt wurde. Die WWF liess ihn vor Kämpfen die sowjetische Hymne singen und von den Fans auspfeifen. Die amerikanischen Fans hassten ihn – weshalb Volkoff zuverlässig Matches gegen beliebte Kämpfer erhielt. Nichts verkauft sich besser als die Affiche Gut gegen Böse.
In dieser simpel gestrickten Welt verkörperte Hulk Hogan das Gute. Wenn der Champion mit seinem Gürtel zu «Real American» den Ring betrat, war das ein perfekter US-Moment, als ob eine Coca-Cola-Flasche einen Colt heiraten würde, getraut von einem verkleideten Elvis in Las Vegas. Natürlich dankte Hogan nach Triumphen fleissig Gott, der ihm dabei geholfen hatte.
Wir begriffen sehr wohl, welchen Status Hulk Hogan hatte. Er war die unangefochtene Nummer 1. Unser Liebling war er trotzdem nicht. Vielleicht gewann der Hulkster einfach zu oft, vielleicht waren die Gimmicks anderer Wrestler für uns einfacher zu verstehen. Ein Fiesling, der eine Schlange über seinen Gegner kriechen liess – das verstand auch ein unbedarfter Schweizer Bube.
Die Nachbarn zogen einige Strassen weiter, wir wurden älter. Zwar zappte ich auch später noch manchmal rein, als Wrestling im Fernsehen übertragen wurde. Doch Undertaker, Bret «The Hitman» Hart oder Stone Cold Steve Austin kamen nicht an die Generation um Hulk Hogan heran, selbst wenn die WWF, die sich heute WWE nennt, ein Milliarden-Dollar-Business ist. Die 80er-Jahre waren vorbei und mit ihnen das schillerndste Jahrzehnt dieser Showkämpfe.
Terrence Gene Bollea, der Mensch hinter der Kunstfigur Hulk Hogan, ist drei Wochen vor seinem 72. Geburtstag in Florida gestorben.